5.1. Hexenverfolgung und Geschichtswissenschaft
von Barbara Unterlechner
Als die frühneuzeitlichen Massenprozesse am Ende des 19. Jh.s zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft wurden, begegneten die Forscher dem Phänomen „Hexenverfolgung“ mit einem Gestus der Überlegenheit: Sie gingen davon aus, dass es sich beim Hexenglauben der Frühen Neuzeit um eine „theologische Abirrung“ (Hansen, Zauberwahn, 537), einen Wahn handelte, von dem es sich mit dem Hinweis auf die geistige Emanzipation des Menschen durch die Aufklärung abzugrenzen galt. Die Distanzierung von den Arbeiten dieser älteren deutschen Historikergeneration, die in den meisten neueren Veröffentlichung spürbar ist, ist aufgrund dieses Überlegenheitsgestus sicherlich verständlich. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass wir unsere Kenntnisse über die theologischen und juristischen Voraussetzungen der großen Hexenverfolgungen vor allem dieser älteren Forschergeneration verdanken.
Von der Zeit der ersten Publikationen um die Jahrhundertwende bis zum Ende der 60er Jahre des 20. Jh.s wurde das als exotisch geltende Hexenthema von der Geschichtswissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Die wenigen Arbeiten, die bis zur radikalen Wende der Hexenforschung in den 70er Jahren publiziert wurden, bewegten sich im gängigen Rahmen, der von der älteren Forschung am Ende des 19. Jh.s gesteckt worden war. Das änderte sich am Ende der 60er Jahre schlagartig: Die Anstöße zu der Entwicklung, an deren Ende ein radikaler Paradigmenwechsel der deutschen Hexenforschung stand, der sie „vom Rand ins Zentrum der Historiographie über die frühe Neuzeit gerückt“ (Schwerhoff, Alltagsverdacht, 359) hat, kamen aus England, Amerika und Frankreich von Macfarlane (1970), Thomas (1971), Midelfort (1972) und Muchembled (1978). Als Resultat der Übernahme von Impulsen aus den Nachbardisziplinen Soziologie, Psychologie, vor allem aber Ethnologie begannen die Hexenforscher, neue Fragen an ihren Untersuchungsgegenstand zu stellen: Statt bei der Beschreibung der allgemeinen theologischen und juristischen Voraussetzungen stehen zu bleiben, fragte man – nach dem Vorbild der Ethnologie – zunehmend nach den Funktionen der Prozesse in der jeweiligen Gesellschaft. Die veränderte Fragestellung verlangte von den Forschern eine detaillierte und darum nur für einen kleinen Untersuchungsraum zu leistende Auseinandersetzung mit den Lebenswelten aller an den Verfolgungen beteiligten Akteure und Gruppen in ihren spezifisch lokalen Ausprägungen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit dem Paradigmenwechsel eine Abkehr von Globaluntersuchungen und eine Hinwendung zu regionalgeschichtlichen Analysen verbunden war. Wie fruchtbar die Ansätze zur Interdisziplinarität, die für die Hexenforschung seit den 70er Jahren kennzeichnend ist, und die damit einhergehende „regionalgeschichtliche Wende“ für die Hexenforschung waren, verdeutlicht die mittlerweile unüberschaubare Anzahl neuerer Regionalstudien: Auf der Basis von Mikroanalysen eröffnen diese Publikationen einen „am ‚Lebensweltlichen’ und seinen alltäglichen Erfahrungswerten interessierten Blick auf die ‚Innenseite’, auf Handlungs-, Deutungs- und Wahrnehmungsweisen der betrachteten Individuen und Gruppen“ (Labouvie, Hexenforschung, 49) und geben Einblick nicht nur in soziale und wirtschaftliche, sondern auch in sozialanthropologische, mental-kognitive, psychologische und kommunikative Aspekte der Verfolgungen (vgl. dazu u.a. Walz, Hexenglaube, eine Arbeit, die sich mit den symbolischen und sprachlichen Kommunikationsmechanismen im Zusammenhang mit Hexereigerüchten auseinandersetzt).