Quelle: Die 12 „Hauptartikel aller Bauernschaft“ 1524
Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer: Die 12 „Hauptartikel aller Bauernschaft“ 1524
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Hie nachfolgend die Artikel.
[1] Zum ersten ist unser demütig Bitt und Begehr, auch unser aller Will und Meinung, daß wir nun fürohin Gewalt und Macht wöllen haben, ein ganze Gemein soll ein Pfarrer selbs erwöhlen und kiesen, auch Gewalt haben, denselbigen wieder zu entsetzen, wann er sich ungebührlich hielt. Derselbig erwöhlt Pfarrer soll uns das heilig Evangeli lauter und klar predigen, ohne allen menschlichen Zusatz, Lehr und Gebot, dann uns den wahren Glauben stets verkündigen, geit [= gibt] uns ein Ursach, Gott umb sein Gnad zu bitten, uns denselbigen wahren Glauben einzubilden und in uns [zu] bestätigen. Dann wann sein Genad in uns nit eingebildet wird, so bleiben wir stets Fleisch und Blut, das dann nichts nutz ist, wie klärlich in der Geschrift staht, daß wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen kinden und allein durch sein Barmherzigkeit selig müssen werden. Darumb ist uns ein sölicher Vorgeher und Pfarrer von Nöten und in dieser Gestalt in der Geschrift gegrindt.
[2] Zum andern, nachdem der recht Zehnt aufgesetzt ist im Alten Testament und im Neuen als erfüllt, nichtsdestminder wöllen wir den rechten Kornzehnt gern geben, doch wie sich gebührt. Demnach man soll ihn Gott geben und den Seinen mitteilen, gebührt es einem Pfarrer, so klar das Wort Gotts verkindt. Seien wir des Willen, hinfüro diesen Zehnt unser Kirch Pröpst, so dann ein Gemein einsetzt, sollen einsammlen und einnehmen, darvon einem Pfarrer, so von einer ganzen Gemein erwöhlt wird, sein ziemlich genugsam Aufenthalt [= Unterhalt] geben, ihm und den Seinen, nach Erkanntnus einer ganzen Gemein, und was überbleibt, soll man armen Dürftigen, so im selben Dorf vorhanden seind, mitteilen nach Gestalt der Sach und Erkanntnus einer Gemein. Was überbleibt, soll man behalten, ob man Reisen [= Kriegsdienst leisten] müßt von Landsnot wegen. Darmit man kein Landsteuer dürf auf den Armen anlegen, soll mans von diesem Überschuß ausrichten. Auch ob Sach wäre, daß eins oder mehr Dörfer wären, die den Zehenten selbs verkauft hättent aus etlicher Not halben, dieselbigen, so darumb anzuzeigen, ihn der Gestalt haben von einem ganzen Dorf, der soll es nit entgelten, sonder wir wöllen uns ziemlicher Weis nach Gestalt der Sach mit ihm vergleichen, ihm solichs wieder mit ziemlicher Ziel und Zeit ablösen. Aber wer von keinem Dorf solichs erkauft hat und ihre Vorfahren ihnen selbs solchs zugeeignet haben, wöllen und sollen und seind ihnen nicht weiters schuldig zu geben, allein, wie obstaht, unsern erwöhlten Pfarrer darmit zu unterhalten, nachmalen ablösen oder den Dürftigen mitteilen, wie die Heilig Geschrift inhölt, sie seien geistlich oder weltlich. Den kleinen Zehnt wöllen wir gar nit geben, dann Gott der Herr das Vieh frei dem Menschen beschaffen, das wir [ihn] für ein unziemlichen Zehnt schätzen, den die Menschen erdicht haben. Darumb wöllen wir ihn nit weiter geben.
