2.1. Gab es eine „wissenschaftliche Revolution“?

In der FNZ wandelten sich die Auffassung von der Natur und die Methoden und sozialen Praktiken des Wissenserwerbs grundlegend. Man hat das als eine „Revolution“ aufgefasst, die fundamentaler und folgenreicher war als alle politischen Revolutionen der FNZ, und darin den „Ursprung der Moderne“ gesehen. Insbesondere die „Kopernikanische Wende“ (Nikolaus Kopernikus, „De revolutionibus orbium coelestium“, 1543), d.h. die Formulierung des heliozentrischen Weltbildes, gilt dabei als Schlüsselereignis. Dem entspricht, dass die Protagonisten dieses Wandels besonders im 17. Jh. sich selbst als radikale Neuerer verstanden. Die neuere Forschung betont hingegen, dass es sich um einen langfristigen und widerspruchsvollen Prozess handelte, nicht um einen linearen Fortschrittsprozess zu immer „wahrerer“ Erkenntnis.

  • Der ptolemäische Kosmos
  • Das kopernikanische System

2.1.1. „Wissenschaftliche Revolution“ nach Thomas S. Kuhn

Die Durchsetzung des Kopernikanischen Weltbildes und der Newtonschen Physik gilt als Modellfall einer „wissenschaftlichen Revolution“. Seit Kuhn hat sich in der Wissenssoziologie die Auffassung durchgesetzt, dass wissenschaftlicher Wandel sich nicht als allmähliches, lineares Anwachsen eines Schatzes von Erkenntnissen vollzieht, sondern als Ablösung eines wissenschaftlichen „Paradigmas“ durch ein anderes. Ein Paradigma ist ein Set von Methoden, Begriffen, Kategorien und Problemlösungsverfahren, das die Wahrnehmung und Deutung der Phänomene immer schon steuert und bestimmte Fragen erzeugt und andere nicht. „Normale Wissenschaft“ besteht darin, die Fragen zu lösen, die das etablierte Paradigma stellt. Die Zunahme von Anomalien (Entdeckungen, die das Paradigma nicht erklären kann, und Problemen, die es nicht lösen kann) führt zu einer Phase der Unsicherheit, in der verschiedene Theorien konkurrieren, bis ein neues Paradigma sich durchsetzen und als „normale Wissenschaft“ etablieren kann. Das neue Paradigma ist nicht „wahrer“ als ein anderes, sondern löst die relevanteren Probleme. Mit der Ablösung des wissenschaftlichen Paradigmas durch ein anderes ändern sich nicht nur die wissenschaftlichen Methoden und Fragestellungen, sondern die ganze Weltsicht. (Kuhn, Struktur)