3.3. Bauern und Herrschaft

von Antje Flüchter

Der Begriff „Herrschaft“ ist problematisch und in den letzten Jahren zunehmend in Kritik geraten (vgl. z.B. Landwehr, „Normdurchsetzung; Rublack, StaatlichkeitWeber, Sozialdisziplinierung, bereits früh: Brunner, Land). Grund dafür ist vor allem, dass „Herrschaft“ lange in der historischen Forschung rein binär verstanden wurde, also als System, das nur ein oben und ein unten, einen Befehlsgeber und einen Befehlsempfänger beinhaltete (Herrschaftsdefinition von Max Weber). 

Die neuere Forschung betont demgegenüber, dass Strukturen von „Herrschaft“ und „Macht“ Teil jeder Interaktion sind; oft wird deshalb das Bild des Kräftefelds benutzt (Lüdtke, Herrschaft; auch Machtbegriff bei Foucault). Das bedeutet auch, dass „Herrschaft“ in jeder Interaktion aktualisiert wird, aber auch verändert werden kann.

Diese allgemeinen Reflexionen betreffen auch die ländliche Gesellschaft: Die Gemeinde als Ganzes übte „Herrschaft“ aus, dies tat auch der einzelne Hausvater auf seinem Hof, aber auch andere Gruppe in verschiedenen Kontexten (z.B. soziale Kontrolle). 

In diesem Unterkapitel soll es um die „Herrschaft über die ländliche Bevölkerung“ gehen. Damit wird nicht ausgeschlossen, dass auch diese Herrschaft nur durch die Kooperation mit der ländlichen Bevölkerung funktionierte und die Gemeinden auch selbst an der Herrschaft beteiligt war (Gemeinde als politisch-rechtlicher Verband). Der Schwerpunkt hier liegt aber auf dem obrigkeitlichen Herrschaftshandeln. 

„Herrschaft“ in diesem Zusammenhang bedeutete für die ländliche Bevölkerung vor allem ein ökonomisches, rechtliches und politisches Abhängigkeits- und auch Gewaltverhältnis. Dabei stellten die Bauern das schwächste Glied in dem Dreiecksverhältnis Bauer – Grundherr – Landesherrschaft dar. Veränderten sich hier die rechtlichen oder ökonomischen Rahmenbedingungen, traf es meist die ländliche Bevölkerung am härtesten (Schilling, Aufbruch, 141).

Dementsprechend sind zwei obrigkeitliche Herrschaftsformen zu unterscheiden:

  • die Herrschaft über Grund und Boden, soweit dieser nicht dem Bauern selbst, sondern einem Grundherren gehörte; 
  • die Herrschaft der Landesherrschaft, die mit dem Ausbau der Staatlichkeit während der FNZ auch immer mehr auf die ländliche Bevölkerung zugriff. 

Dabei ist eine Gewichtsverschiebung im Laufe der FNZ zu bemerken: Die territoriale Herrschaft drang in vielen Territorien des Reiches immer stärker bis in die ländliche Gesellschaft vor (zwei Schübe: 1. Konfessionalisierung, 2. Staatliche Wirtschaftslenkung und Rechtsvereinigung seit 17. Jh.) und trat damit in Konkurrenz zu den Grundherren, die den Bauern direkt übergeordnet waren.

3.3.1. Agrarverfassung und Vererbung

von Malte Schmiedhäuser

Bei der Betrachtung der Besitz- und Sozialverhältnisse in ländlichen Regionen der FNZ sind zwei Faktoren als besonders prägend für die Lebens- und Wirtschaftsweise zu betrachten: Die Agrarverfassung und das Erbrecht.

Unter Agrarverfassung versteht man das Besitz- und Nutzungsrecht der Bauern an ihren Höfen, ihren Rechtsstatus sowie die Art und Weise der Abschöpfung bäuerlicher Arbeitskraft und ihrer Erzeugnisse in Form der Grund- oder Feudalrente durch den jeweiligen Grundherren, also den landständigen Adel, geistliche Institutionen oder auch Städte.

