7.3. Organisation
von Christine Nierhoff
Lange Zeit war die einzelne Gemeinde auf dem Land die einzige Struktureinheit, doch gab es immer wieder Versuche, eine überregionale Landjudenschaft mit eigenen Vertretern zu schaffen. Auf so genannten Judenlandtagen konnten Probleme erörtert, Entscheidungen über Recht, Ritus, Lehre und Streitigkeiten gefällt werden. Außerdem waren die gewählten Vertreter Ansprechpartner für die Landesherrn geworden: Durch die Zentralisierung waren nun auch Strukturen geschaffen worden, die dem Landesherrn die Steuereintreibung von den Juden erleichterte. Verrechtlichung und Professionalisierung durch zunehmende obrigkeitliche Eingriffe standen dem Ausbau jüdischer Organisation und deren Institutionen gegenüber bzw. beeinflussten sich gegenseitig.
In der Stadt war die Situation einfacher: Alle Institutionen und damit verbunden auch die Amtsträger waren „vor Ort“ – sowohl die der christlichen Stadtherrschaft als auch der jüdischen Gemeinde. Der Stadtherr konnte sich direkt an den Rabbiner wenden und umgekehrt. Das Problem der Landjuden, über Recht und Ritus keine Entscheidungen fällen zu können, da die religiösen Autoritäten nicht erreichbar waren, stellte sich in den großen Städten nicht. Es gab dort die Religionsschulen (Jeschiwa), deren Lehrpersonal hochrangige Rabbiner waren, die sich mit Recht, Ritus und Lehre beschäftigten.
7.3.1. Hofjuden
Die fehlenden Vertreter der Juden auf dem Land wurden häufig ersetzt durch so genannte Hofjuden. Damit sind vermögende, in ihren Gemeinden hochrangige, gut ausgebildete Juden gemeint, die sich in den Dienst des Landesherrn stellen. Meistens ging es um die schnelle und kurzfristige Beschaffung von Geld und Krediten, aber auch um den Handel mit Luxusgütern. Sowohl in den Residenzstädten als auch an den Höfen kleiner, ländlicher Territorien gab es Hofjuden, die durch ihr enges, teilweise persönliches Verhältnis zum Fürsten auch als Fürsprecher für ihre jüdische Gemeinde auftreten konnten. Ihr an den christlichen Adel angelehnter und angepasster Lebensstil sorgte für Aufmerksamkeit – ebenso wie ihr Absturz und Ruin. Das bekannteste Beispiel ist das Leben des Hofjuden Joseph Süss Oppenheimer, der am Hofe des Herzogs Karl Alexander von Württemberg (1733-1739) hohes Ansehen genoss.
In den Territorien beschafften sie vorrangig Lebensmittel, Luxuswaren und Geld für den Landesherrn, waren nicht direkt Mitglieder des Hofes, jedoch quasi Angestellte des Fürsten. Neben den familiären Beziehungen, die sich häufig über das ganze Reich erstreckten, konnten Hofjuden ihre weitläufigen geschäftlichen Verbindungen nutzen, um flexibel auf die Wünsche des Landesherrn zu reagieren. Neben der, meistens erst nach mehrmaliger Aufforderung erfolgten Zahlung der Waren bekamen Hofjuden kein Gehalt, sondern wurden durch zahlreiche Privilegien von bestimmten Steuern oder Abgaben ausgenommen. Aufgrund ihrer engen Beziehungen zur christlichen Oberschicht kam es in vielen Fällen zu Angleichungen in Bezug auf den Kleidungs- und Lebensstil – eine Entwicklung, die den Rabbinern nicht gefiel und die sie in zahlreichen Moralschriften zu bekämpfen versuchten.
Durch ihr Vermögen und ihre meistens privilegierte Stellung beim Landesherrn, von dem alle Juden abhängig waren, stiegen Hofjuden bald auch zu Leitern der Gemeinde auf. Sie nutzen ihre Beziehung zum Fürsten häufig auch zur Fürsprache für die Juden eines Territoriums. Teilweise waren sie von der Gemeinde als Landesrabbiner gewählt und nahmen offiziell die Vertretung der Judenschaft vor dem Schutzherrn wahr, aber auch die innerjüdische Gerichtsbarkeit. So standen sie in einem doppelten Abhängigkeitsverhältnis.