5.3. Rahmenbedingungen der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung
von Barbara Unterlechner
Um dieses Phänomen zu verstehen, muss man den Blick zunächst auf die allgemeinen Voraussetzungen der Hexenverfolgung richten, auf die Rahmenbedingungen, die notwendig waren, um aus den Einzelverfahren des Mittelalters die Massenprozesse der Frühen Neuzeit werden zu lassen. Hier sind vor allem zwei Bedingungen zu nennen:
- die Entwicklung und Verbreitung einer neuen Hexenlehre und
- Durchsetzung des weltlichen Inquisitionsprozesses mit seinen prozessrechtlichen Implikationen.
5.3.1. Die Entstehung und Verbreitung eines neuen, kumulativen Hexenbegriffs
Der neue Sammelbegriff der Hexerei (kumulativer Hexenbegriff), der durch die Theologen der Scholastik entwickelt, wissenschaftlich begründet und verbreitet wurde, umfasst im Wesentlichen vier Elemente:
- den Pakt mit dem Teufel;
- die so genannte „Teufelsbuhlschaft“, die den Pakt besiegelt;
- die Teilnahme am Hexensabbat;
- die Ausübung von Schadenzauber aller Art.
Dieser neue, gelehrte Hexenbegriff, der sich erst nach und nach auch in den Köpfen der einfachen Bevölkerung festsetzte, verlieh der strafrechtlichen Verfolgung schädigender Handlungen mittels magischer Praktiken eine neue Qualität. Denn anders als bei den Massenverfahren der Frühen Neuzeit, denen der neue Hexenbegriff zugrunde liegt, handelte es sich bei den Prozessen vor dem Aufkommen der neuen Hexenlehre, die als „Zaubereiprozesse“ älteren Typus von den „Hexenprozessen“ neueren Typus unterschieden werden müssen, ausschließlich um Einzelverfahren, die nicht auf größere Personengruppen übergriffen. Einer der wichtigsten Gründe für die Ausweitung der Prozesse ist die durch die neue Hexenlehre veränderte Vorstellung vom Ursprung magischer Kräfte: Traditionell wurde Magie als persönliche bzw. personengebundene Fähigkeit Einzelner gedacht, die angeboren oder rituell erworben werden konnte. Diese Vorstellung änderte sich, als die Theologen der Scholastik das aus den Ketzerprozessen stammende Element der Häresie in das Bild der schadenstiftenden Hexe integrierten: Magie galt nun nicht mehr als Kraft in personam, sondern als Fähigkeit, die der Teufel einer beliebig großen Anzahl von Personen verleihen konnte, die sich nach Abschwörung Gottes mit ihm verbündeten. Strafrechtlich verfolgt wurde nicht mehr der Schadenzauber Einzelner, sondern die Subversion der christlichen Gemeinschaft durch ein häretisches Hexenkollektiv.
Dabei stellte sich der Hexensabbat als folgenschwerster Bestandteil der neuen Hexenlehre heraus, denn aus der Vorstellung eines nächtlichen Treffens zur gemeinsamen Anbetung des Teufels und zur Planung von Schadenzauber aller Art folgte, dass jede Hexe andere kennen musste, die sie auf der Tanzveranstaltung gesehen hatte und nach denen in den Verhören gezielt gefragt wurde.
5.3.2. Die Durchsetzung des weltlichen Inquisitionsprozesses
Ebenso wie die neue Hexenlehre hat auch der Inquisitionsprozess als zweite wichtige Voraussetzung für die großen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit seine Wurzeln im kirchlichen Bereich, im kanonischen Recht. Seine endgültige Verankerung im weltlichen Strafprozess fand er 1532 mit der Verabschiedung der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. – kurz Carolina, die den Versuch darstellte, sowohl den formalen Ablauf von Strafprozessen als auch das Strafrecht reichsweit zu vereinheitlichen. Mit wenigen Ausnahmen wurden die Hexenprozesse im Deutschen Reich auf der Grundlage dieses Reformwerks durchgeführt, denn auch in den Territorien, die über eine eigene Hexengesetzgebung verfügten – was die salvatorische Klausel der Carolina grundsätzlich ermöglichte –, orientierte sich diese an den straf- und prozessrechtlichen Normen der Carolina.
