4.3. Stadtverfassungen

von Claudia Strieter

Insbesondere im Zusammenhang mit diesem Kapitel muss eine Grundtatsache frühneuzeitlicher Stadtforschung berücksichtigt werden: „Keine Stadt war mit der anderen unmittelbar vergleichbar, sowohl von der Größe und vom Erscheinungsbild wie von den politischen Rechten der Bürger und von ihrem kulturellen Selbstbewusstsein her.“ (van Dülmen, Kultur, 71.) Vor diesem Hintergrund ist es nur möglich, recht allgemeine Aussagen über Stadtverfassungen zu machen, die lokal jeweils sehr große Unterschiede aufwiesen.

4.3.1. Einwohner und ihre Rechte

von Claudia Strieter

Die Stadt ist ursprünglich ein Rechts- und Friedensverband der Bürger. Die Bürgerschaft ist die durch Schwureinung bzw. Bürgereid begründete Gesamtheit aller Rechtsgenossen.

Die Erlangung des Bürgerrechts und die Zulassung zum Schwören des Bürgereides war an bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft, die je nach Stadt unterschiedlich waren. Allgemein galt jedoch, dass die Anwärter, um den Bürgereid leisten zu können, von ehelicher Geburt sein mussten; bei Fremden war der Nachweis mittels Frei- und Geburtsbrief verlangt. Außerdem sollten sie ein eigenständiges Gewerbe betreiben, über Grundbesitz verfügen, einen selbstständigen Hausstand führen und das jeweils mit dem Rat der Stadt ausgehandelte Einzugsgeld aufbringen können. Das so erworbene Bürgerrecht umfasste Partizipationsrechte an der städtischen Regierung, sowie Privilegien, wie das Wahlrecht, die Nutzungsrechte an der städtischen Allmende, der bevorzugte Erwerb von Grundbesitz und das Recht auf städtische Wohlfahrt und Fürsorge. Insbesondere die Erlaubnis „bürgerliche Nahrung“ betreiben zu können, stellte ein bedeutsames wirtschaftliches Recht dar. Mit diesen Rechten waren aber auch Pflichten verbunden, wie die Unterwerfung unter die städtischen Gesetze und die städtische Gerichtsbarkeit, Steuer- und Wehrpflicht sowie die Verrichtung von Diensten, bspw. dem Brandschutz (Isenmann, deutsche Stadt, 93-98).

„Auch Frauen war es in vielen Städten grundsätzlich möglich, das Bürgerrecht zu erlangen. In Köln beispielsweise galten die Ehefrauen und Witwen der Bürger ohne besonderes Aufnahmeverfahren als Bürgerinnen; unverheiratete Frauen wurden wie die Männer gegen Leistung des Aufnahmegeldes und des Bürgereides in das Bürgeraufnahmebuch eingetragen.“ (Schulz-Hönerlage, Burgeraid, 10). In anderen Städten ist ein Bürgerrecht für Frauen nicht nachweisbar. Hier leitete es sich wohl aus der Bürgerschaft des Ehemannes ab. Allgemein gilt jedoch, dass Frauen nicht in den Rat wählbar waren und somit auch keine aus dem Bürgerrecht abgeleiteten politischen Partizipationsmöglichkeiten wahrnehmen konnten (vgl. Wunder, Er ist die Sonn’, 220ff.).

Die Einwohnerschaft der Städte bestand nicht nur aus Vollbürgern, diese stellten i.d.R. sogar nur eine Minderheit dar. Zur Stadtbevölkerung gehörten außerdem zum einen die Eximierten, d.h. Einwohner mit rechtlichem Sonderstatus – Geistliche, Adlige mit Sitz in der Stadt, Militärangehörige, sowie in den Residenzstädten das Hofpersonal, zum anderen unterbürgerliche Gruppen, so genannte Schutzverwandte oder Beisassen. Dies waren Handwerker so genannter „unehrlicher Berufe“, Gesellen, Dienstpersonal und Juden. Die Angehörigen dieser Gruppen partizipierten alle in je unterschiedlicher Weise an den Stadtrechten und hatten gegenüber der Stadt verschiedene Pflichten und Abgaben zu leisten (Isenmann, deutsche Stadt, 98-102; Münch, Lebensformen, 88; zur Unehrlichkeit: Nowosadtko, Die EhreDülmen, Der ehrlose Mensch).