Die meisten Bauern der FNZ standen in mindestens zwei herrschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen. Sie waren einerseits Untertanen des Landesherren und diesem zu steuerlichen Abgaben verpflichtet, andererseits schuldeten sie auch dem Grundherren, der ihnen ihr Hofland zur Bearbeitung ausgeliehen bzw. verpachtet hatte, Abgaben und Dienste. Zwar gab es auch freie Bauern, deren Höfe ihr Eigenbesitz waren (größtenteils in den Alpenregionen, im Schwarzwald, sowie an der Nordseeküste), die Mehrzahl war jedoch als Hintersassen, Grundholde oder Erbzinsbauern abhängig vom ihrem Grundherren oder befand sich im mit größerer persönlicher Unfreiheit verbundenen Status der Leibeigenschaft. 

Neben der Dienstpflicht und zusätzlichen Abgabenbelastungen (etwa im Todesfall) bedeutete der unfreie Status der Erbuntertänigkeit oder Leibeigenschaft für die Bauern auch eine Bindung an die Scholle, also ein Verbot abzuwandern, es sei denn, sie konnten sich vom Grundherren loskaufen oder einen Nachfolger stellen. Ferner musste für eine Heirat die Zustimmung des Grundherren, der Heiratskonsens, eingeholt werden. 

Eine Vielzahl von unterschiedlichen Herrschaftsbeziehungen (neben der Grund- auch die Gerichts-, Leib- oder Zehntherrschaft) begründete die verschiedenen Abgabenverpflichtungen, wobei diese Herrschaftsrechte teilweise konzentriert waren, aber auch in mehreren Händen verteilt sein konnten.

Bei der Agrarverfassung lässt sich grundsätzlich zwischen der Form der Gutsherrschaft, die geographisch im Wesentlichen östlich von Elbe und Saale anzusiedeln ist, und der westlich dieser Linie in recht unterschiedlichen Varianten auftretenden Grundherrschaft unterscheiden. 

Zwar verlief auch die Entwicklung der Gutsherrschaft in den ostelbischen Territorien nicht überall in gleicher Geschwindigkeit und Intensität, folgte aber im Wesentlichen einem spezifischen Strukturmuster.

Für eine sichere Handhabung der Begrifflichkeit bleibt noch festzuhalten, dass man zwar idealtypisch die Formen der Gutsherrschaft und Grundherrschaft in ihren jeweiligen Besonderheiten gegenüberstellt. Beide Formen basieren aber grundsätzlich auf der Grundherrschaft im eigentlichen Wortsinne – also Herrschafts- und Besitzrechten über bzw. an Grund und Boden.

3.3.1.1. Gutsherrschaft

In Folge der Agrarkrisen und Kriege des 14. und 15. Jh. fielen viele Bauernstellen im ostelbischen Gebiet wüst und blieben später teilweise unbesetzt, wodurch es möglich wurde, sie dem grundherrlichen Hofland hinzuzufügen. Im 17. Jh. ergaben sich noch einmal ähnliche Möglichkeiten im Zuge der Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges

Durch eine günstige Machtstellung der adeligen Landstände in den ostelbischen Gebieten gegenüber der Landesherrschaft erreichten die Gutsherren im Zeitraum vom 16. bis zu Beginn des 17. Jh. zudem eine rechtlich fixierte Verschlechterung des landrechtlichen Status der Bauernschaft (zweite Leibeigenschaft). Das begünstigte einerseits wiederum die Vergrößerung der Eigenwirtschaften der Gutsherren und erleichterte andererseits den Zugriff auf die Arbeitskraft der Bauern, womit sich der Arbeitskräftebedarf des Teilbetriebs der Gutshöfe decken ließ. 

Im Laufe des 18. Jh.s kam es zunehmend zur Überführungen von noch bestehenden Bauernstellen in den Gutsbetrieb (Bauernlegen, Auskaufen der Bauern). Der resultierende Rückgang des Angebots bäuerlicher Arbeitskraft machte die Umstellung der Gutshöfe auf Eigenbetrieb erforderlich.

Charakteristisch für die Gutsherrschaft war die Vereinigung von Herrschaftsrechten an Grund und Boden, der niederen Gerichtsbarkeit und der Polizeigewalt, sowie der Leibherrschaft (ein Züchtigungsrecht mit eingeschlossen) in der Hand des Gutsherren, was für diesen die Forderung von Diensten der Bauern in erheblichem Umfang ermöglichte. Im Prinzip stellten die Gutsherrschaften einen „Staat im Staate“ dar, denn die unfreien Bauern standen durch die Unterwerfung unter die in der Hand des Gutsherren konzentrierten Herrschaftsrechte nur mittelbar unter der Herrschaft des Landesherren.

