4.2. Stadttypen der Frühen Neuzeit

von Claudia Strieter

Die FNZ war eine Zeit der funktionalen Differenzierung der Städte (Schilling, Die Stadt, 20-38). Territorialstaatliche Interventionen haben die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den frühneuzeitlichen Städten maßgeblich mitbestimmt, so gingen die Neugründungen vornehmlich von Berg-, Exulanten- und Residenzstädten auf obrigkeitliche Initiativen zurück.

Neben Neugründungen spielte aber auch die Übernahme von Funktionen bereits bestehender Städte, die fortan ihren Charakter bestimmten und von denen ihr Wachstum und ihre sozioökonomischen Chancen abhingen, eine große Rolle, so z.B. die Etablierung als Überseehandelsplatz, Universitätsstadt oder Finanzzentrum. Vielfach überlagerten sich jedoch auch verschiedene Funktionen, so dass die Städte aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben werden können. Für eine Typologisierung bieten sich zum einen der wirtschaftliche Charakter der Städte an und zum anderen die Stellung der Stadt im Verfassungsgefüge des Alten Reiches. Der dritte Punkt der Sondertypen versucht Stadtneugründungen, die typisch für die FNZ sind, gesondert einzufangen (Gerteis, Städte, 18-28).

4.2.1. Wirtschaftlicher Charakter

4.2.1.1. Ackerbürgerstädte

Als Ackerbürgerstädte werden Städte bezeichnet, die sich „vom Land weniger wirtschaftlich, sondern in erster Linie auf der Basis von Privilegierung und dem daraus resultierenden Zentralitätsgewinn unterscheiden.“ (Keller, Kleinstädte, 47). Sie besaßen zwar Stadtrecht, waren aber „wirtschaftlich, sozial und kulturell eigentlich keine Städte“ (Fehn, Ackerbürgerstadt, 81). Deren Bewohner lebten überwiegend von der Landwirtschaft und produzierten neben der Eigenversorgung auch für den Markt. Das Handwerk war insgesamt wenig spezialisiert und die soziale Gliederung wenig differenziert (Gerteis, Städte, 29).

Der Begriff ist in der Forschung „pejorativ konnotiert und keineswegs unumstritten.“ (Keller, Kleinstädte, 47). Insbesondere die pauschale, oftmals abwertende Bezeichnung jeder Kleinstadt, deren Erscheinungsbild durch die Landwirtschaft bestimmt wurde (van Dülmen, Kultur, 73), als Ackerbürgerstadt wird v.a. von volkskundlicher Seite stark kritisiert (Spohn, Aspekte). Durch den hohen Anteil der Selbstversorgung seien die meisten Städte durch städtische Viehhaltung, Misthaufen vor der Tür etc. landwirtschaftlich geprägt gewesen, ohne zugleich über einen relevanten Anteil an Ackermännern, d.h. städtischen Bauern zu verfügen. Spohn hat für das allgemein als Ackerbürgerstadt geltende Unna nachgewiesen, dass 1783 nur 8,2% aller Haushalte „ackerbürgerlich“ tätig waren (Spohn, Aspekte, 172). Der hohe Anteil landwirtschaftlicher Produktion sei dagegen Handel- und Gewerbetreibenden zuzuschreiben, die für die Eigenversorgung bäuerliches Gesinde beschäftigten und deren Agrarproduktion die der Ackerleute weit überschritt. 

4.2.1.2. Marktstädte

„Die Städte dieses Typs sind häufig an der Grenze zwischen unterschiedlich gestalteten Wirtschaftsräumen gelegen oder im Mittelpunkt eines ausgedehnten agrarischen Umlandes.“ (Gerteis, Städte, 29). Sie besitzen Privilegien für Jahr- und Wochenmärkte oder aber spezialisierte Märkte bspw. für Vieh. Ihre Einwohner betrieben vorwiegend regionalen Handel. 

4.2.1.3. (Export)gewerbe- und Handelsstädte

Diese Städte sind eingebunden in Fernhandelsnetze und besitzen ein spezialisiertes Handwerk – häufig Textilhandwerk. Bei sehr großen Handelsstädten, die durch Seehandel oder bedeutende Messen und städtisches Bankwesen über ihr Umland hinaus Bedeutung erlangt hatten, spricht die Forschung auch von „Handelsemporien“ (Gerteis, Städte, 29f.).

