6.5 Bürgerhumanismus und Tugendlehren

von Tim Neu
 

Anders als der Begriff der ‘Staatsräson’, der dem vorherigen Teilabschnitt als Titel diente, ist ‘Bürgerhumanismus’ (civic humanism) kein Quellen-, sondern ein Forschungsbegriff. Er wurde von Hans Baron geprägt als Bezeichnung für diejenige Spielart des Humanismus, wie sie im republikanischen Florenz des frühen 15. Jahrhunderts aus der Verbindung von politischer Krise und humanistischer Gelehrsamkeit entstanden war - der Bürgerhumanismus als "type of a socially engaged, historically minded, and increasingly vernacular Humanism" (Baron, Crisis, 461f.). Das Spezifische des Bürgerhumanismus lag nach Baron 1.) in der Verbindung von theoretischer Gelehrsamkeit und moralischer politischer Praxis, 2.) in der emphatischen Wiederanknüpfung an die römisch-republikanische Tradition und 3.) der zunehmenden Wertschätzung der eigenen Gegenwart. Damit seien die florentinischen Bürgerhumanisten als "founders of secular political thought and the modern republican tradition" (Grafton, Humanism, 15) einzustufen.

Auch wenn Barons Thesen in Bezug auf den florentinischen Bürgerhumanismus inzwischen vielfach modifiziert wurden, so kann man doch ein von diesen konkreten Entstehungsbedingungen unabhängiges und allgemeines, aber dennoch an Barons Vorstellungen orientiertes Konzept von ‘bürgerschaftlicher’ Politik zu Grunde legen, um die in diesem Abschnitt vorgestellten Ansätze darunter zu versammeln. Unter diesen nur im übertragenen Sinne ‘bürgerhumanistischen’ Ansätzen sind dann solche zu verstehen, die bürgerschaftliche Tugenden und Werte in den Mittelpunkt der Politik stellen und damit die antike Vorstellungen der res publica, der ‘öffentlichen Sache’ wieder aufgreifen. Im Unterschied zur Staatsräsonlehre, die sich vorwiegend zweckorientiert mit Herrschaftsstrukturen befaßt und als Idealtypus den passiv gehorchende ‘Untertan’ entwirft, setzt der Bürgerhumanismus zur Bewältigung des Wachstums der Staatsgewalt wertorientiert an bei den politisch handelnden Personen und zeichnet das Vorbild des sich tugendhaft engagierenden ‘Bürgers’. Dieses stark normative Element schlägt sich nieder in einer Betonung der Notwendigkeit von Erziehung, (humanistischer) Bildung und (neostoischer) Selbstkontrolle.

Der Bürgerhumanismus war kompatibel mit der traditionellen Lehre von der ebenfalls normativen politica christiana, und konnte zu einem neuen christlich-humanistischem Politikansatz (6.5.1) verbunden werden. In der Utopie (6.5.2) nahmen die humanistischen Erziehungs- und Charakterideale konkrete Gestalt an. Der Neostoizismus (6.5.3) beschrieb bürgerschaftliche Tugenden unter den Bedingungen einer zunehmend ‘absolutistischen’ Untertanengesellschaft und am Ende des Ancien Régime gingen modernes Naturrecht und Republikanismus eine fruchtbare und zukunftsträchtige Symbiose ein (6.5.4).

6.5.1 Christlich-humanistische Politik (Erasmus)

von Tim Neu
 

Die traditionelle christliche Lehre nahm gegenüber dem Handlungsraum weltlicher Politik eine im Wesentlichen negativ-pessimistische Haltung ein. Für den maßgeblichen Lehrer der spätantiken und mittelalterlichen Christenheit, Aurelius Augustinus (354-430), entspricht "die Herrschaft von Menschen über Menschen nicht der Ordnung der Natur, sondern beruht auf der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts" (Bosl, Grund, 178). Dieser Ursprung machte es notwendig, daß weltliche Herrschaft eingebunden wurde in einen Rahmen religiös-moralisch bestimmter Gerechtigkeit. Der Humanismus teilte nun zwar die christliche Auffassung, daß Politik eines religiös-moralischen Fundaments bedürfe, aber an die Stelle der grundsätzlichen Ablehnung alles Weltlichen als notwendig sündhaft setzten die Humanisten eine Aufwertung der weltlichen vita activa im Verbund mit einem optimistischen Glauben an die positive Veränderbarkeit des Menschen durch Bildung. Der christliche Humanismus z.B. eines Erasmus von Rotterdam (1466/69-1536) übernahm daher die Inhalte der politica christiana, aber unter einer veränderten Bewertung des Politischen: Normative Anleitung der Politik war nun eine Frage der Verbesserung durch Erziehung, nicht mehr eine der Eindämmung von Sündhaftigkeit.

