2.4. England als wirtschaftliche Hegemonialmacht im 18. Jh.
2.4.1. Voraussetzungen
Einheimische Voraussetzungen der weltwirtschaftlichen Hegemonie sind:
- die frühe Marktintegration und technologische Fortschritte in der Landwirtschaft;
- Bevölkerungswachstum und städtische Expansion, insbesondere Londons;
- hochentwickelte gewerbliche protoindustrielle Produktion mit hohem Lohnniveau;
- Nachfrageboom;
- geringe feudale Bindungen auf dem Land;
- geringe ständische Schranken zwischen Adel (Großgrundbesitz) und Bürgertum: gentleman capitalism.
Die politische Elite im Parlament (seit der Glorious Revolution 1689 Inhaber der staatlichen Souveränität) unterstützt die wirtschaftlichen Interessen. Die Bank von England (1694) ist die erste Staatsbank: Das Parlament garantiert die Deckung der Staatsanleihen und schafft Vertrauen der Anleger; Staatsinteresse und Kapitalinteresse sind eng verbunden.
2.4.2. Nordamerikanische Kolonien
Englische Siedlungskolonien existieren seit dem frühem 17. Jh. an der Ostküste in Chesapeake Bay und Neuengland; die erste dauerhafte Siedlung entsteht 1607 in Jamestown/Virginia; 1620 siedeln Pilgerväter an der Massachusetts Bay.
Ökonomische (Landeigentum) und religiöse Motive begründen v.a. seit den 1630er Jahren eine massenhafte Einwanderung aus dem Mutterland von Nonkonformisten (Puritaner, Täufer etc.) mit hohem Erwähltheitsbewusstsein („God’s Chosen People“). Durch den hohen Bedarf an Land kommt es zu gewaltsamen Konflikten mit den Indianern, die als Bedrohung und „red devils“, ihre massenhafte Ausrottung durch Seuchen hingegen als göttliche Fügung wahrgenommen werden.
Seitens des Mutterlandes erfolgt keine zielgerichtete staatliche Kolonisationspolitik. Königliche Privilegien (Charters) werden meist an private Siedlungs- oder Kaufmannskompanien vergeben. Die Landwirtschaft wird v.a. durch kleine unabhängige Produzenten und „indentured servants“ (mehrjährige Arbeit als Knecht/Magd als Preis für die freie Überfahrt nach Amerika) betrieben. Erst seit dem Ende des 18. Jh.s expandiert im Süden der Baumwollanbau, der v.a. durch afrikanische Sklaven geleistet wird. Die Siedlerkolonien verfügen über eine hohe Autonomie; der Aufbau kolonialer Verfassungen ist in relativ großer Unabhängigkeit vom Mutterland möglich.
2.4.3. Karibik und Ostasien
Seit dem 17. Jh. entstehen Kolonien in der Karibik (1627 Barbados, 1655 Jamaica): sie dienen zuerst vorwiegend kleinen unabhängigen Siedler z.B. für den Tabakanbau; seit den 1640er Jahren führt die „Zuckerrevolution“ zur Umstellung auf Zuckerrohranbau, zum Übergang zu monokultureller Plantagenwirtschaft mit afrikanischen Sklaven und zur Konzentration des Grundbesitzes.
In Ostasien wird 1600 die English East India Company (EIC) mit Handelsmonopol und Recht zur Edelmetallausfuhr gegründet. Im Unterschied zur VOC hat sie zunächst keine Hoheitsrechte und nur eine geringe Kapitalbasis, weshalb sie ihr zunächst unterlegen ist; 1658 wird die EIC nach niederländischem Vorbild mit einem System von Handelsstützpunkten neu gegründet. In Indien verdrängt sie im 18. Jh. die französische Konkurrenz; sie dominiert den Baumwollhandel mit Indien und den Tee-, Seiden- und Porzellanhandel mit China. In Indien baut sie eine englische Verwaltung und Steuererhebung auf, die 1773 in die Zuständigkeit der britischen Zentralregierung übergeht.
2.4.4. Außenhandelssystem
Der Export v.a. von Wolltuch wird seit dem späten 18. Jh. durch den Export von Baumwoll- und Metallwaren verdrängt, der zunehmend nach Übersee geht; importiert werden zunehmend Rohstoffe (Baumwolle) und tropische Konsumgüter (Zucker, Tee, Kakao, Tabak).
Seit 1651 schreiben die Navigation Acts vor, dass der Handel mit englischen Kolonien nur über England laufen darf; daher macht im 18. Jh. der Re-Export von Kolonialwaren die Hälfte des englischen Exports aus. Dies führt zu einer Wechselwirkung zwischen einheimischer Wirtschaft und dem Außenhandel: Die Ausweitung der gewerblichen Warenproduktion hat zur Voraussetzung, dass die Nachfrage expandiert. Ein wesentlicher Impuls für die Industrialisierung des 19. Jh.s. ist die Stimulierung der Nachfrage durch koloniale Absatzmärkte. 1703 schließt England den Methuen-Vertrag mit Spanien/Portugal gegen die Niederlande. Dieser beinhaltet den Zugang zum spanisch-portugiesischen Markt, zudem profitiert England vom brasilianischen Goldboom des 18. Jh.s.
Krieg wird als zentrales Mittel der Handelspolitik eingesetzt; innereuropäische Kriege sind zugleich Kolonialkriege (vgl. oben):
- Spanische Erbfolgekrieg (Friede von Utrecht 1713): Erwerb des „Asiento“, d.h. Monopol im Sklavenhandel mit Spanisch-Amerika.
- Siebenjähriger Krieg (Friede von Paris 1763): Übernahme der nordamerikanischen und indischen Besitzungen Frankreichs.