[3] Zum dritten ist der Brauch bisher gewesen, daß man uns für ihr eigen [= leibeigen] Leut gehalten haben, wölch zu erbarmen ist, angesehen daß uns Christus all mit seinem kostbarlichen Blutvergüßen erlöst und erkauft hat, den Hirten gleich als wohl als den Höchsten, kein ausgenommen. Darumb erfindt sich mit der Geschrift, daß wir frei seien und wöllen sein. Nit, daß wir gar frei wöllen sein, kein Oberkeit haben wöllen, lernet uns Gott nit. Wir sollen in Geboten leben, nit in freiem fleischlichen Mutwillen, sonder Gott lieben, ihn als unsern Herren in unsern Nächsten erkennen, und alles das ton, so wir auch gern hätten, das uns Gott am Nachtmahl geboten hat zu einer Letz [= Lehre]. Darumb sollen wir nach seinem Gebot leben. Zeigt und weist uns dies Gebot nit an, daß wir der Oberkeit nit gehorsam seien, nit allein der Oberkeit, sunder wir sollen uns gegen jedermann demütigen, daß wir auch geren [= gern] gegen unser erwählten und gesetzten Oberkeit (so uns von Gott gesetzt) in allen ziemlichen und christlichen Sachen geren gehorsam seien. Seien auch ohn Zweifel, ihr werdend uns der [Leib]eigenschaft als wahr und recht Christen geren entlassen oder uns im Evangeli des berichten, daß wirs seien.
[4] Zum vierten ist bisher im Brauch gewesen, daß kein armer Mann nit Gewalt gehabt hat, das Wildbret, Gefigel [= Vögel] oder Fisch in fließenden Wasser nit zu fachen [= fangen] zugelassen werden, welchs uns ganz unziemlich und unbrüderlich dunkt, sunder eigennützig und dem Wort Gotts nit gemäß sein. Auch in etlichen Ortern die Oberkeit uns das Gewild zu Trutz und mächtigem Schaden haben [= halten], wir uns das Unser (so Gott dem Menschen zu Nutz wachsen hat lassen) [durch] die unvernünftigen Tier zu Unnutz verfressen, mutwilliglich leiden müssen, darzu still schweigen, das wider Gott und dem Nächsten ist. Wann [= denn] als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt geben uber alle Tier, uber den Vogel im Luft und uber den Fisch im Wasser. Darumb ist unser Begehren, wann einer Wasser hätte, das ers mit genugsamer Schrift beweisen mag, daß man das Wasser unwissenlich [= aus Unkenntnis] also erkauft hätte, begehren wir, ihms nit mit Gewalt zu nehmen, sunder man müßt ein christlich Einsehen darinnen haben vonwegen brüderlicher Lieb. Aber wer nit gnugsam Anzeigen darumb kann ton, solls einer Gemein ziemlicher Weis mitteilen [= teilhaben lassen].
[5] Zum fünften seien wir auch beschwert der Beholzung halb, dann unsere Herrschaften habent ihnen [= sich] die Hölzer alle allein [an]geeignet, und wann der arm Mann was bedarf, muß ers umb zwei [= das doppelte] Geld kaufen. Ist unser Meinung, was für Hölzer seien, es habens Geistlich oder Weltlich innen, die es nit erkauft haben, sollen einer ganzen Gemein wieder anheimfallen und einer Gemein ziemlicher Weis frei sein, eim jedlichen sein Notdurft ins Haus zu brennen umbsunst lassen nehmen, auch wann vonnöten sein wurde zu zimmern, auch umbsunst nehmen, doch mit Wissen der, so von der Gemein darzu erwählt werden. So aber keins vorhanden wär dann das, so redlich erkauft ist worden, soll man sich mit denselbigen briederlich und christelich vergleichen. Wann aber das Gut am Anfang aus ihnen selbs geeignet wär worden und nachmals verkauft worden, soll man sich vergleichen nach Gestalt der Sach und Erkanntnus briederlicher Lieb und Heiliger Geschrift.
[6] Zum sechsten ist unser hart Beschwerung der Dienst halben, wölche von Tag zu Tag gemehrt werden und täglich zunehmen. Begehren wir, daß man ein ziemlich Einsehen darein tu, uns dermaßen nit so hart [zu] beschweren, sonder uns gnädig hierinnen ansehen, wie unser Eltern gedient haben, allein nach Laut des Wort Gotts.
