Anonym [Gottfried Wilhelm Leibniz]: Germani curiosi admonites

Auszug aus: Anonym [Gottfried Wilhelm Leibniz]: Germani curiosi admonites, in: Einige Schrifften den Characterem der Chur- und Fürstlichen Gesandten betreffendt, 1678, S. 29-62.
Druck in: Ders.: Sämtliche Schriften und Briefe, hg. v. d. Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 4. Reihe: Politische Schriften, Bd.2: 1677-87, Berlin 1963, S. 367-78.

Gottfried Wilhelm Leibniz fertigt diese und eine Reihe weiterer Schriften zu Zeremonialfragen im Auftrag der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg an. Die Fürsten versuchen auf dem Friedenskongress vom Nimwegen 1677-9 und anschließend auf dem Reichstag das gleiche zeremonielle "Tractament" wie die Kurfürsten zu erhalten. Wichtig ist insbesondere, dass ihren Repräsentanten von später eintreffenden die "erste Visite" abgestattet wird, dass sie als Gäste bei Visiten den "Vortritt" erhalten und dass sie mit dem Titel "Exzellenz" angeredet werden. Leibniz argumentiert, dass wer zeremoniellen Zurücksetzung akzeptiert, sowohl seine politischen Rechte wie die Würde seines Hauses gefährdet. Um zu verhindern, dass Präzedenzfälle geschaffen werden, darf im Zeremoniell ‚keinen Fuß breit' nachgegeben werden. Die Herzöge zählen zu den mächtigsten fürstlichen Häusern im Reich und haben am dem Kongress vorhergehenden Krieg mit eigenen Truppen teilgenommen. Es gelingt ihnen aber nicht, ihre zeremoniellen Ansprüche als Reichsfürsten durchzusetzen - ebenso wenig, wie die Kurfürsten mit ihren Forderungen nach Gleichbehandlung mit den Niederlanden und Venedig Erfolg haben. Allerdings können die Braunschweiger 1692 den Kurfürstentitel erwerben. 1714 erbt Kurfürst Georg I. Ludwig die Krone von Großbritannien und steigt damit unstrittig in den Kreis der Souveräne auf.

"Die Frage ist ob die drey bekannten Postulata, nämlich die Excellentz die erste Visite, so denenletzt-kommenden zu geben und die Oberhand so dem Visitirenden zu lassen, sowol den Chur-Fürstlichen als auch ander hohen Fürsten formal-Gesandten oder Ambassadeurn in dem Friedens-Congressu zu Nimwegen gebühre. Weil man nun die zwischen Chur- und Fürsten übliche Gleichheit in diesem Punct in Zweifel zu setzen nicht die geringste Ursache gehabt und einige hohe Fürsten wahrgenommen daß die formalia anjetzo pro essentialibus gehalten zu werden beginnen ja bei den exteris, welche sich gewisser Caeremonien gleichsam iure gentium Europaeo tacite und allmählig zu vergleichen angefangen gewisse argumenta de Principium libertate et familiarum dignitate aus dem Caeremonial gemacht werden wollen als haben sie bey gegenwärtiger conjunctur, und in diesem Theatro Europaeo so zu Nimwegen auffgeführet worden (zumahl anjetzo solche dinge mehr als vor diesem auff festen Fuß gesetzet werden) nicht wol salva dignitate stilschweigen und zurücke bleiben können. […] Daraus dan erscheint daß nicht mutwillige streitigkeiten erreget worden noch diese Occasion zu meiden gewesen sondern von ihnen ein gleiches Tractament praetendieret werden müssen sie hätten denn so wol der Fürstl. Freyheit so wie gedacht bey den Ausländern aus den Caeremonialibus als Signis Libertatis agnosciert wird als auch Dignitati familiae, die von so viel hundert Jahren in höchstem Ansehen gewesen auff eine bey andern hohen Fürstlichen Häusern und der Posterität sonderlich unverantwortliche Weise tacendo derogieren und ihr Recht gleichsamb vergeben wollen."