Der Bedarf der Gutsherren an bäuerlicher Arbeitskraft lag darin begründet, dass sie eine ausgeprägte Eigenwirtschaft betrieben und Produkte für den Markt herstellten, womit sie direkt von der günstigen Agrarkonjunktur und den guten Exportmöglichkeiten für Getreide (England, Niederlande) profitieren konnten. Damit wurden die Gutsherren praktisch zu einer Art Unternehmer, wichen also vom adeligen Selbstverständnis als reine Rentenempfänger ab, was allerdings tolerierbar war, da sie ihr Einkommen immer noch aus dem klassischen adeligen Erwerbsgebiet, der Landwirtschaft, bezogen. 

Die Gutshöfe wurden aber zunächst kaum in Eigenbetrieb bewirtschaftet, sondern in Teilbetrieb unter Rückgriff auf die Arbeitskraft der abhängigen, in einen unfreien Rechtsstatus herabgedrückten Bauern. Weit verbreitet war auch der Gesindezwangsdienst des bäuerlichen Nachwuchses auf dem Gutshof. 

Die von den abhängigen Bauern zu leistenden Dienste (Fronen) beliefen sich gewöhnlich auf zwei bis vier, teilweise sogar bis zu sechs Tage in der Woche. Die Bewirtschaftung der eigenen bäuerlichen Hofstelle war normalerweise nur zu gewährleisten, wenn die Arbeiten auf dem Gutshof durch eigens dafür angestelltes Gesinde wahrgenommen wurden. Ab einer Fronbelastung von zwei bis drei Tagen in der Woche wurde zudem die Anschaffung eines weiteren Gespannes notwendig. 

Der Unterhalt dieser zusätzlichen Kräfte war nur Dank der relativ großen Hofstellen der Bauern mit durchschnittlich 20-70 ha zu leisten. Trotz der Größe dieser Höfe und der, abgesehen von den Diensten, nur geringen Verpflichtung zu Abgaben konnten die Bauern aufgrund der hohen Betriebskosten nur wenig Überproduktion für den Markt erwirtschaften. 

Auch das Besitzrecht der Bauern an ihren Hofstellen war stark eingeschränkt. Vorherrschend war ein jederzeit vom Grundherrn kündbares Nutzungsrecht (Lassrecht) der Höfe. 

3.3.1.2. Grundherrschaft

Bei den westlich der Elbe-Saale-Linie verbreiteten, regional stark unterschiedlichen Formen der Grundherrschaft ist die Beschränkung des Grundherren auf den Rentenbezug in Form von Produkt- und Geldrenten kennzeichnend. Anders als bei der Gutsherrschaft betrieben die Grundherren ihrerseits kaum Eigenwirtschaft und verfügten auch nur selten über die Gerichtsbarkeit, die eher in Händen der Landesherren lag. Generell waren die unterschiedlichen Herrschaftsrechte in den Regionen der Grundherrschaft eher auf mehrere Herrschaftsträger verteilt.

Die in grundherrschaftlichen Gebieten ansässigen Bauern waren meist persönlich frei oder unterlagen einer abgeschwächten Form der Leibeigenschaft, der Erbuntertänigkeit, die lediglich zusätzliche Abgaben mit sich brachte. Auch das Eigentumsrecht der Bauern an ihren Hofstellen war ein günstigeres als bei der Gutsherrschaft, denn die Höfe konnten meist vererbt werden. Die durchschnittliche Größe der Höfe (beispielsweise in Nordwestdeutschland) war mit 10-20 ha (Vollmeier) bzw. 5-10 ha (Halbmeier) und den noch kleineren Besitzungen unterbäuerlicher Schichten jedoch deutlich geringer als im ostelbischen Gebiet. Die Größe der Hofstellen und die Sozialstruktur der ländlichen Gesellschaft waren in besonderer Weise abhängig vom herrschenden Erbrecht.

