2.3. Krise des konfessionellen Zeitalters

2.3.1. Konfessionspolitische Zuspitzung

Der Konsens der Reichsstände, zur Erhaltung des Friedens auf die Durchsetzung des jeweiligen religionspolitischen Ansprüche zu verzichten, wird in der zweiten Generation nach dem Augsburger Religionsfrieden immer brüchiger. Die Kontroverstheologie spitzt sich zu, auch zwischen Lutheranern und Reformierten. Die 1560er Jahre sind der Höhe- und Wendepunkt der Ausbreitung des Protestantismus im Reich; seither erfolgt eine zunehmend erfolgreiche Rekatholisierungspolitik der katholischen Landesherren gegenüber ihren evangelischen Landständen und Untertanen. Die gestärkte katholische Kirche geht seit dem Tridentinum in die Offensive.

2.3.2. Wirtschaftliche und soziale Krisenfaktoren und -symptome

  • „Kleine Eiszeit“ seit den 1570er Jahren
  • Pest und Rote Ruhr in den 1560-80er Jahren, z.B. in Nürnberg: 1561-85 fallen ca. 20.000 von ca. 45.000 Einwohnern der Epidemie zum Opfer
  • anhaltendes Bevölkerungswachstum und Preisanstieg: Ressourcenverknappung, Besitzkonzentration, Pauperisierung (Wirtschaftliche Grundstrukturen und Entwicklungen)
  • Niedergang der oberdeutschen frühkapitalistischen Wirtschaftszentren
  • erneut äußere Bedrohung durch die Türken (1593 ff.)

Die auffälligsten Krisensymptome waren: 

  • der Höhepunkt der Hexenfurcht und Hexenverfolgungen im Reich 1570-1630
  • eine Serie von Bürgeraufständen gegen die Ratsoligarchie bzw. den Landesherren in norddeutschen Hansestädten sowie Frankfurt, Worms, Wetzlar, Schwäbisch Hall (alle zwischen 1590 und 1616)
  • Judenpogrome in den wenigen Reichsstädten, wo es noch größere Judengemeinden gab: Speyer 1603, Wetzlar 1609, Frankfurt/Main 1614, Worms 1615
  • Bauernaufstände im südwestdeutschen und österreichischen Raum seit 1560er Jahren (Höhepunkt war der oberösterreichische Bauernkrieg 1626)

Der Konfessionsgegensatz greift auf alle Bereiche aus, wie sich am Beispiel des Kalenderstreits zeigt: Protestantische Reichsstände weigern sich bis 1700, die Kalenderreform des Papstes Gregor XII. von 1582 zu übernehmen.

2.3.3. Konfessionspolitische Konflikte im Reich

Die Auslegung des Augsburger Religionsfriedens ist zunehmend umstritten. Im Kern geht es um die Frage: Wie weit geht das Recht der Fürsten gegenüber der Konfession ihrer Stände und Untertanen? Der Streit um den „geistlichen Vorbehalt“ des Augsburger Religionsfriedens führt zu einer „Freistellungsbewegung“ auf den Reichstagen der 1560/70er Jahre mit der Kernfrage: Sollen alle geistlichen Pfründen bei einem Konfessionswechsel ihrer Inhaber für diese verloren gehen oder nicht? 

Der Streit um die „Declaratio Ferdinandea“ dreht sich um die Frage: Genießen evangelische Stände und Untertanen in katholischen Territorien Schutz gegenüber Zwangsbekehrung? 

Spektakuläre, z.T. militärisch ausgetragene Konflikte mit konfessionspolitischem Hintergrund sind: 

2.3.4. Lähmung der Reichsorgane

Reichsgerichte und Reichstage als Institutionen, in deren Rahmen die Reichsstände ihre Konflikte formalisiert und friedlich austragen können, hören auf zu funktionieren, weil die Grundvoraussetzung dafür nicht mehr gegeben ist: Die Bereitschaft aller Beteiligten, sich gemeinsamen Verfahrensregeln zu unterwerfen, schwindet, weil die katholische Seite ein strukturelles Übergewicht hat und die protestantische Seite sich generell in die unterlegene Position versetzt sieht. Die Reichskammergerichtsjustiz wird gelähmt; die Reichstage 1608 und 1613 (kaiserlicher Steuerbedarf wegen Türkenkrieg) scheitern an der Frage des Mehrheitsprinzips in Religionssachen; alle Plattformen für einen friedlichen Ausgleich sind damit gesprengt. Es kommt zur Bildung konfessioneller Sonderbünde: 

  • Protestantische Union 1608
  • Katholische Liga 1609