3.2. Aufklärung als soziale Bewegung
3.2.1. Eine „bürgerliche“ Bewegung?
Die neuen Ideale werden getragen von der aus Adel und gelehrtem Bürgertum stammenden Bildungselite (Bürgertum – neue Funktionselite). Allgemein gebildete Stände, nicht mehr nur Gelehrte, nehmen Teil an einem immer dichteren, überregionalen, medial vermittelten Kommunikationsnetz. Ein Indiz dafür ist, dass Latein als Gelehrtensprache zunehmend abgelöst wird von den verschiedenen Volkssprachen. Wichtige Meinungsführer sind zunächst kleine, elitäre, aber ständisch gemischte Zirkel der Pariser Salons („philosophes“), deren Ideen überall in Europa rezipiert, diskutiert und weiterentwickelt werden.
3.2.2. Formen der Geselligkeit
Die Bildungseliten bringen neue Formen des sozialen Umgangs und Austauschs hervor (oder intensivieren alte Formen), die die herkömmlichen ständisch-korporativen und konfessionellen (allerdings selten die Geschlechter-) Schranken überschreiten. Persönlicher Umgang wird durch eine intensive Briefkultur und privates Reisen (erleichtert durch bessere Straßen und das Postkutschenwesen) auch überregional intensiv gepflegt.
Sozialer Austausch findet in vielfältigen Formen statt:
- Private Salons;
- wissenschaftliche Akademien;
- Lesegesellschaften;
- von lokalen Eliten betriebene, staatlich geförderte, auf Vermittlung und Nutzbarmachung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gerichtete „patriotische“ und „gemeinnützige“ Gesellschaften.
Charakteristisch ist das Geheimbundwesen (Beginn überregionaler Organisation der Freimaurerei in London mit der ersten Großloge 1717, in Deutschland erste Loge in Hamburg 1737; später in viele verschiedene Systeme zersplittert):
- Logen folgen streng geheimen Gruppenrituale und verheißen fortschreitende Einweihung in höhere Geheimnisse;
- Ideale der christlich-brüderlichen Liebe, Toleranz, Kosmopolitismus;
- politische und religiöse Themen sind tabu.
3.2.3. Pädagogik und „Volksaufklärung“
Freiheit von Vorurteilen und angemaßter Autorität setzt Erziehung zur Mündigkeit voraus; jeder Einzelne soll sich der Herrschaft der Vernunft selbst unterwerfen. Die Autonomie des Individuums setzt voraus, dass es sich selbst vollkommen beherrscht und aus freier Einsicht tut, was es tun soll. Pädagogik wird daher zum zentralen Anliegen der Aufklärer.
Das „gemeine Volk“ ist ähnlich zu behandeln wie die unmündigen Kinder; es muss erzogen und gebessert werden. Ein immer größerer Graben zwischen der Kultur der Gebildeten und der des „Volkes“ tut sich auf (Bsp. Magieglaube), zugleich wachsen die Unterschichten massiv an, die Pauperisierung nimmt zu; deshalb wird die popularisierende Vermittlung der neuen Ideen, Kenntnisse und Fähigkeiten an die illiteraten Schichten zum dringenden Anliegen. Dies führt zu einer Ambivalenz der Aufklärung, die tatsächlich mit immer stärkerem sozialem Zwang einhergeht.