Quelle: Max Weber, „Ständische Lage“

„Im Gegensatz zur rein ökonomisch bestimmten ‚Klassenlage’ wollen wir als ‚ständische Lage’ bezeichnen jede typische Komponente des Lebensschicksals von Menschen welche durch eine spezifische, positive oder negative, soziale Einschätzung der ‚Ehre’ bedingt ist, die sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft.“ (S. 534) 

„Inhaltlich findet die ständische Ehre ihren Ausdruck normalerweise vor allem in der Zumutung einer spezifisch gearteten Lebensführung an jeden, der dem Kreise angehören will. Damit zusammenhängend in der Beschränkung des ‚gesellschaftlichen’, d.h. des nicht ökonomischen oder sonst geschäftlichen, ‚sachlichen’ Zwecken dienenden Verkehrs, einschließlich namentlich des normalen Konnubium, auf den ständischen Kreis bis zu völliger endogamer Abschließung.“ (S. 535)

„Praktisch betrachtet, geht die ständische Gliederung überall mit einer Monopolisierung ideeller und materieller Güter oder Chancen in der uns schon als typisch bekannten Art zusammen. [...] Bestimmte Erwerbszweige werden Gegenstand ständischer Monopolisierung. Sowohl positiv: so, daß der betreffende Stand allein sie besitzen und betreiben darf, wie auch negativ: so, daß er sie um der Erhaltung seiner spezifischen Lebensführung willen nicht besitzen oder betreiben darf. Denn die maßgebende Rolle der ‚Lebensführung’ für die ständische ‚Ehre’ bringt es mit sich, daß die Stände die spezifischen Träger aller Konventionen sind.“ (S. 537)

„Der Markt und die ökonomischen Vorgänge auf ihm kannte, wie wir sahen, kein ‚Ansehen der Person’: ‚sachliche’ Interessen beherrschen ihn. Er weiß nichts von ‚Ehre’. Die ständische Ordnung bedeutet gerade umgekehrt: Gliederung nach ‚Ehre’ und ständischer Lebensführung.“ (S. 538) 

  • aus: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. 5. Aufl. Tübingen 1972, Kap. VIII, 534-538.