4.1. „Recht“ in der Vormoderne
4.1.1. Wahrung des Rechts
Die Wahrung des Rechts ist die Aufgabe und der Legitimationsgrund von Herrschaft, auf allen Ebenen der Hierarchie von Herrschaftsträgern: von Gott als höchstem Richter zum Kaiser und Papst über die Fürsten, Stadträte, Grundherren, Universitätskanzler, Zunftmeister bis hinunter zum einzelnen Hausvater. Dem entspricht die Vielfalt verschiedener Rechtskreise:
- Gelehrtes römisches Recht
- Kirchenrecht
- Reichsrecht
- Landesrecht
- Stadtrecht
Das Recht ist erst zum geringen Teil positives (obrigkeitlich gesatztes oder vertraglich vereinbartes) Recht, zum größeren Teil praktisch-mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht. Rechtsetzung und Rechtsprechung sind noch kaum getrennt, ebenso wenig gibt es schon die klare Trennung in Öffentliches Recht, Zivilrecht und Strafrecht.
4.1.2. Rationale vs. traditionale Rechtsgeltung
Recht wird zunehmend rational „gesatzt“, nicht traditional „gefunden“. Es legitimiert sich zunehmend dadurch, dass es zweckmäßig und vernünftig ist, nicht allein schon dadurch, dass es „unvordenklich“ alten, „guten Herkommens“ ist. Durch die obrigkeitliche Gesetzgebung nimmt die positive Regelungstätigkeit zu: zunächst in den Städten, dann auch in den Territorien durch Landes- und Policeyordnungen, Erlasse etc. Theoretische Hilfestellung dafür geben die moderne Natur- bzw. Vernunftrechtslehre und die „Policeywissenschaft“.
4.1.3. Außergerichtliche Konfliktaustragung
In der Vormoderne war noch keine vollständige Ausdifferenzierung des Rechts aus der politisch-sozialen Ordnung erfolgt. D.h. Normen werden nicht nur von den Obrigkeiten gesetzt und kontrolliert, Konflikte nicht allein von den Obrigkeiten geschlichtet; vielmehr werden Normen und Konflikte zunächst von primären face-to-face-Gesellschaften (Dorf, Nachbarschaft) behandelt. Ein formaler Gerichtsprozess ist eine Option unter anderen. Andere Arten von Konfliktregelung und Normkontrolle gehen voraus bzw. laufen parallel dazu: „Ehre“, Ruf, Ansehen; Kontrolle durch Gerücht, „gemeines Geschrei“, rituelle Rügebräuche, vor- oder außergerichtliche gütliche Einigung mittels privater Schlichter, u.U. auch Gewalt, die noch eine weithin akzeptierte Verhaltensform ist und erst nach und nach vom modernen Staat als „Privatjustiz“ delegitimiert wird (Durchsetzung des Gewaltmonopols als Kennzeichen des modernen Staates).