2. Zeitgenössisches Epochenbewusstsein

2.1. Epochenbewusstsein um 1500

Die traditionelle Einteilung der gesamten Geschichte in Altertum – Mittelalter – Neuzeit (ausdrücklich so zuerst bei Christoph Cellarius 1685) entsprach dem Epochenbewusstsein vieler gelehrter Zeitgenossen um 1500 selbst. Die Kunst der Renaissance und die Bildungsbewegung des Humanismus entwickelten ein neues Verhältnis zur klassischen Antike, an die sie in neuer Weise anknüpften und die sie als Maßstab für alle Bereiche des Alltagslebens, der Politik, des Wissens und der Künste „wiederzubeleben“ suchten. Das „mittlere Zeitalter“ („medium aevum“) erschien aus dieser Perspektive als finstere, zu überbrückende Epoche des Verfalls. In ähnlicher Weise kritisierte die Reformation die Entwicklung der mittelalterlichen Kirche als Niedergang und suchte (wie zuvor schon andere religiöse Erneuerungsbewegungen) an das Christentum der Urgemeinde und die authentische Heilige Schrift anzuknüpfen. Auch hier entstand ein Zäsurbewusstsein, allerdings nicht im Sinne eines Aufbruchs zu einer neuen Epoche, sondern im Sinne des unmittelbar bevorstehenden Jüngsten Gerichts und des Endes aller innerweltlichen Geschichte. Im 18. Jh., dem Zeitalter der Aufklärung, setzte sich allgemein das Bewusstsein durch, dass um 1500 eine neue Epoche des Fortschritts und der Befreiung begonnen habe; vor dieser Folie verfinsterte sich „das Mittelalter“ immer mehr.

2.2. Epochenbewusstsein um 1800

Ein womöglich noch schärferes Zäsurbewusstsein empfanden die Zeitgenossen der Französischen Revolution. Deren Akteure traten an mit dem Anspruch, erstmals nach vernünftigen Maßstäben eine völlig neue politische und soziale Ordnung zu etablieren. Der bewusste Bruch mit der Vergangenheit wurde in vielfältiger Weise symbolisch zum Ausdruck gebracht, am deutlichsten wohl durch die Einführung einer neuen Zeitrechnung mit neuem Kalender, aber auch durch das demonstrative Verbrennen der Insignien und Symbole der alten Ordnung, die nun als „Ancien Régime“ bezeichnet wurde. Auch nachdem dieser Glaube an die Möglichkeit eines voraussetzungslosen, rationalen Neuanfangs als Illusion entlarvt und die Revolution zunehmend diskreditiert war, blieb das Bewusstsein erhalten, in einer Zeit extrem beschleunigten Wandels zu leben und von der vorrevolutionären Zeit durch einen tiefen Bruch getrennt zu sein. Es entwickelte sich ein verändertes Verhältnis zur Vergangenheit, der man teils mit relativierender Distanz, teils mit romantischer Verklärung gegenübertrat.