Eventuell zu leistende Dienste stellten keinen bedeutenden Teil der von den Bauern zu erbringenden Feudalrente dar (maximal zehn Tage im Jahr). Die bäuerliche Hauptbelastung bestand dagegen aus Produkt- und Geldabgaben (Zehnte, Steuern, Zinsen und Pacht). Zusammengenommen umfassten die zu entrichtenden Abgaben (Feudalquote) etwa 20-40% des bäuerlichen Realertrages, was gerade bei kleinen Hofstellen die Möglichkeit zur Eigenversorgung gefährden konnte.

Diese Struktur der Rente ermöglichte den Grundherren nur ein eingeschränktes Profitieren von der günstigen Agrarkonjunktur. Die Abgaben an Roherzeugnissen waren zwar prozentual oder absolut festgelegt, jedoch gingen die Quoten faktisch immer weiter zurück, da die Besitzungen oft stark zersplittert waren und die Herrschaftsrechte in unterschiedlichen Händen lagen, was die Kontrolle der bäuerlichen Leistungen erschwerte. Die im 18. Jh. zunehmend praktizierte Umstellung der Abgaben auf reine Geldzahlungen konnte zwar für kleinere Höfe ohne Marktzugang problematisch werden, zeigt aber noch einmal die allgemeine Tendenz der Grundherrschaft zur Versachlichung der alten Herrschaftsbeziehungen zu Wirtschafts- und Pachtbeziehungen.

3.3.1.3. Vererbung: Geschlossene Vererbung und Realteilung

Ebenfalls von hoher Bedeutung für die Besitz und Sozialstrukturen der ländlichen Gesellschaft in der FNZ ist das Erbrecht. Bei der Art und Weise der Vererbung von Höfen und Besitz lässt sich grundsätzlich zwischen der geschlossenen Vererbung (Anerbenrecht) und der Realteilung unterscheiden.

Bei der geschlossenen Vererbung erhält der jeweilige Haupterbe den ungeteilten Hof und das zugehörige Land, so dass die Anzahl und Größe der Hofstellen in Gebieten mit Anerbenrecht relativ konstant bleibt. Allerdings muss der Erbe seine Geschwister auszahlen. Diese Abfindung erreicht allerdings in den seltensten Fällen den realen Wert der Hofstelle und ist zudem meist nur in Ratenzahlung möglich. Zu den Verpflichtungen des Haupterben zählt weiterhin die Versorgung des Altbauernpaares über das Altenteil, sofern der Hof bereits vor dem Tod beider Elternteile (inter vivos) übergeben wurde, etwa mit der Heirat des Erben.

Die Bestimmung des Haupterben wird regional unterschiedlich gehandhabt. Weit verbreitet sind das Ältestenrecht oder die Vererbung an den jüngsten Sohn (Minorat). Ebenfalls möglich ist, in Ermangelung eines männlichen Erben, die Vererbung an eine Tochter bzw. deren Ehegatten oder auch an ein vom Altbauernpaar frei ausgewähltes Kind. 

Das Anerbenrecht begünstigt eine ausgeprägte soziale Differenzierung innerhalb der ländlichen Gesellschaft, da die Besitzunterschiede zwischen dem jeweils erbenden Kind, dem späteren Vollbauern, und den nicht erbenden Geschwistern erheblich sind. Dies kann zu einer ständischen Abschließung der Vollbauern von den restlichen bäuerlichen Schichten führen. Gelingt keine Unterbringung der „weichenden Geschwister“ durch Einheiraten in andere Hofstellen, sinken sie meist in die unterbäuerliche Schicht der „Neusiedler“ herab oder finden ihr Auskommen im (u.U. lebenslangen) Gesindedienst auf dem geschwisterlichen Gehöft.

Unter Realteilung versteht man dagegen die Aufteilung des zum Hof gehörigen Landes (manchmal sogar der Gebäude) unter allen Erbberechtigten, oder aber die Auszahlung eines Teils der Erben in entsprechender Höhe. Die Folge dieser Verteilung ist eine starke Zersplitterung des Besitzes und damit das Entstehen vieler kleiner Höfe mit meist nur wenigen Hektar Fläche und entsprechend geringer Möglichkeit, die Subsistenz zu sichern. Darin resultiert für Gebiete mit Realteilung durch die große Zahl bäuerlicher Haushalte eine vergleichsweise höhere Bevölkerungsdichte als in Regionen mit geschlossener Vererbung bei gleichzeitig eher homogener Sozialstruktur. 

