3.6. Bäuerlicher Widerstand gegenüber der Herrschaft

von Reemda Tieben

„Bäuerlicher Widerstand“ als Forschungsobjekt erfreut sich erst seit den 1970er Jahren eines wachsenden Interesses unter Historikern der Bundesrepublik (Forschungsüberblick). Damit errang die bäuerliche Widerstandsforschung einen festen Platz in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft. Begannen die Historiker mit einer Bestandsaufnahme und Klassifizierungsbestrebungen von bäuerlichen Unruhen, so wurden seit der Mitte der 80er Jahre neue Akzente gesetzt: Detaillierte Studien zur ländlichen Sozialstruktur und Geschlechtsspezifik innerhalb der bäuerlichen Aufstände (z.B. Suter, „Troublen“ und Luebke, His Majesty´s Rebels) wurden in den Blick genommen. Außerdem interessierte man sich nun auch verstärkt für die sozialen Werte und Normen wie „Gemeiner Nutzen“ oder die „Auskömmliche Nahrung“ (z.B. Blickle, Hausnotdurft, 42-64; Schulze, Vom Gemeinnutz, 591-626) und für die Entwicklung einer politischen Öffentlichkeit durch Unruhen (z.B. Würgler, Modernisierungspotential). 

Diese Studien haben vor allem gezeigt, dass man nicht unreflektiert von „den Bauern“ oder „den Gemeinden“ als Widerständigen sprechen kann, sondern die Beteiligten sozial und geschlechtsspezifisch differenzieren und die innergemeindlichen Auseinandersetzungen um Ressourcen berücksichtigen sollte. 

Außerdem ist es ein großer Verdienst der bäuerlichen Widerstandsforschung, gezeigt zu haben, dass die ländliche Bevölkerung auch nach dem Bauernkrieg weder apolitisch war noch irrational gehandelt hat. Vielmehr versuchte man die ihren Handlungen innewohnende eigene Rationalität aufzudecken, die sich vor allem an der Norm der „gerechten Herrschaft“ orientierte. Dementsprechend stellt der bäuerliche Widerstand einen wichtigen Schlüssel zum zeitgenössischen Verständnis von Herrschaft und Beherrschung, zum Begriff der Gemeinde, zur ländlichen sozialen Differenzierung, der Rolle der Geschlechter und zum Einsatz bestimmter Normen zur Rechtsdurchsetzung und Rechtsverteidigung in der frühneuzeitlichen Kultur dar. 

Auch die Definition von Widerstand wurde inzwischen präzisiert. Man geht nun nicht mehr nur davon aus, dass kollektive, gewaltsame und von der Obrigkeit als illegal eingestufte Aktionen von Bauern in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen oder politischen Auseinandersetzungen mit ihren Grund- oder Landesherrschaften als Widerstand zu fassen sind:

  1. Ein breiterer Widerstandsbegriff bezieht alle Handlungen ein, die von den Zeitgenossen selbst im Zusammenhang mit kollektiven Auseinandersetzungen als erheblich betrachtet wurden und deshalb aktenmäßig festgehalten wurden. Dazu gehören alle Einzel- und Gruppenaktivitäten, die zu der gewaltsamen Auseinandersetzung insofern Bezug hatten, als sie sie herbeiführten oder begleiteten. Diese Aktionen konnten eben auch individuell oder legal ablaufen, wenn sie auch später von der Grund- oder Landesherrschaft als illegale Vorbereitung oder Begleitung des kollektiven gewaltsamen Widerstandes angesehen wurden.
  2. Unter Anwendung eines breiten Widerstandsbegriffes wird die aktive Nutzung von prozessualen Formen der Rechtsdurchsetzung als Widerstand definiert (zum breiteren Widerstandsbegriff: Suter, „Troublen“, 156f. und Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 87). 
  3. Es sollten aber nicht nur organisierte Auseinandersetzungen (offene Revolten bzw. Prozesse) als Widerstand erfasst werden, sondern auch das Massenphänomen der unspektakulären „Alltags-Abwehr“, sofern es mit den obrigkeitlichen Forderungen kollidierte (zur Alltags-Abwehr: Peters, Eigensinn, 85-103).

3.6.1. Ursachen von bäuerlichem Widerstand

von Reemda Tieben

Nach Peter Blickle sind in der FNZ die Ursachen bäuerlicher Rebellion im Reich in drei Bereichen zu suchen, die er als den ökonomischen, den politischen und den ideellen Erklärungsansatz charakterisiert (Blickle, Modell bäuerlicher Rebellion, 296). 