Es ist behauptet worden, "Erasmus’ politische Theorie bestehe im Fehlen einer politischen Theorie". Diese scheinbar paradoxe Äußerung hilft aber das Grundanliegen christlich-humanistischer Ansätze zu verstehen, nämlich die Führung der Politik durch die christliche Ethik, bzw. damit auch die konsequente Ablehnung des Weges von Machiavelli, "eine autonome Sphäre des Politischen mit einem eigenen Regelkanon aus der gesellschaftlichen Welt auszudifferenzieren" (beide Zitate: Münkler, Humanismus, 592).

Ins Zentrum der Aufmerksamkeit trat damit die Erziehung des jungen Fürsten zu einer tugendhaften Amtsführung. Herrschaft wird so noch stärker, als es z.B. auch noch in den Politischen Klugheitslehren der Fall ist, personal gedacht, denn eine transpersonale, institutionelle Staatsgewalt, wie sie spätestens die Souveränitätslehre konzipiert, kann man nicht mehr mit individualethischen Kategorien beschreiben oder beeinflussen. Inhaltlich vertraten christlich-humanistische Ansätze zumeist konventionelle Positionen: Sie votierten für monarchische, aber durch demokratische und aristokratische Elemente beschränkte Gemeinwesen und bestimmten Gemeinwohl und Frieden als Prinzipien der Amtsführung. Die praktischen und institutionellen Dimensionen stehen jedoch in der Regel zurück hinter "dem Optimismus, daß die moralische Unterweisung allen Übeln abhelfen könne und den vollkommenden Herrscher garantiere" (Christian, Einleitung, XVII). Die Bedeutung dieser normativen Ansätze lag weniger in neuen, zukunftsweisenden Theorien, sondern in ihrer ungebrochenen Popularität bis zum Ende des Ancien Régime. Anders als die ‘unmoralische’ Staatsräson und das ‘avantgardistische’ moderne Naturrecht repräsentieren die christlich-humanistischen Ansätze den ‘Mainstream’ populären politischen Denkens (vgl. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik).

6.5.2 Utopisches Denken (Morus)

von Tim Neu
 

Zu Beginn der FNZ kam es zu einem folgenschweren Auseinandertreten von Fakten und Normen: Die scholastische Metaphysik des Mittelalters hatte die Natur noch teleologisch interpretiert (vgl. Die Wissenschaftliche Revolution) und Sollendes und Seiendes nicht geschieden. In den kulturellen Umwälzungen, die Renaissance und Humanismus hervorbrachten, wurde diese Einheit jedoch aufgebrochen. Für die Politische Theorie bedeutete dies auf der Seite der Fakten den Durchbruch zum ‘politischen Realismus’, wie er sich in den Staatsräsonlehren manifestierte. Aber auch in Bezug auf die Behandlung des Normativen begann mit der ‘Erfindung’ der Literaturgattung der ‘politischen Utopie’ "eine neue Phase des wirklichkeitstranszendierenden Denkens und der politisch-sozialen Idealbildung" (Nipperdey, Morus, 181). Begründet hat diese neue Gattung der englische Humanist Thomas Morus (1477/78-1535) mit seinem 1516 veröffentlichten Werk Utopia. Es handelt sich um ein aufschlußreiches Wortspiel: ‘Utopia’ setzt sich aus den griechischen Wörter für ‘nicht’ (ou) und ‘Ort’ (tópos) zusammen, meint also eigentlich ‘das Nirgendwo’. Damit wird der fiktive Charakter des utopischen Denkens deutlich, das durch "den Entwurf einer in sich geschlossenen möglichen anderen Welt" (Reinhard, Humanismus, 264) das ideale Gemeinwesen zu beschreiben versucht.