4.3.2. Institutionen

von Claudia Strieter

4.3.2.1. Rat

Der Rat vertrat die Stadt nach außen und wirkte obrigkeitlich nach innen. So lagen die Gerichtsbarkeit, Beschlüsse in Finanzsachen sowie der Erlass von Policeyordnungen, Willküren und Verordnungen in seiner Verantwortung. 

Im Spätmittelalter und zu Beginn der FNZ hatte es in vielen Städten erfolgreiche Partizipationskämpfe der Zunftbürger gegeben. Diese hatten zur Folge, dass der Rat abgestuft war in großer und kleiner Rat oder dass neben den Rat Kontrollinstanzen der Bürger traten. Der kleine Rat war in der Regel aus einer schmalen Schicht von Honoratioren rekrutiert; d.h. wohlhabenden und deshalb abkömmlichen Bürgern (reiche Handwerker und Kaufleute oder Patrizier, im 18. Jh. vermehrt Notare und andere Akademiker). Er traf die Entscheidungen, repräsentierte die Stadt und stellte den Bürgermeister. Daneben setzte sich der große Rat aus den Zünften und Stadtquartieren zusammen und hatte vornehmlich das Recht, die Rechnungslegung, d.h. die Finanzen zu kontrollieren (van Dülmen, Kultur, 108; Fuchs/Raab, Wörterbuch, 660; Gerteis, Städte, 66f.). „Praktisch handelte es sich […] [bei der Ausweitung der Partizipation, C.S.] oft nur um sukzessive Ergänzungen der städtischen Oligarchie, die sich je länger desto mehr nicht mehr als Vertretung der Gemeinde, sondern als deren gottgesetzte Obrigkeit betrachtete.“ (Reinhard, Staatsgewalt, 244). Die Besetzung der Ratsgremien war sehr unterschiedlich geregelt: Entweder ergänzte der Rat sich selbst (Kooptation), seine Besetzung erfolgte durch den Stadtherrn, er wurde durch die Bürgerschaft gewählt oder diese Verfahren wurden kombiniert.

Seit dem 16. Jh. griffen die Stadtherren jedoch im Zuge der zunehmenden Mediatisierung in vielen Territorien in die Selbstverwaltung der Städte ein und schränkten auch die Gerichtshoheit ein (Wiese-Schorn, Selbstverwaltung). Aber dieser sukzessive Verlust von Autonomie ist nicht als „Verfallsgeschichte“ zu lesen, denn durch diese Eingriffe ergaben sich für viele Städte auch Entwicklungschancen (Schilling, Die Stadt, 43-46, 79).

4.3.2.2. Verwaltung

Die Tätigkeiten der städtischen Obrigkeit und Verwaltung gliederten sich in sechs große Bereiche: 

  1. den politischen Bereich: Gesetzgebung, Außenpolitik, Verleihung des Bürgerrechts, 

  2. die Rechtsprechung, 

  3. Verwaltung der Militärangelegenheiten, 

  4. Kirchen- und Schulverwaltung, 

  5. Finanzen, 

  6. Innere Ordnung/Policey (Gerteis, Städte, 87f.).

Zur Verrichtung dieser Tätigkeiten und Aufgaben wurde z.T. auf Amtspersonal, d. h. (unbesoldete) Ehrenämter, die von Ratsherren, Gemeindeleuten oder Zunftmeistern wahrgenommen wurden, und auf festbesoldetes Dienstpersonal zurückgegriffen.

Zum festbesoldeten Dienstpersonal gehörten in den meisten Städten der Stadtsyndikus, Stadtadvokat oder Stadtschreiber, der die Kanzlei unter sich hatte und Prozesse der Stadt gegen Privatpersonen oder Institutionen führte, sowie weitere Schreiber, Gerichtsdiener und Schulmeister. 