  1. Der ökonomische Erklärungsansatz 
    Unter dem ökonomischen Erklärungsansatz versteht Blickle die Rebellion der Betroffenen als Reflex auf wirtschaftliche Mehrbelastung. Dazu gehören Erhöhung von Steuern, Abgabenerhöhungen verschiedenster Art, Ausweitung der Zehntforderungen, Vorenthaltungen der herrschaftlichen Gegenleistungen bei Frondiensten, Erhöhung der Dienste selbst, herrschaftliche Eingriffe in die Allmendenutzung und vieles andere mehr. Die Bauern begehrten also gegen steigende Anforderungen ihrer Grund- und Gutsherren oder der Territorialherren auf. Charakteristisch ist, dass es anscheinend nicht um ein Aufbegehren gegen die Armut an sich ging, sondern immer um den Widerstand gegen Neuerungen, die den Bauern eine Verschlechterung ihrer Situation bewusst machten (Blickle, Unruhen, 80; Wunder, Zur Mentalität aufständischer Bauern, 32).
  2. Der politische Erklärungsansatz
    Ihm liegt die Auffassung zugrunde, die bäuerliche Rebellion sei eine Auseinandersetzung zwischen dem sich entfaltenden Territorialstaat und der ihre kommunalen Rechte verteidigenden ländlichen Gesellschaft gewesen. 
  3. Der ideelle Erklärungsansatz
    Mit dem ideellen Erklärungsansatz bezeichnet Blickle religiöse Bewegungen als Ursache für bäuerliche Unruhen. 

Die Starrheit der Unterteilung in ökonomische, politische und ideelle Faktoren, die mit Widerstand ursächlich zusammenhängen, begreift auch Blickle als Problem. Denn ein rein wirtschaftlicher Erklärungsansatz qualifiziert den bäuerlichen Widerstand als reaktiv ab und interpretiert den Interessenhorizont der Bauern als beengt. Wirtschaftliche Beschwerden, die von den Bauern selbst vorgetragen wurden, konnten z.B. auch prinzipielleren, politischen Charakter haben. 

Zudem hat Winfried Schulze kritisiert, dass dieses Verfahren das Charakteristikum der Widerstandsaktionen als „kulturelle Tatbestände” außer Acht lässt (Schulze, Widerstand der Untertanen, 132). Er wies darauf hin, dass man die bäuerlichen Normen, Werte und Ziele während eines Widerstandes erarbeiten müsste, um die sog. „Reizschwelle“ der Bauern auszumachen (Schulze, Herrschaft und Widerstand, 187). Denn diese kulturell vermittelte „Reizschwelle”, die durch das als tradiert empfundene Maß an gerechter Herrschaftsausübung und an gerechter wirtschaftlicher Belastung, bestimmt wurde, war im Falle eines Widerstandes überschritten worden. Der vom Historiker „objektiv” feststellbare Grad an wirtschaftlicher, politischer oder ideeller Belastung ist für die Erklärung von Widerstand weniger bedeutsam als die Wahrnehmungen und Einstellungen der Handelnden zur Ausübung von Herrschaft und ihrer wirtschaftlichen Belastung. Die Existenz naturrechtlicher Normen für das Herrschaftsverhalten, die Kenntnis eventuell vorhandener alter Privilegien und das Wissen um die Lebensbedingungen früherer Generationen, welche einen Vergleich aktueller mit früheren Verhältnissen ermöglichte, steuerten das Verhalten von revoltierenden bäuerlichen Gruppen also in erheblichem Maße (Schulze, Widerstand der Untertanen, 134; Häberlein, Einleitung, 18).

3.6.2. Normen und Werte

von Reemda Tieben

Wie im Kapitel „Ursachen von bäuerlichem Widerstand“ erwähnt, entstand Widerstand nicht aus einer allgemein bedrückten Lage der Bauern im Gegensatz zu ihren Feudalherren, sondern eine gewisse „Reizschwelle“ musste überschritten und vom Historiker benannt werden, um zu erklären, warum, wann und wo Widerstand entstand. Diese regional verschiedenen Reizschwellen werden nach Winfried Schulze durch das als tradiert empfundene Maß „gerechter Herrschaftsausübung“ bestimmt (Schulze, Herrschaft und Widerstand, 187). Mit gerechter Herrschaftsausübung ist eine rechtlich und wirtschaftlich bestimmte Praktizierung von Herrschaft angesprochen, die durch die Untertanen der Herrschaft einer legitimen Normenkontrolle unterzogen ist. 