[7] Zum siebenten, daß wir hinfüro uns [durch] ein Herrschaft nit weiter wölle lassen beschweren, sonder wies ein Herrschaft ziemlicher Weis eim verleiht, also soll ers besitzen laut der Vereinigung des Herren und Bauren. Der Herr soll ihn nit weiter zwingen noch dringen, mehr Dienst noch anders von ihm umbsunst [zu] begehren, darmit der Bauer solich Gut onbeschwert also rüeblich [= ruhig] brauchen und nießen müg. Ob aber dem Herren Dienst vonnöten wären, soll ihm der Bauer willig und gehorsam für ander sein, doch zu Stund und Zeit, daß dem Bauren nit zu Nachteil dien, und ihme umb einen ziemlichen Pfenning Dienst [zu] tun.
[8] Zum achten sein wir beschwert, und der viel, so Güter innenhaben, daß dieselben Güter die Gült nit ertragen kinden und die Bauren das Ihre darauf einbießen und verderben. [Wir begehren,] daß die Herrschaft dieselbigen Güter ehrbar Leute besichtigen lassen und nach der Billigkeit ein Gült erschöpf [= festlege], damit der Baur sein Arbeit nit umbsunst tue, dann ein jedlicher Tagwerker ist seins Lohns wirdig.
[9] Zum neunten seien wir beschwert der großen Frevel [= schwere Vergehen], so man stets neu Satzung macht, nit daß man uns straft nach Gestalt der Sach, sunder zu Zeiten aus großem Neid und zu Zeiten aus großer Gunst. Ist unser Meinung, uns bei alter geschriebner Straf [zu] strafen, darnach die Sach gehandelt ist, und nit nach Gunst.
[10] Zum zehenten sein wir beschwert, daß etlich haben ihnen zugeeignet [= sich angeeignet] Wiesen, dergleichen Äcker, die dann einer Gemein zugehörend. Dieselbigen werden wir wieder zu unsern gemeinen Handen nehmen, es sei dann Sach, daß mans redlich erkauft hab. Wann mans aber unbillicher Weis erkauft hätt, soll man sich gütlich und briederliche miteinander vergleichen nach Gestalt der Sach.
[11] Zum eilften wöllen wir den Brauch, genannt den Todfall, ganz und gar abtun haben, den nimmer leiden noch gestatten, daß man Witwen, Waisen das Ihre wider Gott und Ehren also schändlich nehmen, berauben soll, wie es an viel Orten (mänigerlei Gestalt) geschehen ist. Und von den, so sie beschitzen und beschirmen sollten, hand [= haben] sie uns geschunden und geschaben, und wann sie wenig Fug hättent gehabt, hättent dies gar genommen. Das Gott nit mehr leiden will, sunder soll ganz absein, kein Mensch nichts hinfüro schuldig sein zu geben, weder wenig noch viel.
[12] Zum zwelften ist unser Beschluß und endliche Meinung, wann einer oder mehr Artikel, allhie gestellt, so dem Wort Gottes nit gemäß wären, als wir dann nit vermeinen, dieselbigen Artikel, wo man uns mit dem Wort Gotts für unziemlich anzeigen, wollt wir darvon abstohn, wann mans uns mit Grund der Schrift erklärt. Ob man uns schon etlich Artikel jetz zuließ und hernach sich befänd, daß [sie] unrecht wären, sollen sie von Stund an tot und absein, nichts mehr gelten. Dergleichen, ob sich in der Schrift mit der Wahrheit mehr Artikel erfunden, die wider Gott und Beschwernus des Nächsten wären, wöll wir uns auch vorbehalten und beschlossen haben und uns in aller christlicher Lehr übern und brauchen. Darumb wir Gott den Herren bitten wöllen, der uns dasselbig geben kann und sunst niemand. Der Fried Christi sei mit uns allen.“
- zitiert nach: Detlef Plöse und Günter Vogler (Hrsg.), Buch der Reformation. Eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476-1555). Berlin 1989, 358-362; sprachlich geringfügig modernisierte Fassung.