1.2. Auswirkungen

Der Buchdruck trägt dem gewachsenen Bedürfnis nach Schriftlichkeit im frühkapitalistischen Handel sowie in der städtischen und fürstlichen Verwaltung Rechnung; die Schriftlichkeit entspricht der gewachsenen Laienbildung in den Städten und treibt ihrerseits wiederum Alphabetisierung und Schriftlichkeit im Alltagsleben voran. Informationen lassen sich massenweise in identischer Form, schnell und überregional verbreiten. Ein Buch kann viel mehr Leser, ein Leser viel mehr Bücher haben. Was bedeutet das? Persönliche, lokal begrenzte face-to-face-Kommunikation wird immer stärker überformt durch unpersönliche, überregionale, generalisierte Kommunikation. Das verstärkt langfristige Entwicklungen in allen Bereichen der Kultur.

1.2.1. Standardisierung von Sprache

Die Ausbreitung des Buchdrucks führt zu einer Standardisierung von Sprache („gemein teutsch“ der Lutherbibel!) und Schrift (Antiqua, im Deutschen Fraktur). Die Standardisierung durch überregional identische Texte und Bilder wirkt sich auf die Inhalte (z.B. Gesetze, Sitten, Kunststile etc.) aus und ermöglicht zugleich die Wahrnehmung regionaler Verschiedenheit (Bsp. Kleidungsnormen).

1.2.2. Entstehung von individueller Autorschaft

Im Mittelalter ist jedes handgeschriebene Buchexemplar individuell; jeder Schreiber kann kompilieren, verändern, kürzen, erweitern und fortschreiben; ein Titelblatt gibt es nicht. Durch den Druck identischer Exemplare wird der Text solcher Veränderung entzogen. Eine neue Buchgestaltung mit Titelblatt (Angabe von Autor, Titel, Druckort und -jahr) setzt sich rasch durch und ermöglicht die individuelle Zurechnung des Textes zu einem Autor. Das Prinzip der individuellen Autorschaft wird rückwirkend auch auf antike Textcorpora angewendet. Damit zusammenhängend entstehen Urheberrecht und Zensur.

1.2.3. Humanismus und Buchdruck

Die Bildungsbewegung des Humanismus wird im 14./15. Jh. in den oberitalienischen und niederländischen Städten und an den Fürstenhöfen entwickelt; sie richtet sich gegen die universitäre Lehrtradition der Scholastik und gegen die Dominanz der Theologie und wird von einer neuen Bildungselite von Laien getragen.

Neue Aneignung der antiken Kultur:

  • Bemühen um authentische Rekonstruktion der klassischen antiken Texte jenseits ihrer mittelalterlichen „Verfälschung“ (v.a. durch wiederholtes Abschreiben);
  • Entstehung historisch-philologischer Quellenkritik;
  • Sammlung antiker Überreste aller Art.

Die griechisch-römische (heidnische) Kultur gilt als unüberbietbarer, zeitlos gültiger Schatz menschlicher Tugenden, Kenntnisse und Fähigkeiten (Literatur, Bildhauerei, Architektur, Kriegswesen, Politik usw.). Studia humaniora oder humanae litterae (Poesie, Rhetorik, Geschichte, klassisches Latein Ciceros, Griechisch, Hebräisch), die den Zugang zur antiken Bildung erschließen, werden erneuert und gepflegt. Humanisten bedienen sich von Anfang an des Buchdrucks, um den zusammengetragenen Schatz antiker Texte in emendierter, standardisierter Form herauszugeben. Die Folge: „Nachdem das alte Wissen im Archiv war, wurde das neue Wissen prämiert“ (Giesecke, Buchdruck).

1.2.4. Wandel der Wissenskultur

Das bisher disparat tradierte Wissen kann von einem Einzelnen besser zusammengetragen und überschaut werden; dies führt zu einer „Explosion“ des gespeicherten Wissens; Austausch, Vergleich, Kombination, Sammlung und systematisierende Ordnung der Inhalte werden stimuliert. Es erfolgt nicht mehr die Kommentierung und Glossierung eines Textes, sondern ein wechselseitiges Verweisen und Zitieren zwischen vielen Texten. 

Hierdurch wird mündlich tradiertes Geheimwissen delegitimiert; „wahres Wissen“ muss öffentlich sein. Soziale Verallgemeinerung des Zugangs zum Wissen; Zusammenarbeit von Gelehrten mit Handwerkern und Verlegern (als wichtige Voraussetzungen für die  „wissenschaftliche Revolution“ des 17. Jh.s).

1.2.5. Wandel der religiösen Kultur

Durch den Buchdruck wird die Schrift gegenüber dem Ritus aufgewertet. Laien beanspruchen einen unmittelbaren Zugang zu den Grundschriften der christlichen Religion (Priestertum aller Gläubigen und sola scriptura-Prinzip der Reformation); Voraussetzung dafür sind Buchdruck und Bibelübersetzung. Theoretisch-abstraktes Glaubenswissen gewinnt langfristig an Bedeutung gegenüber konkreter Glaubenspraxis (ReformationKonfessionalisierung).

1.2.6. Wandel der Rechtskultur

Mündlich und praktisch überliefertes, lokales, von Laien gepflegtes Gewohnheitsrecht wird zunehmend verdrängt durch schriftliches, allgemeines, von professionellen Gelehrten gepflegtes Gesetzesrecht.