Hinzu kam die Rekrutierung des Amtspersonals aus weiteren innerhalb der Stadt existierenden gemeindlichen Organisationsformen; den Stadtvierteln mit ihren Viertelsmeistern, Ausschüssen der Bürgerschaft, Schützengesellschaften und Handwerkszünften. Die Stadtviertel waren vielfach für die Bürgerdienste, wie den Brandschutz verantwortlich. Die Zünfte übten policeyliche Tätigkeiten aus, indem sie die Qualität der auf den Markt gebrachten Produkte überwachten; insbesondere im Lebensmittelbereich hatte die städtische Obrigkeit daran Interesse und bestellte Brot-, Fleisch- und Fischschauer, außerdem stand den Zünften in zahlreichen Städten die Kontrolle über die Rechnungslegung des Rates zu (Knittler, europäische Stadt, 141-148).

Auch die öffentlichen Gebäude neben Rathaus und Kirche vermitteln einen Eindruck von den vielfältigen von der Stadt wahrgenommen Aufgaben: so z.B. die Kornhäuser, die die Versorgung der Stadt in Notzeiten sicherten, die Spitäler für Kranke und Alte sowie die Schulen und Bildungseinrichtungen, die von kleinen Elementarschulen über Gymnasien bis zu Universitäten reichen konnten.

4.3.2.3. Fallbeispiel: Lippstadt

In Lippstadt haben wir es mit dem Sonderfall eines Kondominiums zu tun, d.h. die Stadt unterstand zwei Stadtherren. Nach Meinung einiger Forscher war dadurch der obrigkeitliche Zugriff auf die Stadt verzögert, was zur weitgehenden Konservierung der Stadtverfassung im Verlauf der FNZ beitrug (so z.B. Deter, Handwerksgerichtsbarkeit, 256).

Innerhalb der Stadt bildeten vier Verwaltungsbezirke, die so genannten „Hofen“, die untere Ebene der Stadtverwaltung. In ihren Zuständigkeitsbereich fielen verschiedene administrative Aufgaben. So hatte jedes Stadtviertel für die Organisation der Bürgerdienste Sorge zu tragen und verfügte dazu jeweils über einen eigenen Stadtdiener, Wächter und Nachtwächter. Außerdem stellten die vier Hofen die Vertreter der Bürgerschaft für den Rat und je zwei so genannte Baurichter, die als Wahlmänner bei der Ratswahl fungierten.

Demgegenüber war der Rat die oberste Verwaltungsbehörde der Stadt. Als solche vertrat er die Stadt nach außen und hatte die alleinige Militärhoheit zur Sicherung der Stadt inne. Außerdem lagen bis 1535 die Gerichtsbarkeit, Beschlüsse in Finanzsachen sowie der Erlass von Gesetzen, Willküren und Verordnungen in der alleinigen Verantwortung des Rates. Mit dem Rezess von 1535 wurde der Stadt von den Landesherren jedoch seine Selbstverwaltung verboten und seitdem der brandenburgische Landesherr Lippstadt als Garnisonsstadt nutzte, lag auch die Militärhoheit in landesherrlicher Hand. Daneben wurde seine Gerichtshoheit ebenfalls zunehmend eingeschränkt.

Alljährlich wurde aus dem alten Rat der neue gewählt, d.h., „die jeweiligen Amtsträger ergänzten sich selbst durch ein Kooptationssystem.“ (Arndt, Fürstentum Lippe, 273). So hatten sich zwei Gruppen herausgebildet, der sitzende und der abgehende Rat. Die Ratslisten zeigen, dass dieses Verfahren dazu geführt hatte, dass sich der Kreis der Ratsmitglieder völlig abgeschlossen hatte. Im Laufe des 16. und 17. Jh.s geriet der Rat jedoch immer mehr unter den Einfluss der Zünfte und zwar weil die Baurichter, die die Bürgermeister und die Amtleute wählten, ausschließlich zünftische Handwerker waren, die es verstanden, den Rat in ihrem Sinne zu besetzen, was dann wiederum zu einer Abschließung führte (Klockow, Stadt Lippe, 95). Im Laufe des 18. Jh.s ging die Bedeutung der Zunfthandwerker im Lippstädter Rat allmählich zurück. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch eine Verfügung des brandenburg-preußischen Kondominus von 1678, in der festgelegt wurde, dass einer der Bürgermeister und einer der Amtleute aus der reformierten Gemeinde der in Lippstadt stationierten brandenburgischen Garnison kommen müsse. An der zunehmend veränderten Berufsstruktur der Bürgermeister und Ratsmitglieder ist ablesbar, dass sich die Anforderungen an die Inhaber städtischer Ämter gewandelt haben müssen, denn es ist insgesamt ein Vordringen akademisch gebildeter Personen festzustellen. 