Die wichtigsten dieser Kontrollnormen der bäuerlichen Bevölkerung waren:

  1. „Gemeiner Nutzen“ 
    Das Begriffspaar „gemeiner Nutzen“ und „Eigennutz“ lässt sich als Kern des Normensystems der ständischen Gesellschaft vom späten Mittelalter bis in das 18. Jh. bezeichnen. Der „gemeine Mann“ legitimierte sein aufständisches Verhalten damit, dass die Grund- oder Landesherren sich nicht mehr am „Gemeinnutz” orientierten (Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz, 598f.). In diesem Zusammenhang sieht Peter Blickle den „Gemeinnutz“ in seinem Kommunalismuskonzept als zentralen Wert von Gemeinden, v.a. wenn diese sich im Widerstand gegen ihre Herrschaft befanden (Blickle, „Handarbeit”, „gemeiner Mann”, 237; Blickle, Begriffsbildung, 16).
  2. „Auskömmliche Nahrung“
    Allgemein akzeptiert war in der ständischen Gesellschaft die naturrechtliche Vorstellung, dass es jedem Menschen erlaubt sein musste, einen Angriff auf sein Leben abzuwehren. Der Wert der „Hausnotdurft“ oder der „auskömmlichen Nahrung“, wie ein anderer zeitgenössischer Begriff lautet, besagte, dass jedem „Haus“ eine seiner Größe und Ausstattung entsprechende Auskömmlichkeit zu sichern war. Die Kennzeichnung als Not-Bedarf verwies auf den damit einhergehenden notrechtlichen Anspruch auf eine ausreichende Versorgung. Die Gewährleistung des Notbedarfs wurde, wenn nötig, zur Beschränkung von herrschaftlichem Interessenegoismus genutzt, da für jedes „Haus“ ein Anrecht auf den Schutz seiner Existenz bestand, die man in den Augen der Zeitgenossen rechtmäßig auch mit Gewalt verteidigen durfte (Blickle, Nahrung und Eigentum, 76-85; Blickle, „Handarbeit”, „gemeiner Mann”, 237; Schulze, Herrschaft und Widerstand, 191).

3.6.3. Mittel des Konfliktaustrages

von Reemda Tieben

Winfried Schulze schlägt vor, zwischen latentem und offenem Konfliktaustrag zu unterscheiden:

  1. In der Phase des latenten Widerstandes entsteht die Unzufriedenheit über eine bestimmte Situation und die Widerständigen nähern sich einer „Reizschwelle“ an.
  2. Ist diese überschritten, so ergeben sich die offenen Formen des Widerstandes nicht in einer festlegbaren Stufenfolge, sondern in Abhängigkeit von der ökonomischen Situation der Bauern, der politischen Struktur des Territoriums und den Inhalten und Zielen der Bewegung (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 90). Zum offenen Widerstand gehören oft die Beschwerde, die Huldigungsverweigerung, der Einigungseid (Holenstein, Die Huldigung der UntertanenHolenstein, Seelenheil und Untertanenpflicht) die Abgaben- oder Dienstverweigerung, die Einschaltung von Schiedsrichtern oder übergeordneten Instanzen wie Gerichten, des Kreis-, Land-, Reichstages und des Kaiserhofes und das Mittel der Gewalt (Blickle, Modell bäuerlicher Rebellion, 305f.). Eine spezielle und seltene Form des Widerstandes ist das „Austreten” einer Gemeinde aus dem Herrschaftsgebiet ihres Landesherrn (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 93f.). Winfried Schulze differenziert in Bezug auf diese Mittel noch einmal zwischen manifesten Formen des Widerstandes (nicht gewaltsamen Formen) und gewaltsamen Formen des Konfliktaustrages (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 95-114).

Nach dem Bauernkrieg und im weiteren Verlauf der FNZ lässt sich eine Verrechtlichung der Konflikte zwischen Bauern und Herrschaft feststellen: Winfried Schulze verwies auf die seit dem 16. Jh. ausgebauten Möglichkeiten für die Untertanen, ihre Konflikte mit einem Herren durch das Anrufen einer höheren Obrigkeit, eines höheren Gerichts zu lösen und so prozessualen Widerstand auszuüben. Zum Beispiel wurden Mittel und Wege für die bäuerlichen Untertanen zur Verfügung gestellt, in einem Konflikt mit dem Grundherren an den territorialen Gerichten und bei Streitigkeiten mit reichsunmittelbaren Herren am Reichskammergericht Hilfe zu finden (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 76ff. u. 106-110; Schulze, „Rechte der Menschheit“, 46-50). 

