5.4.1. Die treibenden Kräfte der Verfolgungen: Obrigkeit oder Untertanen?

Die Frage, warum die zeitgenössischen Akteure nur in bestimmten Jahren von der Möglichkeit, Hexenprozesse durchzuführen Gebrauch gemacht haben, ist aufs engste verbunden mit der Frage nach den treibenden Kräften der Verfolgung. Zwar wird in der neueren Literatur immer wieder darauf hingewiesen, dass es zu großen Verfolgungswellen nur dort kam, wo ein gleichgerichtetes Interesse von Obrigkeit und Untertanen an der Durchführung von Hexenprozessen bestand, wo also Verfolgungswille „von oben“ und „unten“ zusammentrafen. Die zahlreichen Regionalstudien der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass Grad und Qualität der Beteiligung von Obrigkeit bzw. Untertanen an den Verfolgungen regional höchst unterschiedlich gewesen ist: So hat Schormann für das Kurfürstentum Köln den Typus etatistischer Verfolgungen festgestellt (Schormann, Krieg), während Labouvie in den Dörfern des Saarraums auf institutionell fest umrissene Gemeindeausschüsse gestoßen ist, die systematisch Hexenverfolgungen betrieben (Labouvie, Zauberei).

5.4.2. Die Opfer: Soziale Herkunft und geschlechtliche Zugehörigkeit

Ebenso wenig wie über die treibenden Kräfte der Verfolgungen lassen sich allgemein gültige Aussagen darüber treffen, wer verfolgt wurde. Hinsichtlich der sozialen Herkunft der Angeklagten sind zwar deutliche Tendenzen zu erkennen, die regionalen Differenzen sind jedoch erheblich: So stehen der verbreiteten Forschungsmeinung, dass die meisten Opfer den unteren sozialen Schichten angehörten, zum Beispiel die Ergebnisse Rummels entgegen, der in seinem Untersuchungsgebiet, dem Moselraum, vorwiegend Opfer aus wohlhabenden Familien konstatiert (Rummel, Bauern). Die geschlechtliche Zugehörigkeit der Angeklagten betreffend, lässt sich zwar feststellen, dass Frauen im Allgemeinen stärker von den Prozessen betroffen waren, das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass in einigen Regionen vor allem mit zunehmender Dauer der Verfolgungen verstärkt Männer zu Opfern der Verfahren wurden (zu konkreten Zahlen vgl. Labouvie, Zauberei, 33; Schulte, Hexenmeister, 80-82; vgl. weiterhin Labouvie, Männer).

5.4.3. Ursachen und Funktionen der Hexenprozesse

Ebenso wenig wie über Täter und Opfer lässt sich eine verallgemeinerbare Aussage über die konkreten Ursachen und Funktionen der Hexenprozesse, über die Rolle, die sie in den entsprechenden Jahren in den betroffenen Dörfern und Städten gespielt haben, treffen. Dieser Umstand hängt mit der Multifunktionalität der Verfahren zusammen, die sich in den letzten Jahren zunehmend herauskristallisiert hat und mittlerweile als das eigentliche Wesen der Hexenprozesse gilt: „Aus regionaler Perspektive erscheint Hexenverfolgung [...] als ein ‚Vielzweckinstrument’ zum Austrag von – nur von Fall zu Fall bestimmbaren – Konflikten zwischen ebenso jeweils immer neu zu bestimmenden Personen und Gruppen.“ (Schwerhoff, Hexerei, 39; zu einem Überblick über die verschiedenen Funktionen vgl. von Hehl, HexenprozesseBehringer, ErträgeMidelfort, Fragen sowie Schwerhoff, Alltagsverdacht) Der Begriff des Vielzweckinstruments darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, als seien die Prozesse das Resultat einer bewussten Instrumentalisierung für die Interessen derjenigen Akteure oder Gruppen gewesen, die in den jeweiligen Städten, Dörfern und Regionen als treibende Kräfte hinter den Verfolgungen standen. Auch wenn das in Einzelfällen nicht auszuschließen ist, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass die Angst vor der schädigenden Hexensekte für die Zeitgenossen äußerst real gewesen ist: „Wir sollten nie die ungeheure Angst [...] unterschätzen, die nicht nur die Hexen, sondern auch ihre Verfolger durchlebten.“ (Midelfort, Fragen, 29).

Die Tatsache, dass die Geschichtswissenschaft für das Phänomen „Hexenverfolgung“ keine Patenterklärung bereit hält, hat ihren Grund nicht im Unvermögen der Hexenforscher, sondern in der Komplexität und Vielschichtigkeit der historischen Erscheinung selbst, die für jede Region und jede Verfolgungswelle aufs Neue eine genaue Analyse der spezifischen Bedingungen, Ursachen und Funktionen der Verfahren erfordert.