1.3. Struktur der Handelsimperien
1.3.1. „Kolonialismus“
„Kolonialismus“ meint „die Kontrolle eines Volkes über ein fremdes unter wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Ausnutzung der Entwicklungsdifferenz zwischen beiden“ (Reinhard, Kolonialismus, 1).
Es gibt drei Typen von Kolonien (nach Reinhard, Kolonialismus, 1ff.):
- Stützpunktkolonien, „die entweder wirtschaftlichen Zwecken wie dem Handel oder der Sicherung militärischer Präsenz oder beidem dienen sollen.“
- Siedlungskolonien, die der fortschreitenden Besiedelung und Urbarmachung des Landes dienen, wobei meistens eingeborene Jäger-, Sammler- und Nomadenkulturen durch Ackerbaukulturen verdrängt werden.
- Herrschaftskolonien, „die sich nicht auf Stützpunkte beschränken, sondern das ganze Land kontrollieren, ohne es durchgehender Neubesiedlung zu unterwerfen“.
Entsprechend dem je unterschiedlichen Entwicklungsgefälle zwischen einheimischer und eindringender Kultur in Amerika (3. Typ) und in Südostasien (Tendenz zu 1. Typ) ergeben sich dort strukturell sehr verschiedene Systeme.
1.3.2. Spanisches Kolonialsystem in Amerika
Außer Edelmetallen gibt es in der Neuen Welt kaum hochwertige Handelswaren; die einheimischen Herrschaftssysteme sind unterlegen. Dies führt zur Etablierung kolonialer Herrschaft über Land und Menschen, zur Erschließung der Rohstoffe, Hand in Hand mit Zwangsmissionierung.
Die zentrale Organisation durch die spanische Krone zielt darauf, eine Feudalisierung des Landes (Aneignung von Land und Herrschaftsrechten durch neuen Kriegeradel) zu verhindern und eine straffe bürokratische Kontrolle auszuüben, um größtmögliche Erträge für den Fiskus abzuschöpfen.
Organisation:
- Spanische Zentralbehörde (Consejo de Indias);
- Handelsbehörde (Casa de Contratación);
- Vizekönige in Mexiko und Lima an der Spitze;
- 30-40 Gobernadores als Verwaltungsinstanzen;
- 10 Gerichtshöfe;
- militärische Generalkapitäne;
- Finanzkassen;
- 30-40 Bistümer unter königlicher Kontrolle.
Seit 1502 sollen sowohl Spanier als auch Indios ausschließlich in Städten unter Aufsicht eines königlichen „Corregidor“ siedeln (Auflösung der Stammesverbände). Die spanische Krone hatte einerseits einen Bedarf an Zwangsarbeitern für die Ausbeutung der Bodenschätze, verfolgte aber andererseits das Ziel, die Eingeborenen in ihrem Sinne zu „zivilisieren“, d.h. eine Anpassung der dortigen Lebensformen an die europäischen zu bewirken.
Die anfangs massiv verbreitete Sklaverei soll sich auf Kriegsgefangene beschränken, wird 1542 ganz verboten (allerdings nicht für schwarzafrikanische Sklaven!). Stattdessen existiert seit 1503 das System der „Encomienda“, d.h. Zwangszuweisung von Indios als Arbeitern an die Kolonisten, die ihnen Unterhalt, Lohn und christliche Unterweisung zukommen lassen sollen. Gegen den massiv ausbeuterischen Missbrauch dieser Regelung verfügt die Krone Mitte des 16. Jh.s die Trennung von einheimischen und spanischen Siedlungen, verhindert damit aber nicht langfristig die Etablierung großer Landgüter mit indianischen Arbeitskräften.
Unter Jesuitenmissionaren erfolgt die Einrichtung von „Indianer-Reduktionen“, d.h. selbstständigen indianischen Gemeinden, so vor allem im Gebiet der Guaraní-Indianer (sog. „Jesuitenstaat von Paraguay“, vgl. Gründer, Welteroberung, 112ff.), zum Zweck der Christianisierung, „Zivilisierung“ und Disziplinierung, aber auch zum Schutz vor Zwangsarbeit.
1.3.3. Portugiesisches Handelsimperium in Südostasien
Hochentwickelte asiatische „Gastländer“ erlauben den Europäern aus Eigeninteresse Handelsstützpunkte, auch die Einreise von Missionaren, diktieren aber immer die Bedingungen; gegebene Herrschaftsverhältnisse werden kaum angetastet, Seefahrer haben eine Art Vasallenstatus und bleiben für die „Gastländer“ marginal.
Es entsteht ein umfassendes System von Handelsstützpunkten von der ostafrikanischen Küste bis nach Japan; aber nur selten führt dies zu einer Herrschaft über eigenes Territorium (so in Goa); eine dauerhafte Ansiedlung von Europäern erfolgt nur selten. Der Handel zwischen Ostasien und Europa macht nur einen Bruchteil des portugiesischen Gesamthandelsvolumens aus; um diesen zu finanzieren, betreiben Portugiesen innerasiatischen Seehandel (Gewürze, Baumwolle, Seide, Edelmetalle, Pferde etc.), den sie im 16. Jh. nahezu kontrollieren.
Die zentrale Organisation des Handelssystems erfolgt durch die Krone (Casa da India in Lissabon) und die Herrschaft eines Generalgouverneurs.
Risiko der Ostindienreisen: (4,5 – 9 Monate Dauer, bis zu 20% Verlust an Schiffen, bis zu 50% Verlust an Menschenleben).
Das Handelsimperium der niederländischen Ostindienkompanie, das das der Portugiesen seit 1600 verdrängt, übernimmt dessen Struktur. An die Stelle des portugiesischen Kronkapitalismus (Reinhard, Expansion, 90ff., Reinhard, Kolonialismus, 25ff.) tritt der niederländische Kaufmannskapitalismus (Reinhard, Expansion, 108ff., Reinhard, Kolonialismus, 25ff.), ebenfalls gestützt auf eine politische Elite.