Es lassen sich vor allem zwei Gründe nennen, die die Durchsetzung des weltlichen Inquisitionsprozesses zu einer der maßgeblichen Voraussetzungen für die frühneuzeitlichen Massenverfolgungen machten.
Zum einen erleichterte er die Einleitung eines Verfahrens, in dem er es den weltlichen Obrigkeiten ermöglichte, von ampts wegen zu ermitteln. War bis dahin zur Eröffnung eines Strafverfahrens immer ein privater Kläger nötig gewesen (Akkusationsprinzip), konnten die Obrigkeiten nun auf bloßen Verdacht oder Denunziation hin Ermittlungen einleiten. Auch für Privatpersonen wurde durch die Durchsetzung des Inquisitionsprozesses der Gang vor Gericht erheblich erleichtert: Musste der Kläger zuvor mit Leib und Vermögen für die Rechtmäßigkeit seiner Klage haften – stellte sich die Klage als unbegründet heraus, drohte ihm die gleiche Strafe wie zuvor dem von ihm Beklagten –, reichte nun eine einfache Denunziation aus, um ein Verfahren in Gang zu setzen, für dessen weitere Durchführung dann ausschließlich die obrigkeitlichen Ermittlungsinstanzen verantwortlich waren, das also für den Kläger keinerlei Risiko beinhaltete.
Zum anderen hatte die Durchsetzung des Inquisitionsprozesses ein neues Beweisrecht zur Folge, das mit weitreichenden Konsequenzen verbunden war. Anders als im Akkusationsprozess ging es nun nicht mehr um die Glaubwürdigkeit der beiden Parteien, sondern um den Nachweis der Tat, der laut Carolina nur durch die übereinstimmende Aussage zweier Augenzeugen – die beim Hexereiverbrechen so gut wie nie vorlag, hätten sich die Augenzeugen doch selbst verdächtig gemacht – oder durch ein Geständnis erbracht werden konnte. Konnte dieses Geständnis nicht freiwillig, im so genannten gütlichen Verhör erzielt werden, durfte bei Vorliegen ausreichender Indizien die Folter als Mittel zur Geständniserpressung angewandt werden.
Es ist vor allem das Ineinandergreifen von weltlichem Inquisitionsverfahren und neuer Hexenlehre, auf das zur Erklärung der Massenhaftigkeit der frühneuzeitlichen Hexenprozesse immer wieder verwiesen wird und das sich wie folgt auf den Punkt bringen lässt: „Ohne Annahme einer Hexensekte kein Nachspüren nach weiteren Mitgliedern, ohne Folter keine Besagung [d.h. Nennung von Komplizen], ohne Besagung keine Massenverfolgung.“ (Trusen, Grundlagen, 214.)
Aber auch wenn das Zusammenwirken von weltlichem Inquisitionsprozess und kumulativem Hexenbegriff, die schnelle Ausweitung der Verfahren plausibel macht, reicht der Hinweis auf diese allgemeinen Voraussetzungen zur adäquaten Erklärung des Phänomens „Hexenverfolgung“ nicht aus: Denn obwohl die genannten Rahmenbedingungen seit dem Ende des 16. Jh.s im Reich dauerhaft gegeben waren, die Möglichkeit, Hexenprozesse durchzuführen, also im gesamten 17. Jh. gleichermaßen bestand, so haben die beteiligten Akteure dennoch nicht mit gleicher Regelmäßigkeit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, wie die anfangs erwähnten zeitlichen und regionalen Konzentrationen der Verfahren zeigen.