4.3. Krieg

Ein wesentlicher Teil der Praxis des Europäischen Staatensystems ist die Kriegführung. Bewaffnete Konflikte sind gerade im 17. und 18. Jh. außergewöhnlich häufig. Der Krieg ist grundsätzlich legitim. Die europäischen Mächte sind aber auch zum Friedensschluss fähig - spätestens nach Zurücksetzung der konfessionellen Grundsatzkonflikte zugunsten politischer Lösungen im Westfälischen Frieden. (Schilling) (Hugo Grotius und die Lehre von der Souveränität, Inhaltliche Probleme, Westfälischer Friede, Kongresse und Friedensschlüsse) Krieg ist also keine Infragestellung der Ordnung als Ganzer; vielmehr bildet sich diese Ordnung in der und durch die Praxis der Kriegführung.

Während Krieg aus dieser Perspektive als wohlgeordnetes Billardspiel der Souveräne erscheinen kann - so etwa in zeitgenössischen Karikaturen - stellt er sich aus der Perspektive der Bevölkerung natürlich ganz anders da. Im Idealfall der Kriegstheorie sind die Untertanen nur als Steuerzahler vom Krieg betroffen - in der Praxis haben sie in vieler Hinsicht unter Hunger, Seuchen und Gewalt zu leiden.

Aus institutioneller Perspektive schließlich stehen Aufbau und Organisation der Militärmaschinerie - im Krieg wie im Frieden - in einem engen Zusammenhang und gegenseitiger Wechselwirkung mit den Strukturen der sie umgebenden Gesellschaft. Insbesondere der Zusammenhang von Kriegführung und Staatsbildung ist häufig untersucht worden.

4.3.1. Krieg und Staatsbildung

Innere und äußere Staatsbildung sind eng verschränkte Prozesse, und zwar gerade durch den Krieg. (Staatsbildungsprozesse) Im frühmodernen europäischen Wirtschaftsraum konkurrieren unterschiedliche Machtzentren dauerhaft um Einfluss. Diese Konkurrenz wird in erster Linie militärisch ausgetragen. Dadurch entsteht bei den herrschenden Eliten ein Interesse erstens an der Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der von ihnen beherrschten Territorien, zweitens an der Entwicklung (staatlicher) Institutionen, die wirtschaftliche Ressourcen in Form von Steuern abschöpfen können, um schließlich drittens ein schlagkräftiges Militär unterhalten zu können.

Außerdem erfordert auch die Kontrolle des Heeres den Aufbau eines staatlichen Apparats, der nach dem Dreißigjährigen Krieg (Dreißigjähriger Krieg) die Heeresorganisation durch eigenständige bezahlte Kriegsherren wie Wallenstein ablöst. Technische und organisatorische Innovationen auf dem militärischen Sektor spielen ebenfalls eine Rolle dabei, Kriegführung immer aufwendiger zu machen.

Nach innen sind Entstehung von Steuerwesen, Verwaltung und Militär wesentlicher Teil des Staatsbildungsprozesses und liefern gleichzeitig die Mittel zu seiner Intensivierung. Nach außen führen steigende Aufwendungen und immer höhere organisatorische Voraussetzungen schließlich dazu, daß nur noch Staaten zur effektiven Ausübung organisierter Gewalt fähig sind (Tilly) - eine Entwicklung, die, wie sich gegenwärtig zeigt, durchaus nicht irreversibel ist. (Münkler)

Erst dass die Fähigkeit zur Kriegführung derart eingegrenzt ist, macht das Recht zur Kriegführung zum sinnvollen Abgrenzungskriterium der Staatengemeinschaft im Völkerrecht. (Hugo Grotius und die Lehre von der Souveränität) Kriegführung ist somit sowohl Voraussetzung der Entstehung von Staaten wie Ausweis erworbener Staatlichkeit.

