Meynungen des Graffen Kaunitz über das auswärtige System, 24. März 1749.
Druck: Denkschrift des Grafen Kaunitz zur mächtepolitischen Konstellation nach dem Aachener Frieden von 1748, bearb. v. Reiner Pommerin und Lothar Schilling, in: Expansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des Ancien Régime, hg. v. Johannes Kunisch, Berlin 1986, S. S. 165-239, hier: S. 196, 211.
Wenzel Anton von Kaunitz (1711-1794), österreichischer Staatskanzler von 1753-92, legt in dieser Denkschrift die Gründe dar, die für ihn einen Wechsel Österreichs aus seiner traditionellen Verbindung mit England zu einer Allianz mit Frankreich gegen Preußen nahe legen. Wenig später erhielt er die Möglichkeit, den Plan, das Renversement des Alliances, selbst in die Tat umzusetzen. Kaunitz Äußerungen zeigen zwar ein starkes Misstrauen gegenüber der Bereitschaft anderer Höfe, sich an Verpflichtungen zu halten. Dennoch geht er in anderen Zusammenhängen vom Funktionieren des Völkerrechts aus.
Lothringen: Frankreich versucht während des gesamten 17. und 18. Jh., das Lothringen zu erwerben, das inmitten französischer Gebiete in strategisch bedeutender Position liegt. Mehrmals wird Lothringen für Jahrzehnte von Frankreich besetzt, das sich allerdings anschließend immer wieder aus dem Territorium zurückziehen muss. Der endgültige Erwerb Lothringens gelingt erst 1761, aufgrund eines 1735 abgeschlossenen Vertrags, dem die anderen Mächte zustimmen. Die angestammte lothringische Dynastie wird in die Toskana "verschoben".
Savoyen: Königreich, das in der zweiten Hälfte des 18. Jh. Nordwestitalien und Sardinien umfasst. Kaunitz nimmt an, dass Frankreich plant, den spanischen Prinzen Don Felipe zum König von Savoyen zu machen und die Savoyische Dynastie mit anderen Territorien abzufinden.
"Ohne mich jedoch in dergleichen Bertrachtungen weiters zu vertieffen, so ist fordersamst als eine generale- und offenbare Wahrheit vorauszusetzen, daß Euer Kayser[liche] König[liche] May[es]t[ä]t die Cron Franckreich, auch nach nunmehro geschlossenem Frieden, nicht anders als einen höchst gefäührliche Hof anzusehen haben, theils wegen seiner bekannten innerlichen Stärcke, Verfaßung, gleichen Regierungs-Form, und auf allen Seiten wohlverwahrten Gräntzen;[…] theils wegen seines gewohnten schlechten Trauens und Glaubens, und zumahlen wegen seiner weit aussehenden Staats-maximen. Diese gründen sich bloß, und allein auf das Interesse, und wann ein solches einen Absprung von den kräfftigsten Versicherungen erfordert, so werden Solenne Friedens-Schlüße, und theuer erkauffte Garantien für nichts geachtet. Euer Kayser[liche] König[liche] May[es]t[ä]t haben diese Wahrheit nur allzu sehr durch die That erfahren. […]
Frankreich hat unter andern im vorigen Saeculo bey Lothringen erfahren, dass es nicht genug seye, dem rechtmäßigen Besitzer Länder hinweg zu nehmen, und sich deren mit Gewalt zu bemächtigen; Es fallen über Kurtz oder Lang Gelegenheiten vor, da dergleichen gewaltthätige Occupationen, wann sie nicht durch bündige Tractaten und Cessionen versichert seynd, wieder abgetreten werden müssten; Und wann die Übermacht allein, zu Ausführung der Conqueten zureichend wäre, so brauchte Frankreich der diesseitigen Mitwirkung nicht , und könnte sich ohne alles frembdes Zuthun, oder Connivenz von Savoyen, als einem gantz offenen Land, annoch nach Willkühr, und mit leichter Macht bemeistern, Allein das Hauptwerck beruhet auf der Versicherung, und Conservation der Conqueten; Daß auch die ungerechteste Macht den Anschein der Gewalt zu vermeiden sucht, hat seinen guten Grund in der Politique; da sonsten allen übrigen Mächten die Augen eröffnet, und ihre Jalousie aufgewecket würde; Woraus größere Gegen-Allianzen, hefftige Kriege und andere gefährliche Folgen entstehen müssen; Wie dann verschiedene, und starcke Vermuthungen obhanden seynd, dass Frankreich just durch die angezogene, und andere dergleichen Betrachtungen bewogen worden, die geheime Unterhandlungen wegen Savoyen fahren zu lassen, und einen anderen Weg der kürtzer, und thunlicher geschienen, einzuschlagen, die Interessierte Absichten aber auf bequemere Absichten, und Umstände zu verspahren."