Die territoriale Eingrenzung dieser Grundtypen des Erbrechts gestaltet sich schwieriger als bei den Agrarverfassungen. Stark vereinfacht betrachtet lässt sich in den östlichen und nördlichen Territorien das Anerbenrecht und entsprechend im Süden und Westen das Realteilungsrecht verorten. In der Praxis finden sich aber fließende Übergänge und viele Zwischenformen der verschiedenen Vererbungssitten, die sogar im selben Dorf bereits variieren können.

3.3.2. Territorialstaat und ländliche Gesellschaft

von Antje Flüchter

Betrachtet man die Beziehung zwischen ländlicher Gesellschaft und Territorialherrschaft, muss immer berücksichtigt werden, dass Territorialherrschaft die verschiedensten Formen hatte: Es gab große und kleine Territorien, geistliche und weltliche, auch Reichsstädte konnten die Territorialherrschaft über ländliche Gemeinden inne haben. Seit Mitte des 16. Jh. muss man zudem konfessionelle Unterschiede berücksichtigen. 

„Herrschaft“ ist nicht ohne Gegenpart denkbar. Bis ins 18. Jh. hinein war dies weniger der einzelne Untertan als ein Kollektivorgan – die Gemeinde. Dabei ist die Gemeinde nicht nur als ‚verlängerter Arm’ der Herrschaft zu verstehen, vielmehr war die Herrschaft (Territorial- wie Grundherrschaft) auf die Kooperation der Gemeinde angewiesen. 
Die Territorialherrschaft begann erst im Laufe der FNZ einen ‚Staatsapparat’ auszubilden, der bis in jede Gemeinde vordrang; lange war die Landesherrschaft daher auf lokale Verwaltungsstrukturen angewiesen (Gemeinde als politisch-rechtlicher Verband).

Die Gemeinde hatte eine Doppelfunktion: Sie regelte genossenschaftlich ihre Angelegenheiten, war aber auch eine Institution des Territorialstaates zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung der bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse. Sie war sowohl die Vollzugsinstanz obrigkeitlicher Gesetze und Ordnungen wie die Interessenvertretung nach außen, sei es gegenüber Obrigkeit, Stadt oder Amt.

Im Laufe der FNZ versuchte der Territorialstaat, die vormoderne Gewaltenteilung (zwischen Gemeinde – Grundherrschaft – Territorialherrschaft) zu seinen Gunsten aufzuheben. Doch dies gelang nur teilweise. Dementsprechend war er auf den beiden anderen Ebenen auf Kooperation angewiesen (als Gegenbeispiel zu diesen Entwicklungen im Reich vgl. Frankreich, wo der König viel stärker versuchte, die Grundherren zu entmachten: Root, Peasants).

Doch obwohl die Landesherrschaft zur Ausübung ihrer Herrschaft auf die ländliche Gemeinde angewiesen war, ist eine institutionalisierte politische Partizipation der ländlichen Bevölkerung (z.B. als Landstand) die Ausnahme. Aktiv partizipiert sie eher in Ausnahmesituationen wie bei Huldigungen (vgl. Holenstein, Huldigung) beim Herrschaftsantritt eines neuen Landesherren.

Das Interesse der Landesherrschaft an den ländlichen Gemeinden war sicherlich auch durch die Möglichkeit der Erschließung weiterer finanzieller Ressourcen begründet. Wichtiger und tiefgreifender war aber die Durchdringung des ganzen Territoriums: 

  1. durch den Ausbau der landesherrlichen Gesetzgebung und 
  2. durch die Intensivierung des Kirchenregiments im Konfessionellen Zeitalter;
  3. durch das verstärkte wirtschaftliche Interesse der Landesherrschaft an der ländlichen Gesellschaft.

Durch diese Prozesse wurde – wie Heide Wunder es ausdrückte – aus der Herrschaft mit Bauern eine Herrschaft über Bauern (Wunder, Strukturprinzip). 

