Quelle: Jean Le Rond D’Alembert, Der Geist des 18. Jahrhunderts, 1758

„[...] Die Wissenschaft der Natur gewinnt von Tag zu Tag neuen Reichtum; die Geometrie erweitert ihre Grenzen und hat ihre Fackel in die Gebiete der Physik, die ihr am nächsten lagen, vorgetragen; das wahre System der Welt ist endlich erkannt, weiterentwickelt und vervollkommnet worden. Von der Erde bis zum Saturn, von der Geschichte der Himmel bis zu der der Insekten hat die Naturwissenschaft ihr Gesicht gewandelt. Und mit ihr haben alle andern Wissenschaften eine neue Form angenommen. Das Studium der Natur scheint freilich, für sich allein betrachtet, kalt und ruhig zu sein; es ist kaum dazu geeignet, die Leidenschaften zu erregen, vielmehr scheint die Befriedigung, die es in uns erweckt, in einem stillen, stetigen und gleichförmigen Gefühl zu bestehen. Aber die Entdeckung und der Gebrauch einer neuen Methode des Philosophierens erweckt nichtsdestoweniger durch den Enthusiasmus, der alle großen Entdeckungen begleitet, einen allgemeinen Aufschwung der Ideen. Alle diese Ursachen haben dazu beigetragen, eine lebhafte Gärung der Geister zu erzeugen. Diese Gärung, die nach allen Seiten hin wirkt, hat alles, was sich ihr darbot, mit Heftigkeit ergriffen, gleich einem Strom, der seine Dämme durchbricht. Von den Prinzipien der Wissenschaften an bis zu den Grundlagen der offenbarten Religion, von den Probleme der Metaphysik bis zu denen des Geschmacks, von der Musik bis zur Moral, von den theologischen Streitfragen bis zu den Fragen der Wirtschaft und des Handels, von der Politik bis zum Völkerrecht und zum Zivilrecht ist alles diskutiert, analysiert, aufgerührt worden. [...]“

  • aus: Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung. Tübingen 1932, 1-3.