Im Verlauf des 16. Jh.s trat der Magistrat gegenüber dem Rat immer stärker in Erscheinung. Allmählich wurde er sogar zum eigentlichen Träger der Hoheitsrechte. Im 18. Jh. wurde er schließlich sogar offiziell als Stadtobrigkeit angesehen. Der Magistrat war verantwortlich für die gute Policey, die Ausstellung der Brot- und Fleischtaxen sowie die Aufsicht über das Kirchen- und Schulwesen. Er leitete neben einem landesherrlichen Amtmann – dem Drosten – die Kriminalgerichtsbarkeit und übernahm schiedsrichterliche Funktion in Justizsachen sowie die Vollstreckung rechtskräftig gewordener Urteile. Im Einzelnen bestand er aus zwei Bürgermeistern, zwei Amtleuten und dem Stadtsyndikus. 

Eine weitere Einrichtung der Stadtverfassung war das Tribunium. Diese Institution war im Zuge der durch Bürgerunruhen angestoßenen Verfassungsveränderungen 1531 entstanden. Sie war als Vertretung der Bürgerschaft und Kontrollinstanz der Gemeinde über die städtischen Finanzen neben Rat und Magistrat getreten und setzte sich aus je zwei Richtleuten aller Lippstädter Zünfte und der Gemeinheit zusammen (Klockow, Stadt Lippe, 219).

4.3.3. Stellung der Städte im Reich und in den Territorien

von Claudia Strieter

4.3.3.1. Städtebünde

Mit dem Anschluss an Bünde, Einungen und Eidgenossenschaften zeigt sich, dass die Städte im Spätmittelalter eine relativ autonome Stellung innehatten. „Die Zwecksetzungen dieser freiwilligen Einungen konnten ganz unterschiedlich sein – Friedenssicherung, Vereinheitlichung der Steuern oder der Produktion, Zölle, Münzwesen, Gleichbehandlung der Bürger.“ (Press, Stadt- und Dorfgemeinden, 429). Die bekanntesten spätmittelalterlichen Städtebünde waren die Hanse, der Rheinische, der Sächsische und der Schwäbische Städtebund. Insgesamt verfolgten die Städte durch die Bünde eine selbstständige Politik der Wahrung ihrer Rechte und ihrer Sicherheit. Im Zusammenhang mit den Territorialisierungsbestrebungen der Fürsten konnten sich die Städtebünde jedoch nicht behaupten. Für sie „war schließlich kein Platz mehr im territorialen Gefüge der sich verfestigenden Reichsverfassung.“ (Press, Stadt- und Dorfgemeinden, 430).

4.3.3.2. Reichs- und Autonomiestädte

Im Alten Reich gab es zu Beginn des 16. Jh.s zunächst 83 Reichsstädte (z.B. Frankfurt a.M., Augsburg, Nürnberg, Ulm, Rottweil), d.h. Städte, die nur dem Kaiser unterstanden, dem sie bei Amtsantritt auch huldigten. Ihre Zahl schmolz aber bis 1648 (durch Verpfändungen, durch das Ausscheiden der Schweiz, durch die französische Annexion von Metz, Toul, Verdun, Cambrai) auf 51 zusammen. Die Freien und die Reichsstädte waren seit dem 16. Jh. auf den Reichstagen als eigene Kurie mit der rheinischen und der schwäbischen Bank vertreten. Reichsstädte zeichneten sich durch einen hohen Grad an Autonomie aus; indem der Stadtrat Herrschaft über eigenes Territorium ausüben konnte (das umfasste bspw. Steuerrecht, Rechtsprechung, Statutarrecht, Bündnisrecht), rückten sie „staatsrechtlich in eine Ebene mit den reichsständischen Territorialstaaten“ (Gerteis, Städte, 65; zur Entstehung: Knittler, europäische Stadt, 113; Isenmann, deutsche Stadt, 107-116). 

