Jean-Jacques Rousseau: Auszug aus dem Plan des Ewigen Friedens des Herrn Abbé de St Pierre, 1713/61.

Jean-Jacques Rousseau: Auszug aus dem Plan des Ewigen Friedens des Herrn Abbé de St Pierre, 1713/61.
Druck: Karl v. Raumer. Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg i. Br. / München 1948, S. 34368, hier: S. 345, 348f., 353ff.

Der Friedensplan des Abbé de St. Pierre (1658-1743) ist der grundlegende Text für eine das ganze 18. Jahrhundert andauernde Debatte über die Möglichkeit, die Beziehungen unter den europäischen Mächten friedlich zu gestalten. St. Pierre überarbeitete seinen Text in Reaktion auf Kritik mehrmals. Rousseau sorgte für eine Neuausgabe mit einem pessimistischen Kommentar bezüglich der Umsetzbarkeit.

"Auf diese Weise bilden alle Mächte Europas etwas wie ein einheitliches System, das sie durch eine gleiche Religion, durch gleiches Völkerrecht, durch die Sitten, die Literatur, den Handel und durch eine Art Gleichgewicht verbindet, das die notwendige Folge von alledem ist, und welches, ohne dass jemand wirklich daran denkt, es zu erhalten, dennoch nicht so leicht zu zerstören ist, wie viele glauben möchten. […]

Geben wir doch zu, daß das Verhältnis der europäischen Mächte untereinander eigentlich ein Kriegszustand ist [...].

Da übrigens das öffentliche Recht von Europa nicht durch allgemeine Übereinkunft eingesetzt oder anerkannt ist und da es keine allgemeingültigen Grundsätze hat und sich beständig nach Zeit und Ort verändert, ist es erfüllt von einander wiedersprechenden Vorschriften, die sich nicht anders regeln lassen als durch das Recht des Stärkeren. Daher beugt sich die Vernunft ohne sichere Führung in zweifelhaften Fällen stets dem persönlichen Interesse, und der Krieg wäre selbst dann unvermeidlich, wenn jeder gerecht sein wollte. […]

Es wäre übrigens ein großer Fehler, zu hoffen, dass dieser Zustand der Gesetzlosigkeit sich jemals auf natürliche Weise und ohne künstliche Hilfe ändern könnte. Das europäische Staatengebilde hat gerade noch den Grad an Festigkeit, mit dem es sich in ständiger Unruhe behaupten kann, ohne in völlige Unordnung zu geraten. […]

Sehen wir nun, auf welche Weise dieses große Werk, welches der Zufall begonnen hat, durch die Vernunft vollendet werden kann und wie die auf Freiheit und Freiwilligkeit beruhende Gemeinschaft, die alle europäischen Staaten miteinander verbindet, die Kraft und Stabilität eines echten politischen Körpers gewinnen und sich so in ein wirkliches Bündnis verwandeln kann. [...]

Aber dazu ist es unerläßlich, daß der Bund so allumfassend ist, daß keine größere Macht sich von ihm ausschließt; daß er einen obersten Gerichtshof besitzt, der Gesetze und Weisungen gibt, die für alle Teile verbindlich sind; daß er eine starke und zwingende Kraft besitzt, um jeden Staat dahin zu bringen, sich den gemeinsamen Beschlüssen zu fügen, sei es zur Mitwirkung, sei es zur Enthaltung; endlich, daß er so fest und dauerhaft ist, um verhindern zu können, daß sich die Mitglieder nach Belieben von ihm lossagen, sobald sie glauben, daß ihr persönliches Interesse im Gegensatz zum allgemeinen steht."
 
Entwurf zu den Fünf Grundartikeln der Bundesakte

  • Einrichtung eines ständigen Gesandtenkongresses
  • Streitigkeiten werden durch Schiedsspruch beigelegt
  • militärische Gewalt zur Interessendurchsetzung ist untersagt
  • Rechte und Pflichten der Souveräne hinsichtlich Stimmrecht, Vorsitz und Anteil an gemeinsamen Ausgaben sind festzulegen
  • Garantie des Bundes für den (territorialen) Besitz und die Wahl- bzw. Erbrechtsregelung der einzelnen Mitglieder (status quo)
  • gemeinsames (auch militärisches) Vorgehen der Allianz gegen Vertragsbrecher zur Durchsetzung der Schiedssprüche
  • eine Änderung der Grundartikel darf nur einstimmig erfolgen die Abgeordneten treffen Entscheidungen nach Anweisung ihrer Höfe (jedoch für das Beste der europäischen Republik)