Wie die politischen Klugheitslehrer, haben auch die utopischen Denker die Wachstumsphänomene der werdenden Staatsgewalt wahrgenommen und verarbeitet. In den Utopien ist dieses Wachstum jedoch konsequent zu Ende gedacht und vorweggenommen: Die Staatsgewalt ist einheitlich, d. h. es gibt keine über autonome Herrschaftsrechte verfügenden Partikulargewalten mehr, sie agiert aktiv und steuernd statt nur ‘Friede und Recht’ wahrend und zwar umfassend in allen gesellschaftlichen Teilbereichen. Diese Kontrolle gilt insbesondere denjenigen Bereichen des Sozialen, die in der Moderne der Privatsphäre zugerechnet werden, wie Heirat oder Freizeit, so daß man von einer "Verstaatlichung der sozialen Kontrolle" (Münkler, Humanismus, 597) sprechen kann.

Was die Utopie jedoch z.B. von dem Reformabsolutismus, der ebenfalls umfassende Steuerung und Kontrolle der Gesellschaft anstrebte, unterscheidet und sie als tugendorientierten Ansatz kennzeichnet, ist die Tatsache, daß diesen ‘idealen’ staatlichen Institutionen nicht passive Untertanen, sondern ‘gute’ und ‘tugendhafte’, für das Gemeinwesen engagierte Bürger an die Seite gestellt wurden. Das utopische Denken vertraute - anders als der Humanismus - nicht auf moralische Appelle, sondern auf die Macht veränderter Strukturen: "Weil die Ordnung gerecht, vernünftig und gut ist, ist auch der einzelne gerecht, vernünftig und gut." (Nipperdey, Morus, 183).

Utopien sind Krisenphänomene und realisieren daher einen kritischen Impuls. Abgelehnt wurden insbesondere das Privateigentum, der marktorientierte Frühkapitalismus und kriegerische Außenpolitik. Dagegen setzte man streng egalitäre Gesellschaftsformen mit Gemeinschaftsbesitz, Wahl der obrigkeitlichen Beamten und eine Betonung von Bildung und Wissenschaft.

6.5.3 Neostoizismus (Lipsius)

von Tim Neu
 

Ein aufschlußreiches ‘Symptom’ für Transformationen des Politischen ist die wechselnde Bevorzugung antiker Autoren durch die politischen Denker der FNZ: Favorisierte der ‘Bürgerhumanismus’ noch den Republikaner Cicero, so wurde dieser in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch Tacitus, den Historiker der Kaiserzeit, verdrängt, was die "Verwandlung des Bürgers in den Untertanen im Europa des 16. Jahrhunderts" (Münkler, Staatsraison, 61) illustriert. Es entstand der sog. ‘Tacitismus’, eine Art indirekter und abgemilderter Machiavellismus, der zwar wesentliche Einsichten der verpönten Politischen Klugheitslehre des Florentiners vortrug, aber dies im unverfänglichen Gewand einer moralisierenden Lektüre der Werke des Tacitus. Es war somit nicht zu übersehen, daß sich die Eigenlogik des Politischen immer weiter durchsetzte. Lehrte der Tacitismus Herrschaftstechnik für den Fürsten, so stellte sich andererseits die Frage, wie man sich - nun als Untertan - gegenüber dem werdenden Staat verhalten sollte. Diese Frage beantwortete in der Aneignung der antiken philosophischen Lehren der Stoa, vor allem derjenigen Senecas, der Neostoizismus: "Aus Tacitus war zu erfahren, zu welchen Taten Könige und Tyrannen fähig sind, aber bei Seneca konnte man lesen, wie man sich unter diesen Bedingungen zu verhalten hatte" (Münkler, Staatsraison, 62).