Die scharfe Trennung zwischen Reichs-, Land- oder Territorialstädten war Folge der frühmodernen Staatsbildung (Schilling, Die Stadt, 39). Zu Beginn der FNZ verfügte eine Reihe weiterer deutscher Städte über ein hohes Maß an Autonomie, sie werden aus diesem Grund auch als „Semireichs-“ bzw. „Autonomiestädte“ bezeichnet (bspw. Braunschweig, Erfurt, Göttingen, Magdeburg, Münster). Ihre rechtliche Stellung änderte sich jedoch im 16. und 17. Jh.: Die durch die Reichsmatrikel nachgewiesene Vertretung auf dem Reichstag wurde im Verlauf des 16. Jh.s zum Signum reichsrechtlich abgesicherter Stadtautonomie. Die „Nicht-Reichsstädte“ liefen im Zuge des politisch-verfassungsmäßigen Wandels im Rahmen der Territorialisierung Gefahr, „auf den Status von dem Territorialstaat untergeordneten Landstädten“ festgelegt zu werden. „Bei den meisten der mittleren und großen Autonomiestädte reichten […] Wirtschafts- und Finanzkraft sowie die machtpolitischen Ressourcen (jedoch) noch auf Generationen hin aus, der Realisierung der staatlichen Ansprüche einen Riegel vorzuschieben“; Einbrüche erfolgten dann aber vor allem im Zusammenhang mit den Belastungen durch den Dreißigjährigen Krieg, in dessen Folge die Reichsstädte außerdem die Zubilligung des Votum decisivum erreichten, was ihnen das volle Stimmrecht im Reichstag sicherte und ihre institutionelle Verankerung in der Reichsverfassung formal festigte (Schilling, Die Stadt, 41; s. auch Knittler, europäische Stadt, 115).

4.3.3.3. Landstädte

Neben den wenigen Reichs- und Autonomiestädten gab es 3 500-4 000 deutsche Landstädte. Diese haben Könige, Fürsten oder Bischöfe, d.h. denjenigen Reichsstand, in dessen Territorium die Stadt lag, als Stadtherren und sind in der Regel auf deren Landtagen partizipationsberechtigt. Ursprünglich bestanden kaum Unterschiede hinsichtlich der städtischen Autonomie zwischen Reichs- und Landstädten, sie hatten ebenso eine eigene Verwaltung und besaßen ein Gericht; im Laufe der Frühneuzeit werden Landstädte jedoch zunehmend in die Territorien integriert und büßen ihre Autonomie weitgehend ein (van Dülmen, Kultur, 72).

Als Verfall des Städtewesens ist dessen Integration in den Herrschaftsverband aber nicht zu bewerten. Denn zum einen sicherte die Rechtsgarantie des Reichsrechtes traditionelle Rechts- und Verfassungsstrukturen und zum anderen eröffneten sich für Stadt und Bürgertum neue Möglichkeiten, bspw. weiteten sich die städtischen Verwaltungsaufgaben in administrativen und sozial-reglementierenden Bereichen aus (Schilling, Die Stadt, 43-46, 79).

4.3.3.4. Beziehungen zwischen Stadt und „Territorialstaat“

Der sich im Verlauf der FNZ vollziehende Wandel in den Beziehungen zwischen den Städten und den sich etablierenden „Territorialstaaten“ ist mit Hilfe dreier systematischer Zusammenhänge beschreibbar:

  1. Reformation und Konfessionalisierung
  2. Recht, Verwaltung und Bürokratisierung,
  3. obrigkeitliche Wirtschaftsförderung“ (Schilling, Die Stadt, 73).

