7.2. Der Prozess der Verländlichung

von Christine Nierhoff

Die Verländlichung jüdischen Lebens begann nach den Pestwellen 1348-1350 und den damit einhergegangenen Pogromen und dauerte bis in das 17. Jh. an. Auch temporäre Vertreibungen sowie lokale Aufstände konnten eine Umorientierung auf das Land bewirken. Im 17. und 18. Jh. geht man von ca. 90% Landjuden aus, ein Anteil der auch im 19. Jh. nur geringfügig auf 80% sank. 

7.2.1. Landjuden

Auf dem Land war die Situation der jüdischen Gemeinden eine andere als in der Stadt. Durch die zersplitterten Siedlungen konnte sich meistens kein geregeltes Gemeindeleben entwickeln. Teilweise lebten nur vier, fünf Familien in einer Stadt bzw. in einem Dorf. Die für eine jüdische Gemeinde wichtigen Institutionen und Orte der Religionsausübung konnten häufig nicht errichtet werden. Synagogen wurden ersetzt durch Zusammenkünfte in Privathäusern, die rituelle Badekultur starb aus. Teilweise mussten weite Strecken zurückgelegt werden, um koscheres Fleisch zu bekommen oder einen Gottesdienst feiern zu können. Langfristig führte diese Situation zu einer Verkümmerung jüdischen Lebens im traditionellen Sinne. War in der Stadt eher das Problem einer schleichenden Anpassung an die christliche Umgebung virulent, so konnten Landjuden kaum einem wachsenden Verlust ihrer jüdischen Identität entgehen. Auf der anderen Seite waren auf dem Land eben durch die geringe Siedlungsdichte mehr Chancen zur Integration gegeben. Nachbarschaftliche Hilfe bezog auch die jüdischen Nachbarn ein, durch den engen Kontakt konnten Vorurteile widerlegt werden und persönliche Beziehungen entstehen.

7.2.2. Juden in der Stadt

Während einige Städte Juden den Aufenthalt nur an Markttagen gestatteten, ihnen jedoch das Wohnrecht verweigerten, entstanden in anderen Städten (Demographie) z. T. große Gemeinden. Die Existenz einer großen Gemeinde bedeutet aber nicht zwangsläufig Ghettoisierung, insbesondere nicht im Sinne des 20. Jh.s. Anders als auf dem Lande lebten die Juden in geschlossenen Vierteln, die aber nicht unbedingt durch Mauern von der christlichen Umgebung getrennt waren. Ähnliche Phänomene treten in Großstädten auf: China-Town, Little Italy. Eine Gruppe in ein fremdes Land eingewanderter Menschen mit bestimmten Merkmalen (gleiche Herkunft, Sprache, Religion) wohnt in unmittelbarer Nähe zueinander und schafft sich Institutionen, die sie aus der Heimat kennen und in der neuen Umgebung brauchen. Insbesondere religiöse Orte sind von höchster Wichtigkeit, aber auch Lebensmittelgeschäfte, die die Einhaltung der Speisegebote ermöglichten.

Notwendige Institutionen/Personen jüdischen Lebens:

  • Synagoge – Rabbiner, Vorsänger, Synagogendiener 
  • Lehrhaus – Schulmeister 
  • Friedhof – Totengräber 
  • Mikwe (Badehaus) – Badewärter 
  • Schlachthaus – Schächter 

Ihre Geschäfte tätigten sie häufig zusammen mit Christen: sie handelten mit ihnen, waren Geschäftspartner oder verliehen ihnen Geld.