7.4. Jüdisches Leben
von Christine Nierhoff
7.4.1. Berufsstruktur
Die seit dem 16. Jh. unstabile Situation brachte auch Probleme bei der Berufsfindung mit sich. In den Städten dominierten die Zünfte und Gilden, die sich auch gegenüber Juden abschlossen, so daß ihnen der Zugang zu fast allen handwerklichen Berufen verwehrt blieb (Verländlichung). Ausgenommen waren nur der Handel, die Geldleihe, in beschränktem Maße das Kunsthandwerk und die Textilherstellung. Allerdings bildeten sich in den wenigen großen Städten des Reiches durch die rituellen Notwendigkeiten Berufe innerhalb der Gemeinden heraus: Kinderlehrer, Schreiber, Illuminatoren für die Ausgestaltung von Handschriften, Beschneider, Ärzte, Hebammen, Musikanten, Friedhofs- und Badewärter, Totengräber, Schulmeister, Gemeindeköche, Wirte, Bartscherer u.a. konnten in besonders großen Gemeinden wie in Frankfurt trotz bestehender Zunftregeln ihr Handwerk ausüben.
Generell war jedoch der Haupterwerb, neben der Geldleihe, der Handel, der in Form des Hausiererhandels eine Verbindung zwischen Stadt und Land schuf. Einige Juden reisten zu den großen Messen in Frankfurt und Leipzig, alle anderen mindestens zu den regionalen und lokalen Wochen- und Jahrmärkten, um dort Waren an- und verkaufen zu können.
Auf dem Land beschränkte sich der Erwerb für den Großteil der Juden auf den Klein- und Hausiererhandel sowie die Geldleihe. Der Umfang der Geschäfte reichte jedoch häufig nicht zum Leben – viele Landjuden waren verarmt, wurden von der Gemeinde unterstützt oder lebten in Armenhäusern.
7.4.2. Familie
Die Familie bildet die Keimzelle jüdischen Lebens: Sie ist der Ort des rituellen Lebens, geprägt durch die Speisevorschriften und die Wochen- bzw. Jahresfeste. Der Mann hatte den Zugang zum religiösen Wissen, allerdings war die Frau für den religiös außerordentlich wichtigen Teil der häuslichen Religionsausübung durch das Zubereiten der Speisen und die Weitergabe ihres Wissens an ihre Töchter verantwortlich. Ebenso war die Familie der zentrale Ort für die Übernahme sozialer Aufgaben wie Armen- und Krankenversorgung. In Bezug auf den Handel war die Familie und gerade die weit auseinander lebende Familie ein großer Vorteil. Viele erfolgreiche Händler bauten sich mit Hilfe ihrer Brüder und Söhne, häufig durch geschickte Heiraten, ein verwandtschaftliches Netz auf, das ihnen einen schnellen und vor allem sicheren Handel erst ermöglichte.
7.4.3. Ausschreitungen
Der von den Juden erkaufte Schutz war keine Garantie für ein friedliches Leben, es kam in einigen Städten zu kurzfristigen Aufständen, Angriffen und auch zu lokalen Vertreibungen. Ein Beispiel ist der so genannte Fettmilchaufstand in Frankfurt 1614: Die Zünfte, unter denen der Kuchenbäcker Fettmilch als Wortführer fungierte, verlangten eine Einschränkung der jüdischen Wirtschaftstätigkeit sowie deren sofortige Ausweisung aus der Stadt. Nachdem alle Verhandlungen scheiterten, kam es zum Aufstand. Die Bewohner der Judengasse verteidigten sich, jedoch ohne große Chancen. Die Aufständischen zwangen schließlich 1380 Personen, die Stadt zu verlassen. Danach schritt allerdings Kaiser Matthias ein, indem er die Reichsacht über die Stadt verhängte, den Stadtrat wieder einsetzte und die Aufständischen hinrichten ließ. Die Juden kehrten in einer feierlichen Prozession wieder in die Stadt zurück und die zerstörte Synagoge sowie einige Häuser wurden auf Kosten der Stadt wieder hergestellt.
Streit entstand meistens zwischen jüdischen Fleischhändlern und der entsprechenden Zunft der Christen, denn es existierten Gebote, die es den Juden nur erlaubten, bestimmte Teile des geschlachteten Viehs zu verzehren. So verkauften die Juden die Stücke, die ihnen verboten waren, zu günstigen Preisen an ihre christlichen Nachbarn – eine Praxis, die den Zünften missfiel und die permanent zu Auseinandersetzungen führte.