Beide Strömungen vereinigte das Werk des niederländischen Philologen und Philosophen Justus Lipsius (1547-1606), dessen enorme Wirksamkeit für die politische Theorie und Praxis des 17. Jhs. lange unterschätzt wurde. Dieser Einfluß resultierte aus der Tatsache, daß Lipsius’ "epochenspezifisch perfektionierte Kombination stoischer Tugend- und taciteischer Herrschaftslehre einem zentralen Bedürfnis der zeitgenössischen Führungsschichten" (Weber, Vorwort, XIV) entsprach.

Der Kern der (neo-)stoischen Tugendlehre ist dabei die angestrebte Selbstkontrolle der Triebe und Leidenschaften durch die sittliche Vernunft. Diese Selbstdisziplinierung zielt auf einen Zustand der constantia (Beständigkeit, Standhaftigkeit), in dem die Zufälle und Widrigkeiten des Lebens keinen Einfluß mehr auf die Lebensführung ausüben können. Das bedeutet auch eine Ablehnung einer (z.B. republikanischen) Vaterlandsliebe und eines emotionalen politischen Engagements, zugunsten eines abgeklärten, disziplinierten Dienstes für die Herrschaft, wohingegen Widerstand gegen diese kategorisch ausgeschlossen wird. Der taciteische Aspekt stellt hingegen auf herrschaftliche Fremdkontrolle der ‘Masse’ bzw. des ‘Pöbels’ ab. Zur Herrschaft selbst, von Lipsius definiert als ‘Ordnung im Befehlen und Gehorchen’, befähigt und legitimiert nur die vollkommene sittliche Selbstbeherrschung. Allerdings darf der Fürst - der Neostoizismus votiert eindeutig für die konfessionell einheitliche Erbmonarchie - im Interesse des Staates in Notsituationen unmoralisch handeln.

Insgesamt stellte der Neostoizismus "ein konstruktives Element des politischen Denkens im ausgehenden 16. Jahrhundert dar: Leistungs- und Machtsteigerung des Staates, Bejahung von Gewalt und Heerbildung, aber auch Selbstdisziplin des Herrschers und Erhöhung seiner Pflichten, moralische Erziehung des Volkes, des Beamtentums und des Heeres zu Arbeit, Askese, Pflichterfüllung und Unterordnung" (Oestreich, Neustoizismus, 186).

6.5.4 Naturrechtlicher Republikanismus (Rousseau)

von Tim Neu
 

Republikanismus leitet sich ab von lat. res publica, was wörtlich ‘öffentliche Sache’ bedeutet. Diese ist ‘öffentlich’, weil sie das Wohl des ganzen Gemeinwesens (civitas) betrifft und daher im Unterschied zu den nur individuellen res privatae alle Bürger angeht und von ihnen entschieden wird. Im Zentrum republikanischen Denkens, wie es zuerst in der Antike entwickelt wurde, steht das Konzept einer doppelten ‘Freiheit’ - ‘freie’ Bürger in einem ‘freien’ Staat (civitas libera). Der Freiheitsbegriff ist wesentlich ‘negativ’ konstruiert und gründet in der Abwesenheit von Abhängigkeit und Beschränkungen: Der Bürger ist frei, wenn seine Handlungen - anders als die des Sklaven - nur seinem eigenen Wollen entspringen, und das ‘freie’ Gemeinwesen ist dasjenige, welches allein durch den Willen der Gesamtheit der Bürger und nicht durch Einzelwillen geleitet wird, ein "empire of laws and not of men" (Harrington, Oceana, 8). Obwohl man an der Basis des Republikanismus immer eine solche Vorstellung von ‘Freiheit’ findet, kann man doch für die FNZ grob drei wesentliche Ausprägungen dieses Denkens festmachen, die sich darin unterscheiden, welchen Zwecken das ‘freie’ Gemeinwesen dienen soll.