1. Reformation und Konfessionalisierung

Die Verdichtung und Expansion der herrscherlichen Gewalt der Territorialherren wurde durch Reformation und Konfessionalisierung gefördert. Dabei war das den Landesherren 1555 im Augsburger Religionsfrieden zugesprochene Ius reformandi (Recht und Pflicht des Landesherren, zur Förderung der Glaubensausübung geeignete Einrichtungen und Regelungen zu schaffen) ein wichtiges Instrument, um die Städte im Zuge der Konfessionalisierung in ihr Herrschaftsgefüge einzugliedern (Schilling, Die Stadt, 73ff.). Das Erlassen von Kirchenordnungen repräsentierte den um Kirchenangelegenheiten erweiterten Kompetenzanspruch der Landesherren. Die lokalen Kirchenbehörden wurden genutzt, um die Polizeigesetze auf der Kanzel verlesen zu lassen und Verstöße dagegen zu ahnden. Durch die Visitation, d.h. die periodische Kontrolle des lokalen Kirchenlebens in Form von Befragungen der Kleriker und Gläubigen, wurden die obrigkeitlichen, schriftlich verbreiteten Regelungen durch eine für alle sichtbare Darstellung herrschaftlichen Handelns ergänzt (Reinhard, Zwang, 268-277). Diese Sicht ist jedoch auch umstritten: Heinrich R. Schmidts Fallstudie zur Kirchenzucht in Bern kommt zu dem Ergebnis, dass die Kirchenzucht weniger obrigkeitliche Disziplinierung, sondern vielmehr Selbstdisziplierung der christlichen Gemeinde war (Schmidt, Dorf, passim).

Die Bedeutung des Konfessionalisierungsprozesses für die Staatsbildung liegt allgemein zum einen in der durch sie ermöglichten Akkumulation von Herrschaftsrechten. Zum anderen und mindestens ebenso entscheidend ist, dass die Landesherren durch ihr Engagement in der Kirchenpolitik sich eine neue Bühne aneignen konnten, auf der sie sich inszenieren und repräsentieren konnten (Flüchter, Konfessionalisierung).

2. Recht, Verwaltung und Bürokratisierung

Bis ins 18. Jh. bleiben die intermediären Gewalten – so auch die Stadt – als solche bestehen, „weil sie als Teil der Rechtsordnung selbst nicht durch die politischen Instrumente des Landesherren beseitigt werden“ konnten. Allerdings erlebten sie im Verlauf der FNZ einen Wandel von „korporativen zu obrigkeitlichen Verfassungsformen“ (Willoweit, Struktur, 27). 

Im Rahmen einer bis heute richtungsweisenden Regionalstudie zu Osnabrück und Göttingen konnte nachgewiesen werden, dass die städtische Selbstverwaltung durch die entstehende Verwaltung des Territorialstaates zwar ihre Stellung als autonome Verwaltung einbüßt, denn der Landesherr wird zunehmend zum Auftraggeber administrativer Tätigkeiten; „die Selbstverwaltung bleibt aber im Rahmen der nunmehr gesteckten Grenzen die typische Form der Wahrnehmung innerstädtischer Ordnungsfunktion“. Der Prozess beauftragter Selbstverwaltung und die Herausbildung städtischer Obrigkeit laufen dabei zeitlich parallel ab und bedingen sich sogar gegenseitig (Wiese-Schorn, Selbstverwaltung, 30, 57). Die städtischen Obrigkeiten profitierten von der zunehmenden Ausweitung der Verwaltungsaktivitäten zum Gemeinen Besten der Stadt und ihrer Bevölkerung. Sie hatten wie die Landesherren eine Bühne gefunden, um sich als Obrigkeit in Szene zu setzen und zu profilieren. Der beschriebene Wandel von Selbstverwaltung zur Auftragsverwaltung ist nahezu zum Topos geworden (vgl. Reinhard, Staatsgewalt, 205, 240f.; Knittler, europäische Stadt, 117).

„Besonders deutlich vollzog sich die Außerkraftsetzung der überkommenen Ratsordnung in den Garnisonen und Residenzstädten. In ersteren übernahm das Militär alle Macht- und Ordnungsfunktionen. Der Stadtrat besaß über das militärische Potential keine Verfügungsgewalt. In Residenz- und Hauptstädten geriet die Stadtverwaltung unter den Einfluß von Hof und staatlicher Bürokratie. Landesfürstliche Baukommissare regelten das Bauwesen der Stadt, Gouverneure die ‚Polizey‘.“ (Knittler, europäische Stadt, 141).