Gewerbe- und Handelsstädte sind besonders geprägt von einer auf Export ausgerichteten „handwerklich gewerblicher ‚Monokultur‘“ (Keller, Kleinstädte, 53), daneben findet sich aber auch ein differenziertes Versorgungshandwerk und Dienstleistungsgewerbe für die Stadt. „Die größeren Gewerbe- und Handelsstädte besitzen entweder ein Territorium oder abhängige Dörfer. Das umliegende Land wird häufig mittels des Verlags oder in Zuliefererfunktion in die gewerbliche Produktion der Städte einbezogen.“ (Gerteis, Städte, 29). Sie zeichnen sich häufig durch eine kulturelle Vorreiterrolle aus, indem sie in besonders hohem Maße über Bildungseinrichtungen und Druckereien verfügten (van Dülmen, Kultur, 73).

4.2.2. Frühneuzeitliche Städtetypen

von Claudia Strieter

Diese in der Forschung als „Sondertypen“ (Ennen, Stadt, 205) oder „frühneuzeitliche Städtetypen“ (Stoob, Forschungen, 246-284) bezeichneten Städte traten in FNZ zu den mittelalterlichen Handels- und Gewerbestädten, Bischofsstädten, Pfalz- und Burgstädten hinzu. Sie machten „jedoch nur einen Anteil von rund 10% der Gesamtzahl frühneuzeitlicher deutscher Städte aus“ (Gerteis, Städte, 28).

4.2.2.1. Bergstädte

Bergstädte gingen auf landesherrliche Gründungen oder Ausbauten auf der Grundlage des Erzbergbaus in den Mittelgebirgen und Alpen zurück. Sie erlebten auf der Grundlage einer erhöhten Nachfrage nach Edel- und Halbedelmetallen und technischer Veränderungen, die größere Fördertiefen ermöglichten, ihre Blütezeit im ausgehenden 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jh.s (Stoob, Forschungen, 253). In dieser Zeit gab es in etwa 180-200 Bergstädte (Harz: Clausthal, Zellerfeld, Andreasberg, Altenau, Lauterberg, Erzgebirge: Annaberg, Schneeberg, Joachimsthal, Alpen: Schwaz, Rattenberg, Sterzing, Kitzbühel, Schladming). „Kleine Flecken wuchsen rasch zu bedeutenden Städten an, oder Städte wurden vollkommen neu angelegt, wenn man auf ergiebige Erzadern traf. [...] Allerdings ging die Einwohnerzahl auch wieder stark zurück, wenn die Gruben sich als nicht mehr ergiebig erwiesen.“ (Gerteis, Städte, 18f.). 

Aufgrund der besonderen landesherrlichen Interessen an Bergbau und Hüttenwesen (gesteigerter Geldbedarf, Nachfrage nach Metallen für Geschütze) verfügten Bergstädte in der Regel über besondere steuerliche Privilegien und ein hohes Maß an Gemeindeautonomie. In ihrer gewerblichen Struktur zeichneten sie sich durch Dominanz von Bergbau und Hüttenarbeit sowie von Metallhandwerken aus. Gründe waren die Nähe zum Rohstoff und der Bedarf von Werkzeugen und Hilfsmaterialien in Bergbau und Hüttenwesen (Keller, Kleinstädte, 57; allgem. auch Knittler, europäische Stadt, 75ff.).

4.2.2.2. Exulantenstädte

Wanderungsbewegungen von Glaubensflüchtlingen infolge von Reformation und Gegenreformation hatten insbesondere im 17. Jh. unter dem Schirm einiger Landesherren zur Gründung von Exulantenstädten oder zumindest zum prägenden Einfluss von Exulanten in zahlreichen deutschen Städten geführt (wichtigste Gruppen: Hugenotten: Berlin, Karlshafen, Homburg, Neu-Isenburg; Kalvinisten und Mennoniten aus den Niederlanden: Krefeld, Altona, Neuwied, Frankenthal; Salzburger Protestanten: Schlesien und Sachsen, z.B. Johanngeorgenstadt). 