3.3.2.1. Recht und Gesetzgebung

Die Vereinheitlichung des Rechts war ein wichtiges Instrument, aber auch die Voraussetzung eines staatlichen Gewaltmonopols und damit des Ausbaus der vormodernen Staatlichkeit. Dabei stellte sich immer das Problem: Was ist Recht und wer setzt es fest? (Widerstand). Die allgemeine Gesetzgebungskompetenz des Herrschers war unbestritten, unklar aber waren die Grenzen dieser Kompetenz zwischen Reich, Kirche, Territorien, Städten und Grundherrschaft. Entscheidend zu Beginn der FNZ war dabei die verstärkte Rezeption des Römischen Rechts.

Auch auf diesem Gebiet zeigte sich die zunehmende Konkurrenz zwischen Territorialstaat und Grundherren. Die Landesherren bemühten sich immer mehr, in die Rechts- und Sozialordnungen der ländlichen Gesellschaft einzugreifen (z.B. Uniformierung des Erbrechts, Gesindeordnungen, Forstordnungen). Seit dem 15./16. Jh. beginnt die territorialstaatliche Gesetzgebung an Vorrang zu gewinnen, v.a. in der Form von Policey- und Landesordnungen. Diese Art des Rechts griff insofern stärker in den Alltag der Bevölkerung ein als das alte Gewohnheitsrecht, da diese Ordnungen nicht mehr nur altes Recht und damit den Status quo erhalten sollten, sondern man sich von ihnen auch eine verhaltenslenkende Funktion versprach (vgl. dazu kritische Diskussion: Schlumbohm, GesetzeLandwehr, „Normdurchsetzung“).

In den ländlichen Gemeinden waren es aber nicht nur die landesherrlichen Ordnungen, die das Recht direkt beeinflussten und veränderten. Wichtiger war wohl noch, dass die Inhalte dieser landesherrlichen Ordnungen und Gesetzgebung in den Dorfordnungen des 16. Jh. rezipiert und damit angewandt wurden. Bernd Schildt geht soweit, Dorfordnungen als „im Grunde nur eine spezifisch lokale Form landesherrlicher Gesetzgebung“ zu bezeichnen (Schildt, Bauern, 73). Durch diese Rezeption verstärkte sich die Wirkung der Policeyordnungen, da sie sozusagen durch die genossenschaftliche Satzungsautonomie in den gemeindlichen Raum transformiert und übersetzt wurden. 

Im Bereich der Gesetzgebung kann also ein im Laufe der FNZ stärker werdender Einfluss der Landesherrschaft festgestellt werden, die vor allem die Rechte der Grundherren, dann aber auch die der gemeindlichen Selbstverwaltung beschränkt. Doch auch dieser Prozess verlief nicht nur von oben nach unten. Der Wandel des rechtlichen Systems antwortete auch auf Bedürfnisse aus der Bevölkerung, „welche dem Disziplinierungsprozess weder passiv gegenüberstehen noch die gesetzliche Norm ablehnen“ (Weber, Sozialdisziplinierung, 440). Die ländlichen Gemeinden rezipierten nicht nur die Policeyordnungen, in manchen Fällen können sie auch als deren Urheber verstanden werden.

Dazu kommt, dass Gesetze, Ordnungen, Erlasse von der Bevölkerung nicht einfach angenommen oder abgelehnt wurde. Die Normensysteme der Obrigkeit und der ländlichen Bevölkerung stimmten in vielen Punkten nicht überein (z.B. außereheliche Sexualität, Anwendung von Gewalt). Es scheint den Untertanen aber nicht schwer gefallen zu sein, zwischen den verschiedenen obrigkeitlichen und dörflichen Moralcodes hin und herzuwechseln und sie jeweils in ihre eigenen Strategien einzubauen (vgl. Walz, Kommunikation, 244; Landwehr, Normdurchsetzung).

3.3.2.2. Kirchenregiment und Konfessionalisierung

Mit der Reformation und dem anschließenden Konfessionalisierungsprozess gelang es der Territorialherrschaft (v.a. der evangelischen) durch die Verdrängung der kirchlichen Institutionen weitere Herrschaftskompetenzen an sich zu ziehen. Eines der vorrangigen Ziele der Konfessionalisierung war ein konfessionell korrektes Verhalten der Untertanen und damit langfristig ihre Disziplinierung (Kirchengemeinde als Objekt der Kirchenzucht).