3. Obrigkeitliche Wirtschaftsförderung

Das oberste Ziel der territorialen, vom Merkantilismus bzw. in Deutschland vom Kameralismus geprägten Wirtschaftspolitik in der FNZ war die Sicherung und Mehrung des Reichtums des Landes durch Erhöhung der Einnahmen. Die durch den Dreißigjährigen Krieg bedingte Not und Krise hatten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation die obrigkeitlichen Regulierungsbemühungen in den Bereichen finanzieller, sozialer und militärischer Absicherung anwachsen lassen und insbesondere auch bevölkerungspolitische Maßnahmen erforderlich gemacht (Gömmel, Entwicklung, 42). Vor dem Hintergrund einer Wirtschaftsauffassung, die von einem festen Bestand an Ressourcen ausging und die in der Konsequenz jede Vermehrung und Verbesserung der eigenen Position nur auf Kosten einer anderen denkbar erscheinen ließ, förderten die Territorialherren Handel und Gewerbe mit dem Ziel, eine positive Handelsbilanz zu erreichen (Press, Merkantilismus, 6). 

Die Territorien versuchten sich in ihrer Wirtschaftspolitik, die Städte zunutze zu machen: „Sie schöpften städtische Steuerkraft ab, nützten städtischen Kredit, verließen sich auf die Sicherheit städtischer Mauern, bedienten sich städtischer Mittelpunktsfunktion für die Errichtung ihrer Verwaltungszentren. [...] Die Inanspruchnahme der Städte für den steigenden Finanzbedarf der Territorien war unübersehbar. Eine stets anwachsende Welle von Steuerforderungen ergoß sich über die Städte, der Landesherr suchte sich deren Einkünfte immer stärker zu erschließen.“ (Press, Merkantilismus, 2f.). Brandenburg-Preußen führte in diesem Zusammenhang in der Mitte des 17. Jh. eine neue indirekte Verbrauchssteuer auf alle in die Städte eingeführten Waren, die Akzise, ein, deren Erhebung zunehmend in die Hände des staatlich bestellten Steuerrates überging und die vor allem der Finanzierung des Militärs diente (Knittler, europäische Stadt, 118).

Da die Landesherren zunächst nur über begrenzte Zwangsmittel verfügten, waren sie für die Erhebung neuer Steuern von der Zustimmung der Ständevertretungen (Adel, Kirche, Städte) abhängig und mussten im Gegenzug zur Steuergewährung oft auf ein Eindringen in lokale Herrschaftssphären verzichten. So griffen sie hauptsächlich auf traditionelle Weise mit Privilegien und Konzessionen in die städtische Wirtschaft ein, indem sie bspw. so genannte Freimeister, d.h. von den Zünften unabhängige Meister, setzten oder selbst als Unternehmer aktiv wurden und Manufakturen gründeten (Press, Merkantilismus, 8f.;Gömmel, Entwicklung, 50). Im 18. Jh. führten nicht zuletzt bevölkerungspolitische Maßnahmen der Landesherren in einigen Städten schon zu einer regelrechten „Aushöhlung des Stadtbürgerrechts“, so bspw. in Aachen, wo zünftisches Handwerk ohne Bürgerrechtsnachweis ausgeübt werden konnte (vgl. Gömmel, Entwicklung, 102f.). Das Festhalten an intermediären Gewalten und deren traditioneller Ordnungsfunktion für die Gesellschaft lässt sich nicht zuletzt an der Entwicklung der Zünfte belegen, die, obwohl deren Beharrungsvermögen schon im Verlauf des 18. Jh.s zunehmend umstritten und in ökonomischen und politischen Streitschriften diskutiert worden war, erst zu Beginn des 19. Jh.s mit Einführung der Gewerbefreiheit aufgelöst wurden (vgl. zu den Streitschriften Mohr, Auseinandersetzungen, 29-35).