Diese Städte waren vielfach mit besonderen Privilegien ausgestattet, die ein blühendes gewerbliches Leben vielfach außerhalb von Zunftbegrenzungen entstehen ließen. Sie florierten nicht zuletzt, weil die Flüchtlinge neue wirtschaftliche Produktionsweisen mitbrachten. Die Landesherren, insbesondere der brandenburg-preußische, hatten das rasch erkannt und nutzten die Exulanten für ihre Peuplierungs- (d.h. Ansiedlungs-) und Wirtschaftspolitik (Gerteis, Städte, 20ff.; Stoob, Forschungen, 253, 261-275; Knittler, europäische Stadt, 71-75).

4.2.2.3. Festungsstädte

Neue Waffentechniken – die Entwicklung mauerbrechender Schusswaffen – machten, weil die alten mittelalterlichen Stadtmauern ihre Funktion verloren hatten, neue Befestigungsanlagen notwendig. 

In der zweiten Hälfte des 17. Jh.s kam es zu Neugründungen von Städten mit ausgesprochen militärischem Charakter, insbesondere vorangetrieben durch den Generalkommissar des Festungswesens Vauban (1633-1707) an der Rheinlinie, der Ostgrenze Frankreichs. Daneben wurden im Zusammenhang mit landesherrlicher Machtpolitik häufig bestehende Städte durch Stationierung von Garnisonen und Anlage eines Bastionssystems mit großem freien Schussfeld umgestaltet, so z.B. Wesel.

Charakteristika dieser Städte waren zum einen die beschränkten Möglichkeiten, „über das vorgegebene, von den militärischen Funktionen bestimmte Maß hinaus zu wachsen“ (Gerteis, Städte, 24-28), zum zweiten die Trennung zwischen Bürgerstadt und Militärbereich mit seiner Vielfalt militärischer Bauten, wie Kasernen, Depots, Pulvermagazinen, Militärplätzen und zum dritten ihre planvolle Gestaltung orientiert an funktionalen, geometrischen Planungsschemata der Idealstadt (Fallbeispiel zu Stade: Eichberg, Ökonomie und Festung, allgem. außerdem: Knittler, europäische Stadt, 56-65).

4.2.2.4. Haupt- und Residenzstädte

Nach Schilling ist das Typische des frühneuzeitlichen Städtewesens der rasche Aufstieg der Residenz- und Hauptstädte und damit der Prägung durch das Politische statt durch Handel und Kaufleute (Schilling, Die Stadt, 37).

Diese Städte verfügen in den meisten Fällen über keine Selbstverwaltung. Sie sind wirtschaftlich abhängig und sozial dominiert vom fürstlichen Hof, der das Zentrum der barocken Stadtplanung bildet, die durch klare, streng geometrische Grundrisse geprägt ist (z.B.: Potsdam, Karlsruhe, Ludwigslust). Außerdem lässt sich in diesen Städten – wie übrigens auch in den Reichsstädten – eine Zunahme an Monumentalität der Bauweise erkennen, die zum einen einem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis geschuldet ist. Zum anderen werden aber auch immer mehr Verwaltungsgebäude notwendig, die nach den jeweils neueren Gestaltungsprinzipien errichtet werden (Gerteis, Städte, 46f.).

Die Sozialstruktur ist durch Adel und Dienstboten, Militär und Beamte geprägt. Das Gewerbe ist vielfältig und stark am Bedarf des Hofes nach Luxusartikeln orientiert. Neben Neugründungen werden häufiger bestehende Städte um barocke Residenzviertel mit Schloss erweitert (z.B.: Berlin-Charlottenburg, München-Nymphenburg, Hannover-Herrenhausen, Bonn-Poppelsdorf). Auch das Umland war vielfach auf die Haupt- und Residenzstädte ausgerichtet: Sommersitze und Jagdschlösser wurden angelegt, Hofadel und Bürokratie siedelten sich an und zur Versorgung des Hofes wurden Kammergüter unterhalten (Gerteis, Städte, 24; van Dülmen, Kultur, 72).