(ml) Das auf das Werk „Principles of Political Economy and Taxation“ (1. Auflage 1817) von David Ricardo (1772-1823) zurückgehende Konzept des komparativen Vorteils lässt sich am Verständlichsten durch ein Beispiel erklären:
Angenommen, die Welt bestehe aus zwei Ländern (Portugal und England), in denen jeweils gleich viele Menschen leben, die mit einem identischen, festgelegten Kontingent an Arbeitsstunden zwei verschiedene Güter (Wein und Tuch) erzeugen. Die Produktivität (das Geschick) bei der Herstellung der Güter sei unterschiedlich zwischen Engländern und Portugiesen verteilt:
Erstere benötigen zur Herstellung einer Einheit Wein 6 Stunden, zur Herstellung einer Einheit Tuch 4 Stunden. Ihre Arbeitsproduktivität ist 0,16 Einheiten Wein pro Stunde bzw. 0,25 Einheiten Tuch pro Stunde.
Letztere sind in der Lage, eine Einheit Wein in 3 Stunden herzustellen, benötigen aber 5 Stunden pro Einheit Tuch. Ihre Arbeitsproduktivität beträgt 0,33 Einheiten Wein pro Stunde und 0,2 Einheiten Tuch pro Stunde.
Damit kostet in England eine Einheit Wein 6 Arbeitsstunden oder 1,5 Einheiten Tuch. Eine Einheit Tuch kostet 4 Arbeitsstunden oder 0,67 Einheiten Wein.
In Portugal dagegen kostet eine Einheit Wein 3 Arbeitsstunden oder 0,6 Einheiten Tuch, eine Einheit Tuch dagegen 5 Arbeitsstunden oder 1,67 Einheiten Wein.
Damit ist es für die Engländer vorteilhaft, eine Einheit Tuch zu produzieren und sie nach Portugal zu exportieren, wo sie dafür 1,67 Einheiten Wein erhalten (im Gegensatz zu 0,67 Einheiten, die sei erhalten hätten, wenn sie daheim statt einer Einheit Tuch mit demselben Arbeitsaufwand Wein produziert hätten). Umgekehrt können die Portugiesen 1 Einheit Wein in England gegen 1,5 Einheiten Tuch eintauschen (und stellen sich damit deutlich besser, als wenn sie in den verkauften 3 Arbeitsstunden 0,6 Einheiten Tuch selbst produziert hätten).
Es sind also Unterschiede in den relativen Arbeitsproduktivitäten bezüglich der beiden Güter, die den internationalen Handel und die Spezialisierung auf die von ihnen mit höherer Produktivität hergestellten Güter für Engländer wie für Portugiesen lohnend machen. In unserem Beispiel fallen diese relativen Produktivitätsunterschiede allerdings mit absoluten zusammen: die Engländer können pro Stunde mehr Tuch (0,25:0,2), die Portugiesen mehr Wein (0,33:0,16) herstellen. Modifiziert man das Beispiel ein wenig, so sieht man, dass nicht diese absoluten, sondern komparative Produktivitätsvorteile den Handel lohnend machen:
Wir erhöhen (entgegen der historischen Erfahrung) die Produktivität der Portugiesen bei Tuch auf 0,33, so dass sie sowohl Tuch (0,3:0,25 Einheiten pro Stunde) als auch Wein (0,33:0,16) mit höherer Arbeitsproduktivität herstellen können als die Engländer. Dennoch lohnt es sich für sie zu handeln, denn:
Eine Einheit Tuch kostet in Portugal nun 3 Stunden oder 1 Einheit Wein, in England aber weiterhin 4 Arbeitsstunden oder 0,67 Einheiten Wein, während eine Einheit Wein in England weiterhin 1,5 Einheiten Tuch, in Portugal nun aber eine Einheit Tuch kostet. Analog zum obigen Beispiel lohnt sich internationaler Handel also noch immer, wenn sich die Portugiesen auf die Produktion von Wein, den sie pro Einheit in England gegen 1,5 Einheiten Tuch eintauschen können, und die Engländer auf die von Tuch, das sie in Portugal gegen eine Einheit Wein eintauschen können, spezialisieren. Dies ist das Prinzip des komparativen Vorteils, das besagt, dass Handel zu Wohlfahrtsgewinnen führt, wenn sich die beteiligten Länder auf die Produktion derjenigen Güter spezialisieren, die sie mit höherer relativer Arbeitsproduktivität herstellen können, bei deren Produktion sie also über einen komparativen Vorteil verfügen.
Eine alternative Erklärung für komparative Vorteile, die nicht auf unterschiedlichen relativen Arbeitsproduktivitäten, sondern auf unterschiedliche Ausstattung mit Produktionsfaktoren abstellt, geht auf den schwedischen Ökonomen Eli Heckscher (1879-1952) und seinen Schüler Bertil Ohlin (1899-1979) zurück. In ihrer Betrachtung ist die Arbeitsproduktivität in beiden Ländern identisch, so dass keine ricardianischen komparativen Vorteile vorhanden sind. Stattdessen betrachten sie neben Arbeit einen zweiten Produktionsfaktor (Kapital). Die beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sind zwischen beiden Ländern unterschiedlich verteilt, eines ist kapitalreich, das andere arbeitsreich. Von den beiden betrachteten Güter wird eines mit mehr Kapitaleinsatz, das andere mit mehr Arbeitseinsatz produziert. Das Inland wird dadurch relativ effizienter bei der Produktion des kapitalintensiven Gutes sein, während das Ausland das arbeitsintensive Gut effizienter herstellen kann. Da kapitalintensive Gut ist im Inland und das arbeitsintensive Gut im Ausland relativ günstiger. Bei Aufnahme von internationalem Handel werden nun die ausländischen Nachfrager das kapitalintensive Gut aus dem Inland und die inländischen das arbeitsintensive Gut aus dem Ausland verstärkt nachfragen. Hierdurch kommt es (im Vergleich zur Preisstruktur vor Aufnahme von Handel) 1. zu einem Ansteigen der Exportgüterpreise und 2. zu einem Absinken der Preise der importkonkurrierenden Güter. Ohne an dieser Stelle auf die Einkommensverteilungswirkungen des Handels einzugehen, lässt sich feststellen, dass damit insgesamt der Nutzen der Konsumenten und die Erträge der Produzenten gesteigert werden, die Aufnahme von Handel und die resultierende internationale Arbeitsteilung also zu Wohlfahrtsgewinnen geführt haben.