Eine erste Wiederaufnahme fand die antike republikanische Tradition im italienischen Bürgerhumanismus der Renaissance. Wie die antiken Vorbilder stellte man "the ability of free states to attaining glory and greatness" heraus, die auf der Überlegung gründete, daß nur in freien Gemeinwesen tatsächlich alle Bürger um die Förderung des Gemeinwohls bemüht sind, weil alle an der Leitung desselben teilhaben. Eine zweite Blütezeit erfuhr der Republikanismus dann in der Mitte des 17. Jhs. im Gefolge des englischen Bürgerkrieges. Nunmehr wurde jedoch der Zweck des freien Staates darin gesehen, jedem Bürger "the unconstrained enjoyment of a number of specific civil rights" garantieren zu können (beide Zitate: Skinner, Liberty, 64 und 18).

Das Zentralproblem des Republikanismus ist das problematische Verhältnis zwischen dem Ideal individueller Freiheit einerseits und den Notwendigkeiten politisch-staatlicher Machtausübung andererseits. Dabei wurde stets so argumentiert, daß die individuelle Freiheit allein durch "incorporation und participation in a suitably republican polity: a free state" (Pettit, Freedom, 340) gesichert werden könne. Praktisch konnte daraus die Abschaffung der Monarchie gefolgert werden, die meisten Autoren bevorzugten jedoch - nach antikem Vorbild - eine Form der ‘gemischten Verfassung’ aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen, wobei die Souveränität jedoch eindeutig beim Volk verortet wurde.

Im 18. Jh. schließlich verbanden sich solche republikanischen Vorstellungen mit Argumentationsmustern des modernen Naturrechts zu einer zukunftsträchtigen dritten Form, wie sie etwa Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) vortrug. Dies wurde ermöglicht durch die in beiden Denkrichtungen betonte Bedeutung der prinzipiellen Partizipationsrechte des Volkes. Hatte das traditionelle republikanische Denken das Bestehen von Herrschaft vorausgesetzt und sich auf die Ermöglichung einer freiheitsförderlichen Ausübung derselben konzentriert, so erschloß das moderne Naturrecht neue argumentative Grundfiguren, mit denen Herrschaft nun auf einen ‘Vertrag’ zurückgeführt werden konnte, dem ein ‘Naturzustand’ mit vollkommenen und individuellen Freiheitsrechten vorausging. So konnte nun argumentiert werden, daß Herrschaft erst sekundär aus vertraglich geregelten Freiheitsverzichten entstehe und zwar allein mit dem Ziel, diese Verzichte durch neue Formen der bürgerlichen Freiheit zu übertreffen.

Dieser neue, naturrechtlich geprägte Republikanismus plädierte für die umfassende legislative Gewalt des souveränen Volkes (Staatsform: Republik), die jedoch nicht in repräsentativen Körperschaften (z. B. Parlamenten) vertreten, sondern nur vom ganzen Volk direkt ausgeübt werden könne. Ebenso wurde eine Gewaltenteilung eingeführt, da sich das Volk eine ihm angemessene Regierungsform (Monarchie, Aristokratie, Demokratie) als Exekutive zur Ausführung der Gesetze gebe.

Damit einher ging eine emphatische ‘Aufladung’ der Partizipation am Gemeinwesen. War diese vorher als notwendige Voraussetzung zur Erhaltung der individuellen Freiheit erschienen, so wurde sie nun als Teilhabe an der überindividuellen volonté général (Gemeinwillen) positiv ‘verklärt’, der Privatwillen hingegen abgewertet. Da der Gemeinwille nicht einfach dem Willen der Mehrheit (volonté de tous) entspricht, sondern auf das Gemeinwohl orientiert ist, bedarf der Staat zu seiner Erhaltung tugendhafter und daher auf das Gemeinwohl abzielender Menschen: "Der politische Mensch im Vollsinn ist für Rousseau nur als tugendhafter Mensch denkbar". Hier wird deutlich, daß diese Form des Republikanismus eine stark normative Grundausrichtung aufweist und daher "kein wertneutraler Organisationsvorschlag politischer Technologie, sondern ein sittliches Reformprogramm" ist (beide Zitate: Reinhard, Humanismus, 340 und 343). Zu den Instrumenten dieses Programms gehörte patriotische Erziehung und Propaganda ebenso wie die Etablierung einer mit der Todesstrafe sanktionierten ‘Zivilreligion’.