4.6. Öffentlichkeit

Einerseits spielt sich Außenpolitik nach wie vor im sprichwörtlichen "Arcanum" ab. Die europäischen Potentaten begreifen sie als ihr exklusives Betätigungsfeld und lassen sich auch von ihrer eigenen Bürokratie kaum Fesseln anlegen. Im Gegensatz zur Moderne dienen Geheimhaltung in der Politik und Geheimhaltung der Politik als Ganzer auch der Legitimation nach außen. Sie gleichen den Souverän dem ebenfalls unergründlichen Gott an. Fürstliche Selbstdarstellung findet dementsprechend zum Teil in Form von Emblemen und Allegorien statt, die nur für einen eingeweihten Zirkel verständlich sind. Das tut ihrer Wirkung keinen Abbruch - dem Rest der Bevölkerung sollen sie vor allem eine Aura des Geheimnisvollen vermitteln. (Gestrich)

Allerdings resultiert aus der Struktur der ständischen Gesellschaft ein Überfließen von Information aus exklusiven Teilöffentlichkeiten an ein breiteres Publikum. Dem korrespondiert ein wachsendes öffentliches Interesse an Fragen von Krieg und Frieden. Neben Souveränen und Entscheidungsträgern in der Bürokratie nehmen auch das höfische Publikum, zunehmend die Gelehrten und auch das einfache Volk in unterschiedlichem Maße Anteil an außenpolitischen Entwicklungen.

Dem entspricht, daß sie in einer Vielzahl von Medien in sehr unterschiedlicher Weise verhandelt werden, was insgesamt die Verbreitung von Informationen an immer größere Teile der Bevölkerung ermöglicht. Schon die Westfälischen Friedensverträge (Westfälischer Friede) - notorisch lang und kompliziert -werden in einer Auflage von etwa 40000 Exemplaren verbreitet und von einer weit größeren Anzahl von Menschen durch Lesen oder Vorlesen rezipiert. (Repgen)

Mit der allgemeinen Delegitimation des Geheimnisses im Rahmen der Aufklärung gerät auch das politische Geheimnis zunehmend in den Verdacht des Eigennutzes. Das gebildete Publikum reklamiert für sich die Fähigkeit, über die politischen Arcana Kraft eigenen Verstandes zu urteilen und drängt auf Öffentlichkeit von Inhalten und Entscheidungsprozessen. (Medienrevolution)

In Großbritannien und den Niederlanden finden in den Druckmedien intensive Debatten zu außenpolitischen Themen statt. Im Rest Europas ist das nur mit Einschränkungen möglich. Auch für Großbritannien und die Niederlande sind zwar die Rückwirkungen der öffentlichen Diskussionen auf das Handeln der Entscheidungsträger nicht endgültig geklärt. Aber auch für Gebiete mit weniger intensiven "öffentlichen" Debatten wie dem Reich ist festzustellen, daß sich die Entscheidungsträger einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sehen und auf ihn zu reagieren versuchen.

4.6.1. Friedenspläne

Ein großer Teil der öffentlichen Debatte über außenpolitischen Fragen dreht sich um die Frage, wie es möglich ist, einen möglichst dauerhaften Frieden in Europa zu etablieren. Im Reich spielt sie sich allerdings noch zu einem großen Teil vor einem wissenschaftlichen Publikum in Form von Dissertationen und Vorlesungen ab.

Im 17. Jh. stehen moralisch-religiöse Appelle an Politiker im Vordergrund. Zu Beginn des 18. Jh.s schwenkt die Debatte um und dreht sich fortan um die Möglichkeit, institutionelle Voraussetzungen für eine europäische Friedensordnung zu schaffen, die unabhängig vom moralischen Bewußtsein einzelner Politiker funktionieren sollen. Dabei bilden die europäischen Kongresse Vorbilder für den Versuch, über eine Form von Versammlung der europäischen Staaten eine verbindliche und vorbeugende Konfliktregelung zu etablieren. (Kongresse und Friedensschlüsse)

Der erstmals 1713 veröffentlichte Friedensplan des Abbé de St. Pierre  wird zur Grundlage einer intensiven Debatte im Laufe der Aufklärung. Er sieht eine Europäische Versammlung vor, die Konflikte verbindlich regelt und gewaltsames Vorgehen der Gemeinschaft gegen Friedensstörer einleiten kann. Die Erfolgsaussichten des Projekts sind umstritten. Zwar kommt es nach der Veröffentlichung der ersten Friedenspläne zu den auf Friedenswahrung, nicht auf Kriegsbeendigung ausgerichteten Kongressen von Cambrai  und Soissons. Aber sie können keine gemeinsame Regelung der anstehenden Probleme erreichen und das Modell des friedenswahrenden Kongresses findet keine Fortsetzung. Die Möglichkeit verbindlicher Entscheidungen ist von den Kongreßteilnehmern ohnehin nicht vorgesehen.

Ein weiterer Strang der Debatte um die Verbreitung des Friedens entspringt aus den ökonomischen Debatten der Marktwirtschaftler um Adam Smith . Wohlstand erscheint für sie als prinzipiell vermehrbar und zwar durch die freie Entfaltung der Märkte ohne staatliches Eingreifen, und der Staat wird auf den Wohlstand der Bürger ausgerichtet, nicht die wirtschaftliche Wertschöpfung auf Staatsbildung. (Konkurrenz um knappe Ressourcen Bellizität) Damit wird eine Kosten-Nutzen-Kalkulation präsentiert, die den Krieg für die Akteure aus Eigeninteresse und weitgehend unabhängig vom Ausgang irrational macht und von der man hofft, sie möge sich in das Handeln der Staaten übersetzen.