Die Zunahme der bäuerlichen Beschwerde- und Prozesstätigkeit an territorialen und Reichsgerichten zeige, dass die Möglichkeiten zu gerichtlichen Klagemöglichkeiten von den bäuerlichen Untertanen vermehrt ergriffen wurden (Schulze, Veränderte Bedeutung sozialer Konflikte, 288; Troßbach, Bäuerlicher Widerstand in deutschen Kleinterritorien, 4f.). Bewusst wurde die starke Aufsplitterung der Herrschaftsrechte im Reich ausgenutzt, so dass die Untertanen verstärkt an den Kaiserhof nach Prag und später nach Wien, zum Kreis- oder Reichstag oder zum Reichskammergericht nach Speyer oder Wetzlar zogen. Der prozessuale Widerstand durch den Gang an ein höheres Gericht war im Verständnis der Gemeinden, als Basisorganisationen von Widerstand, fest verankert. Er bot für die Gemeinden zwei wichtige Vorteile: Sie konnten sich einmal durch die Beschwerde an ein höheres Gericht von dem Verdacht reinigen, sich gänzlich von Herrschaft befreien zu wollen. Zum anderen bot die Unterstellung unter das höhere Gericht die Gewähr, Schutz vor ihrem Herrn zu finden (Schulze, „Rechte der Menschheit“, 50ff.).

3.6.4. Ziele bäuerlichen Widerstands und das „gute alte Recht“

von Reemda Tieben

In der älteren Forschung – und teilweise auch in der neueren – ging man davon aus, dass die bäuerlichen Widerstände reaktive soziale Proteste darstellten. Charles Tilly definierte einen reaktiven Protest als geleitet durch Zielvorstellungen, etablierte Ansprüche erneut zu bekräftigen, wenn die Herrschaft diese herausforderte oder bedrohte. So war für ihn der Kern der europäischen Bauernunruhen vom 17. bis zum 19. Jh. zu betrachten als Widerstand von geschlossenen, solidarischen Bauernunruhen gegenüber Versuchen von außerhalb, ihre erworbenen Rechte und Lebensweisen zu brechen. Diese reaktiven Proteste grenzte er ab von den proaktiven Zielen von Gruppen des 19. und 20. Jh.s und von den konkurrierenden Zielen zwischen Gruppen oder innerhalb von Gruppen, zu denen er z.B. den Charivari zählt und die er dem 15. und 16. Jh. zuordnet (Tilly, Hauptformen, 153-162).

Die reaktive Interpretation der bäuerlichen Widerstände wurde aus den Quellen, die für die bäuerliche Bevölkerung aus Mangel an autobiographischen Zeugnissen und Briefwechseln v.a. aus Gerichtsakten bestehen, besonders unterstützt durch den immer wieder auftauchenden Rekurs der Bauern auf das „gute alte Recht“. Dieser bildete einen wichtigen Topos für die Legitimation bäuerlichen Widerstandes. Bauern waren bemüht, ihre Beschwerden und Forderungen in einen rechtlichen Begründungszusammenhang zu bringen. Zu diesem Zweck beriefen sie sich auf ein altes Herkommen oder eine alte Freiheit, um ihre Ziele zu erreichen. Die Vorstellung einer alten Freiheit, die nur gerüchteweise bekannte Existenz einer alten Urkunde konnte außerdem einen motivierenden Effekt für den Widerstand haben. Dieser Rechtsauffassung lag die sich mit heutigen Vorstellungen widersprechende Annahme zugrunde, dass Recht immer schon vorhanden war und nur gefunden werden musste. Aus diesem Legitimationsstrang der Bauern schlossen und schließen Historiker, dass jene reaktiv bzw. traditional handelten, also vorwiegend versuchten, alte Gewohnheiten oder Rechte wiederherzustellen. 

