1.4. Der Umgang mit dem Fremden

1.4.1. Deutung des Fremden

Das Fremde wird stets in die Kategorien des Vertrauten „übersetzt“; z.B. die Deutung nach dem biblischen Paradiesmotiv: „Wilde“ erscheinen – u.a. wegen ihrer Nacktheit – als Menschen ohne jede Kultur. Wechselseitiges Unverständnis: „Jeder ist der Barbar des anderen“ (Todorov, Eroberung). 

Die kulturellen Deutungsmuster der Indios wirken sich zugunsten der Conquistadoren aus und lähmen den indianischen Widerstand (Deutung der Conquistadoren als aztekische Götter; Erwartung, dass sich Untergangsprophetien erfüllen). 

  • Bordbuch des Columbus über die Eingeborenen
  • Die Azteken über die Spanier: Bernardino de Sahagún (ca. 1500-1590)
  • Pedrarias Dávilla Oviedo über die Eingeborenen
  • Bericht des Hernán Cortés an Kaiser Karl V. über die Hochkultur der Azteken, 1520

1.4.2. Europäische Berechtigungsdebatte

Schon seit 1511 üben Dominikaner (Montesinos, Las Casas) scharfe Kritik am Umgang mit den Indios. Erste Leitlinien für eine Rechtsstellung der Indios in der spanischen Gesetzgebung erstellt die Kommission in Burgos (1512); aber die Krone weist die dominikanische Kritik zurück. Ansatz zur Selbstlegitimation der Eroberer durch „Requerimiento“ (notarieller Akt, von 1526 bis 1573 bei jeder Inbesitznahme von Land vorgeschrieben): Eingeborene werden über die Autorität des Christengottes, des Papstes und des spanischen Königs aufgeklärt und aufgefordert, sich freiwillig zu unterwerfen, andernfalls sei ihnen ihre Versklavung oder Tötung selbst zuzurechnen.

Las Casas unternimmt zahlreiche Seereisen nach Spanien, um den König zum Eingreifen gegen die Ausbeutung und Vernichtung der Indios zu bewegen („Brevisíma relacíon de la destruición de las Indias“, 1542 verfasst, 1552 gedruckt, in zahlreiche Sprachen übersetzt). Unter diesem Einfluss entsteht die päpstliche Bulle Sublimis Deus (1537), die „allen Völkern der Erde“ Freiheit und Besitz zuspricht; der spanische König erlässt mildere Gesetze gegenüber den Indios („Leyes Nuevas“, 1542, teilweise 1545 wieder zurückgenommen).

Die Debatte um die Rechte der neuentdeckten Völker regt völkerrechtliche Theoriebildung an (dominikanisch geprägte spätscholastische Jurisprudenz der „Schule von Salamanca“: Francisco de Vitoria, Domingo de Soto, Francisco Suarez). Gegen die Auffassung, die Indios seien vernunftlose Halbmenschen und Sklaven von Natur, vertritt man, dass die Indios zwar Barbaren seien, aber ihre Gemeinwesen prinzipiell politisch unabhängige Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft. Im Effekt legitimieren allerdings die Völkerrechtler die spanische Eroberung, bestreiten aber den päpstlichen und kaiserlichen Universalanspruch.

1.4.3. Formen der Christianisierung

In Amerika und Asien wurden unterschiedliche Strategien der Christianisierung verfolgt.

In Amerika erfolgt zunächst eine Zwangsmission:

  • Schändung und Zerstörung der fremden Heiligtümer, um deren Unwirksamkeit und die Überlegenheit des Christengottes zu beweisen;
  • Ersetzung durch christliche Kultbilder;
  • Massentaufen.

Jesuiten, Dominikaner und Franziskaner als Missionare suchen die fremde Kultur zu verstehen, um den christlichen Glauben für die Einheimischen zu „übersetzen“, aber auch, um ihn damit desto vollständiger durchsetzen zu können (Diego Durán, Bernardino de Sahagún liefern wertvolle Überlieferung der indianischen Kultur).

In Ostasien hingegen werden die Missionare von den Herrschenden nur toleriert und müssen andere Methoden anwenden (Akkomodation):

  • Weitest mögliche Anpassung an die fremde Kultur;
  • Übersetzung des christlichen Glaubens in deren Kategorien;
  • Betonung der Gemeinsamkeiten;
  • Abwertung der Unterschiede zu Äußerlichkeiten;
  • daneben Vermittlung europäischer Kulturtechniken an die asiatischen Höfe.

Dagegen richtet sich im 17. und 18. Jh. aus Europa scharfe Kritik (chinesischer „Ritenstreit“). Die Kenntnis der chinesischen Hochkultur erschüttert im 17. Jh. erstmals das kulturelle Überlegenheitsgefühl der Europäer.