1.4. Status und Rollen der Geschlechter

1.4.1. Rechtsnormen

Frauen unterliegen grundsätzlich der Gewalt der Männer (des Vaters, des Ehemannes), verstanden als Schutzgewalt („Vogtei“) aufgrund ihrer unterstellten physischen und psychischen Schwäche. Der Rechtsstatus ist unterschiedlich je nach Hausstand (Jungfrau, Ehefrau, Witwe). Frauen sind juristisch nur eingeschränkt handlungsfähig, d.h. prozess- und geschäftsfähig, müssen vielmehr in der Regel durch einen männlichen Vormund vertreten werden. Sie sind zwar eigentums- und testierfähig (Mitgift und Morgengabe); ihr Eigentum unterliegt aber i.d.R. der Verfügungsgewalt des Mannes. Der Mann ist dafür zur Sicherung ihres standesgemäßen Unterhalts verpflichtet.

Die Normen des Geschlechterverhältnisses in der Ehe ergeben sich aus der engen Verbindung von Sexualität und Ökonomie:

  • gemeinsames Wohnen und verantwortliches Haushalten
  • wechselseitiger Anspruch auf Vollzug der Sexualität zum Zweck der Fortpflanzung
  • gemeinsame Sorge für die Kinder
  • Gehorsamspflicht der Frau, Züchtigungsgewalt des Mannes
  • Verantwortlichkeit des Mannes gegenüber der Obrigkeit und Gott

Die weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten versuchen tendenziell, die Position des Hausvaters zu stärken.

1.4.2. Geschlechtsspezifische Arbeitsrollen

In der Regel ist das Ehepaar ein Arbeitspaar (H. Wunder), d.h. die Frau die Gehilfin des Mannes in seinem Amt (z.B. „Frau Pfarrerin“, „Frau Amtmännin“), in seinem Gewerbe oder auf dem Hof; diese Mitarbeit ist wirtschaftlich erforderlich und genießt relativ hohes Ansehen, ist aber unbezahlt. Allerdings gilt eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach Körperkraft und Entfernung vom Haus (z.B. schwere Getreide-Feldarbeit bei den Männern; dagegen Kleinvieh, Gartenbau, Hausarbeit, Kinderaufzucht bei den Frauen) nicht uneingeschränkt.

These (M. Mitterauer): Wird ein Gewerbe stärker professionalisiert, technisiert und steigt der Marktbezug, so wird es tendenziell von Männern übernommen (Bsp. Milchwirtschaft in besonders dazu spezialisierten Regionen).

Die wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen wird hingegen zu Beginn der FNZ eingeschränkt; die selbstständige Mitgliedschaft in Zünften wird verboten. Bezahlte Erwerbstätigkeit verrichten Frauen v.a. in gering bezahlten Dienstleistungsbereichen (z.B. Wäscherinnen) und im Textilgewerbe; sie sind vom Reallohnverlust im  „langen 16. Jh.“ besonders betroffen.

In den unterständischen Schichten lässt sich eine Tendenz zur Auflösung der herkömmlichen Arbeitsrollen beobachten (Protoindustrie).

1.4.3. Diskursive Zuschreibungen

Dieser Herrschafts- und Arbeitsordnung entsprechen bestimmte theoretische und normative Zuschreibungen, die sie legitimieren und begründen.

  1. Theologisch: Die Herrschaft des Mannes über die Frau (analog zum Verhältnis Haupt/Körper, Geist/Fleisch, Trieb/Vernunft, Christus/Kirche etc.) wird biblisch begründet (Gen 3,16; Paulus, Eph 5,21; 1 Kor 14 u.a.). Körperliche Begierden sind das vornehmliche Einfallstor für teuflisches Wirken. Die Frau ist aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Schwäche (defectus naturalis) dem Einfluss des Teufels stärker ausgeliefert als der Mann. D.h. wo die individuelle Selbstkontrolle von Männern durch Beziehungen zum anderen Geschlecht bedroht ist, erfolgt zunehmend eine Zuschreibung negativ konnotierter universeller weiblicher Eigenschaften (unkontrollierte Sexualität/Verführung, Unglaube, Willensschwäche); Kontrollprobleme von Männern werden auf Geschlechterverhältnis projiziert.
  2. Medizinisch: Dies wird von der wiederbelebten antiken Medizin (Aristoteles, Hippokrates, Galen) teilweise gestützt: Die Frau erscheint als „unvollkommener Mann“. Ihr Körper unterscheidet sich von dem des Mannes nur graduell, durch ein Mehr an Flüssigkeit und ein Weniger an Hitze (gemäß der Lehre von den vier Elementen). Sie hat z.B. die gleichen Geschlechtsorgane, die nur innen liegen, nicht außen. (Ein-Geschlecht-Modell nach Th. Laqueur) Mit wachsendem Einfluss der Medizin auf das Alltagsleben (Druckmedien!) macht sich allerdings eine weniger strenge Verurteilung der Sexualität geltend. Der Cartesische Rationalismus des 17. Jh.s stellt das Geschlechterverhältnis auf eine neue Grundlage, indem er Körper und Geist radikal voneinander trennt: „Der Geist hat kein Geschlecht“; Unterschiede zwischen den Geschlechtern erscheinen als Folge von Erziehung und Lebensweise.
  3. „Weibliche Sonderanthropologie“: Im späten 18. Jh. hingegen erfolgt eine Polarisierung der Geschlechtscharaktere (K. Hausen); Mann und Frau erscheinen jetzt in jeder Hinsicht komplementär verschieden. Die neuen Lebenswissenschaften (Biologie, Anthropologie, Psychologie etc.) leiten nicht nur die körperliche, sondern auch die geistig-seelische Natur der Frau aus ihrer Rolle im Fortpflanzungsgeschehen ab.