Otto Brunner hat im Gegensatz dazu schon früh darauf hingewiesen, dass der Rekurs auf das „alte Recht“ nicht einfach zeigt, dass die Bauern sich an der Tradition, dem Überkommen oder der Geschichte als Legitimitätsgrund für ihren Widerstand orientierten. Die oft wiederkehrende Behauptung, etwas sei „altes Recht“, will nur dieses Recht als dem Herkommen, der Gewohnheit, dem Rechtsbewusstsein entsprechend darstellen, konnte aber auch Neuerungen beinhalten. Die Menschen lebten in einer Ordnung, die ihnen als „alt“ erschien, weil sie nach ihrer Überzeugung gut und richtig war und daher in der Geschichte gegolten hatte, wie sie in der Gegenwart galt. Alles Recht, das als gültig empfunden werden sollte, musste alt sein, da das Recht eins mit dem göttlichen Recht war. Die religiöse Fundierung des alten Rechts begründete auch die Vorstellung, dass das konkrete alte Recht mit einer idealen Gerechtigkeit identisch war. Gerechtigkeit war sowohl die Idee des Rechts, wie jeder konkrete Rechtsanspruch eines Einzelnen. Die Formel vom „guten alten Recht“ war der Ausdruck eines Rechtsdenkens, dem Recht und Gerechtigkeit identisch waren. Bauern konnten sich so auf positives altes Recht berufen, das gleichzeitig Gerechtigkeit darstellte, um für eine „gerechte Herrschaft“ zu kämpfen, d.h. entweder Ansprüche der Herrschaft zu beschränken oder selbst Druck auf die Herrschaft auszuüben, um Neuerungen durchzusetzen.

Auch Winfried Schulze grenzt sich nachdrücklich von der Vorstellung reaktiver Proteste und einer Deutung des Rekurses auf das „gute alte Recht” als Rückbezug auf eine Tradition ab und behauptet, dass die bäuerlichen Gemeinden eine Vorstellung einer Welt ohne Herren, ohne Abgaben, Dienste und Zwänge hatten und ein proaktives Bild einer bäuerlich bestimmten und selbstverwalteten Welt entwarfen. Darin herrschte die göttlich-rechtliche Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen. Dieser „Traum der Freiheit“ gab dem praktischen Widerstand nach Schulze seine für uns so schwer nachvollziehbare Beharrlichkeit und stellte die große Utopie dar, in der jede neu erkämpfte Freiheit ein Stück dieses großen Traumes war (Schulze, Herrschaft und Widerstand, 195ff.; siehe auch Blickle, Modell bäuerlicher Rebellion, 302).

3.6.5. Folgen von Widerstand

von Reemda Tieben

Bis zu den 70er Jahre des 20. Jh.s waren Historiker davon überzeugt, dass der Bauernstand für den historischen Prozess nichts oder wenig geleistet hatte. Nun betont man jedoch, dass sich durch bäuerlichen Widerstand die Agrarverfassung und die Territorialverfassung der betroffenen Gebiete veränderte. Diese Veränderungen führten entweder zu einer Stärkung oder einer Schwächung der herrschaftlichen Position und damit auch der Position der beherrschten Bauern. Winfried Schulze machte auf die Ambivalenz von fortschreitender Kontrolle und Kriminalisierung von Widerstand durch die Herrschaft einerseits und steigender Sensibilisierung derselben für den Zusammenhang von „Unterdrückung und Misswirtschaft und Widerstand“ andererseits hingewiesen. Er sieht demnach bäuerlichen Widerstand als einen „regulativen Faktor adliger und staatlicher Herrschaft“ und als einen „Impuls zur Rationalisierung von Herrschaft“ (Schulze, Wirkungen, 268ff., 274ff., 284f.). Nach Schulze wird durch die Widerstände der Bauern eine „Verrechtlichung sozialer Konflikte“ durch die Herrschaft eingeleitet. Verträge, Urteils- und Schiedssprüche, die Konflikte beenden und die strittigen Punkte in rechtlicher Form zum Ausgleich bringen konnten, berührten außerdem die Rechtsstellung der Bauern, die Rechtsformen der verliehenen Güter, das Gerichtsverfassungsrecht und die Kompetenzen der Gemeinden bzw. Genossenschaften. Wenn auch die Erfolge der Bauern hinter ihren Zielen zurückblieben, so ist doch festzuhalten, dass durch Rebellionen erheblicher Einfluss auf territoriale und grundherrschaftliche Politik genommen werden konnte (Blickle, Modell bäuerlicher Rebellion, 306-308).

Die Folgen bäuerlichen Widerstandes beschränkten sich allerdings nicht nur auf das Territorium oder den engeren grundherrschaftlichen politischen Verband, in dem der Bauer lebte. Aufgrund widerständigen Handelns wurde z.B. auch langfristiger Einfluss auf die politische Kultur frühneuzeitlicher Territorien und die Genese einer politischen Öffentlichkeit ausgeübt (Suter, Regionale politische KulturenGabel, Schulze, Peasant ResistanceGabel, Widerstand und KooperationWürgler, ModernisierungspotentialWürgler, Unruhen und Öffentlichkeit).