4.3.2. Bellizität

Krieg und Staatsbildung stehen in einem engen Zusammenhang. Der Grund für die besondere Häufigkeit von Kriegen in der Epoche ist allerdings zuletzt weniger in der zunehmenden als in der noch defizitären Staatlichkeit gesehen worden. Zuletzt hat Burkhardt für die gesamte Frühe Neuzeit von einem "Egalitätsdefizit", einem "Institutionalisierungsdefizit" und einem "Autonomiedefizit" gesprochen. Allerdings bleibt zu fragen, anhand welches Maßstabes ein Zeitalter als mehr oder weniger friedlich erkannt werden kann. Zwar brechen im 19. und 20. Jh. weit seltener Kriege aus als im 17. und 18., aber auch Ausdehnung und Intensität verändern sich dramatisch. (Burkhardt Kunisch)

4.3.2.1. Egalitätsdefizit

Die völkerrechtliche Gleichordnung der Staaten ist noch keineswegs fest verankert. (Souveränität) Kriege zwischen Großmächten werden immer noch für und gegen Universalherrschaftsansprüche geführt. Die Gegner Ludwig XIV. versammeln sich hinter der Metapher des "europäischen Gleichgewichts" (balance of power), von dem sie glauben, daß sie es gegen eine "Universalmonarchie" Ludwigs verteidigen müssen. Ludwig dagegen strebt eine Stellung an der Spitze der Hierarchie der europäischen Mächte an. Noch in den englisch-französischen Kolonialkonflikten am Ende des 18. Jh. (etwa im Siebenjährigen Krieg) kann man aus dieser Perspektive den Kampf um eine ausschließliche Vormachtstellung in Europa erkennen - was es unmöglich machte, sie friedlich beizulegen.

Am anderen Ende des Spektrums versuchen Mächte, deren Status wie der der Kurfürsten im Römisch-Deutschen Reich (Heiliges Römisches Reich) unklar ist, ihre Souveränität mittels Kriegführung durchzusetzen. Am erfolgreichsten sind dabei die Kurfürsten von Brandenburg und (seit 1701) Könige von Preußen, die in einer Serie von kriegerischen Auseinandersetzungen ihre Souveränität gegenüber dem Reich und schließlich sogar ihren Anspruch als eingeständige Großmacht erkämpfen und verteidigen.

4.3.2.2. Institutionalisierungsdefizit

Zweitens ist der entstehende Staat durch ein Institutionalisierungsdefizit noch hochgradig von der Person des Herrschers abhängig. Allein über ihn sind verschiedene Herrschaften ganz unterschiedlicher Qualität zu einem Ganzen integriert. (Staatsbildungsprozesse, Dynastie) Das unterwirft die Staaten der fürstlichen Handlungslogik, die auf die Verteidigung und Vermehrung der eigenen "gloire" und der Stellung unter den europäischen Potentaten besonders auf dem Schlachtfeld ausgerichtet ist. Der Angriff Ludwigs XIV. auf die Niederlande 1672 (Holländischer Krieg) ist zu einem wesentlichen Teil darauf zurückzuführen, daß er sich durch die Parteinahme der Republik für seine Gegner im Devolutionskrieg in seiner königlichen Würde verletzt sah.

Todesfälle führen immer wieder zu dynastischen Komplikationen bei der Nachfolge, die zahlreiche Kriege auslösen. Das absehbare Aussterben der spanischen Habsburger in männlicher Linie etwa überschattet für Jahrzehnte die Beziehungen zwischen den europäischen Höfe und führt schließlich zu einem der längsten und blutigsten Kriege der Epoche, dem Spanischen Erbfolgekrieg.

Allerdings ist nicht einmal das Aussterben einer ganzen Linie nötig, um einen Krieg auszulösen. Schon die geringste Unklarheit über den Ablauf der Erbfolge kann zu konkurrierenden Ansprüchen europäischer Verwandter zumindest auf Teile des Erbes führen.

4.3.2.3. Autonomiedefizit

Schließlich fasst Burkhardt (Burkhardt, Friedlosigkeit) verschiedene Probleme unter dem Begriff "Autonomiedefizit" zusammen. In Hinblick auf die Wirtschaft meint das: Sie wird von den staatstragende Eliten vorwiegend als Mittel zu Staatsaufbau und -verteidigung wahrgenommen, Wirtschaftswachstum gilt keineswegs als Selbstzweck. Zudem wird der Reichtum der Welt als prinzipiell nicht vermehrbar angesehen, Gewinn ist nur auf Kosten anderer möglich. (Konkurrenz um knappe Ressourcen)

Die Inanspruchnahme der Wirtschaft in erster Linie für den Staatsaufbau in Konkurrenz zu anderen Staaten bedeutet, daß aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht auf Kriege verzichtet wird. Dagegen bilden konfessionelle Differenzen nach 1648 kein Kriegsmotiv mehr.

4.3.3. Kriegführung und Kriegserfahrung [nicht bearbeitet]

4.3.4. Militär und Gesellschaft [nicht bearbeitet]