Dies wirkte sich auch auf die ländliche Bevölkerung aus. Zwischen 1555 und 1700 institutionalisierten die Landesherren in den meisten Territorien des Reichs landeseigene Behörden zur kirchlichen Aufsicht, verstärkten die Kontrolle von Pfarrern und Seelsorgern, versuchten neue Frömmigkeitsformen zu etablieren und die Gemeindemitglieder durch Sittenzucht und Bildung stärker zu binden und ein vorgegebenes Normengerüst zu implementieren. Ob und wieweit dieser Prozess gelang, ist in der Forschung umstritten (vgl. allg. zu Kritik an Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung: Schmidt, Sozialdisziplinierung).

Nicht zu bestreiten ist aber, dass im Rahmen des Konfessionalisierungsprozesses neue staatliche Institutionen ausgebildet wurden, die z.B. in der Form von Visitationen in die dörfliche Autonomie eindrangen. Die Obrigkeit begann weitgehende Bereiche des Alltags zu regeln (z.B. Friedhofsordnungen, Gestaltung der Gotteshäuser, Reglementierungen von Festen), besetzte z.B. durch Ehegerichte Positionen, die bisher die Kirche innegehabt hatte. 

Mit der Kontrolle der Geistlichen gewann die Obrigkeit die Möglichkeit, bis zur „Seele“ ihrer Untertanen vorzudringen. Wichtig erscheint auch, dass die direkte Kommunikation zwischen Gemeinden und Territorialherrschaft anstieg. Damit etablierte sich eine weitere Voraussetzung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen (vgl. Schnabel-Schüle, Kirchenvisitation, v.a. 173). 

3.3.2.3. Landesherrschaft, Steuern und Wirtschaftsreform

Nicht nur die Grundherren schöpften die bäuerlichen Erträge ab, auch wenn diese Abgaben mit fast 1/3 die wichtigste und größte finanzielle Belastung der bäuerlichen Bevölkerung darstellten. Doch es gab auch Abgaben, die direkt an den Landesherren oder gar an den Kaiser bzw. das Reich (z.B. Römermonat) flossen. Diese nahmen seit dem 16. Jh. ständig zu. Diese Abgaben gab es in Form von indirekten Steuern (z.B. Ungeld) und als direkte Steuern (Schatzung und Bede).

Mit dem Ausbau der Staatlichkeit im Laufe der FNZ verstärkte sich der staatliche Finanzbedarf und damit auch der Steuerdruck auf die ländliche Gesellschaft. Viele Landesherren versuchten die grundherrlichen Abhängigkeiten zu verringern, um selbst und direkt Steuern von der ländlichen Bevölkerung abschöpfen zu können. Daraus resultierte vor allem bei einer starken Landesherrschaft seit dem 16. Jh. eine gewisse „Bauernschutzpolitik“ (vgl. Münch, Lebensformen, 89-90). Bei schwachen Landesherrschaften äußerte sich der erhöhte Finanzbedarf dagegen oft nur in zügellos steigendem Steuerdruck und Beamtenwillkür (vgl. Schilling, Aufbruch, 142-143). 

Seit dem 17. Jh. hatten die Landesherren der meisten europäischen Länder damit begonnen, eine aktive Wirtschaftspolitik zu betreiben mit dem Ziel die Steuerleistungen der Untertanen zu erhöhen. Der Merkantilismus bzw. Kameralismus hatte sich vor allem auf Handel und Gewerbe konzentriert. Mit dem Aufkommen der physiokratischen Wirtschaftstheorie rückte im 18. Jh. die Landwirtschaft in das Blickfeld der landesherrschaftlichen Regierung. Die Rezeption der physiokratischen Ideen führte zu obrigkeitlichen Bemühungen, die Rechtsstellung der Bauern gegenüber den Grundherren zu verbessern, die Frondienste zu verbessern oder gar abzuschaffen. Gleichzeitig nahm in der zweiten Hälfte des 18. Jh. die aufklärerische Kritik an der rechtlichen Abhängigkeit der Bauern zu, wichtiger für die seit Ende des 18. Jh. einsetzende Bauernbefreiung waren aber wohl fiskalische Motive und die Durchsetzung des Gedankens, dass selbstständig wirtschaftende Bauern effizienter arbeiteten als abhängige (vgl. Möller, Fürstenstaat, 144-146).