3.6.6. Landgemeinde als Basis für Widerstand

von Reemda Tieben

Die Landgemeinde war neben dem bäuerlichen Besitzrecht und der Entwicklungsstufe der staatlichen Herrschaft ein entscheidendes Kriterium für die Erfolgschancen bäuerlichen Widerstands gegen die Grund-, Guts- und Territorialherrschaft (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 113; Holenstein, Bauern, 78).

Im Rahmen der Gemeinde spielten sich zuallererst die Geschehnisse ab, die zum Eintritt und zur Manifestation eines Widerstandes führten (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 115). Über ihre Bedeutung als kleinste Einheit des Widerstandes war die Gemeinde außerdem entscheidend, wenn sich der Widerstand über ein größeres Gebiet wie auf der Ebene eines Gerichts, eines Amts oder gar einer kleineren Herrschaft erstreckte. Für die Willensbildung unentbehrlich stellten die Gemeinden die gewählten Vertreter in den bäuerlichen Ausschüssen, die für eine Bewegung in einer größeren Einheit zuständig waren. Diese Vertreter blieben ihren Wählern, der Gemeinde, auch rechenschaftspflichtig. 

Ein besonderes Problem im Widerstand stellte sich mit der Notwendigkeit, in der Auseinandersetzung mit Obrigkeit oder Reichsgerichten eine möglichst einheitliche Position der Gemeinde nach außen vertreten zu müssen. Hatte sich eine Mehrheit für den Widerstand gefunden, so musste es dieser sehr daran gelegen sein, im Namen der Gesamtgemeinde zu sprechen, um so eine größere Legitimationsbasis zu erhalten. Um die Einstimmigkeit des Widerstandes zu erreichen, griffen die Widerständigen auf das übliche Mittel zurück, diejenigen, die sich nicht dem Widerstand anschlossen, aus der Nutzungsgemeinschaft der Gemeinde auszuschließen, d.h. ihnen die gemeinsam genutzten Güter, Werkzeuge und Ländereien zu verbieten. So wurde die Gemeinde als Wirtschaftseinheit zum Garanten einer einheitlichen Bewegung (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 117). 

Aber auch der Gemeinde als Ritualgemeinschaft kam eine besondere Rolle im Widerstand zu: Offensichtlich bedurfte der offene Widerstand in den Gemeinden einer Absicherung, die über die einfache Zustimmung der Gemeindemitglieder hinausging. Um den Zusammenhalt zu beschwören, wurden verschiedene rituelle Handlungen unter den Bauern durchgeführt. Z.B. beschworen die Bauern von Kemnitz in der Oberlausitz im Jahre 1592 ihre Einheit, indem sie alle durch einen - die Einheit symbolisierenden - Reifen hindurchkrochen und dabei zwei Finger zum Gelübde hochstreckten (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 118).

Diese rituellen Handlungen und das Anbinden der Minderheit an die Mehrheit durch wirtschaftliche Sanktionen zeigt, dass man die innere Organisation und Willensbildung der aufständischen Gemeinden als eine intensivere Stufe des normalen Zusammengehörigkeitsgefühls bewerten kann, das durch den Druck von außen verstärkt wurde (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 119).

Da die Gemeinde als zentrale Organisationseinheit und Trägerin des bäuerlichen Widerstandes in der Gemeindeforschung gilt, wurde zum Teil vermutet, dass in Gebieten mit entwickelter Gemeindeautonomie (Südwestdeutschland, Franken, Alpenraum, Ostfriesland, Dithmarschen) sich gewaltsame Widerstände der Bauern häuften (Holenstein, Bauern, 110; Blickle, Unruhen, 20).

Eine zu starke Betonung des Gemeindecharakters jeder bäuerlichen Bewegung würde jedoch ein zu zersplittertes Bild des Widerstandes ergeben und würde einer Deutung von bäuerlichem Widerstand als „Lokalborniertheit“ Vorschub leisten, denn Zusammenschlüsse mehrerer Gemeinden mit ähnlichen Zielen würden so nicht mehr beachtet werden. Betrachtet man z.B. die Konflikte, die seit dem späten 16. Jh. und vermehrt in vielen Prozessen im 18. Jh. an die Reichsgerichte gingen, so sind hier im Allgemeinen größere Einheiten als Grundlagen der Bewegungen auszumachen (Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 116).