5.3. Die europäischen Mächte
Bis zum Spanischen Erbfolgekrieg dominieren Frankreich und die Habsburger als Vormächte die europäische Politik. Anschließend etabliert sich ein System mehrerer konkurrierender Großmächte. Auch weniger starke Mächte können je nach Lage als Bündnispartner durchaus effektiv ihre Interessen vertreten und verteidigen. Informelle Kontrolle über Regionen mit zersplitterter Herrschaftsstruktur durch die Großmächte dient dem Austarieren des "Gleichgewichts" (Balance of Power). Für die Westmächte spielt die Konkurrenz in den Kolonien eine zunehmende Rolle (Europäische Expansion).
Die folgenden Kurzbeschreibungen thematisieren die Mächte allein in Hinblick auf ihre äußeren Beziehungen und deren innere Voraussetzungen.
5.3.1. Frankreich
Vom Pyrenäenfrieden bis zum Spanischen Erbfolgekrieg ist Frankreich relativ unangefochten die stärkste Macht Europas. Es ist relativ stark zentralisiert und auf den König hin organisiert ("Absolutismus"). Frankreichs territoriale Expansion - insbesondere auf Kosten der spanischen Niederlande und des Reiches - wird allerdings durch Koalitionen der anderen Mächte begrenzt. (Erhaltung des "Gleichgewichts von Europa") Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg kooperiert es häufig mit dem nun von der selben Dynastie beherrschten Spanien. Wirtschaftlich und finanziell kann es immer weniger mit Großbritannien mithalten. Der Siebenjährige Krieg bringt schwere Rückschläge gegenüber Großbritannien in den Kolonien.
5.3.2. Österreich
Oft benutzt als Kurzbegriff für ein Konglomerat an Territorien unter der Herrschaft der österreichischen Habsburger (Österreich). Die österreichischen Habsburger sind auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches - abgesehen von einem fünfjährigen Intermezzo während des Österreichischen Erbfolgekrieges (Heiliges Römisches Reich) Im Großen Türkenkrieg 1683-99 können die Habsburger den größten, bis dahin türkisch beherrschten Teil Ungarns erobern. Im Spanischen Erbfolgekrieg erwerben sie die italienischen und niederländischen Territorien des spanischen Zweiges der Dynastie. Damit steigt Österreich auch unabhängig vom Reich zur Großmacht auf. Die Defizite in staatlicher Organisation und wirtschaftlicher Entwicklung lassen sich allerdings trotz intensiver Bemühungen nicht vollständig aufholen.
5.3.3. England/Großbritannien
1701 werden England und Schottland durch eine Verfassungsreform von Monarchien in Personalunion zu Großbritannien. England/Großbritannien ist parlamentarische Monarchie mit relativ starker Zentralgewalt. ("Absolutismus") Wirtschaftlich erlebt es im 18. Jh. einen steilen Aufschwung nicht zuletzt im Zuge der beginnenden Industrialisierung. Vor 1688 ist für England vor allem die wirtschaftliche Konkurrenz mit den Niederlanden wichtig. Nach der Glorious Revolution greift es zunehmend im Namen des "Gleichgewichts" in die kontinentale Politik ein, zunächst vor allem gegen Ludwig XIV. Im Laufe des 18. Jh. richtet die britische Politik ihr Augemerk wieder verstärkt auf die Kolonien und weg von Kontinentaleuropa. Im Siebenjährigen Krieg wird Frankreich aus Indien und Nordamerika verdrängt.
5.3.4. Russland
Russland wird im 17. und frühen 18. Jh. allmählich zu einer europäischen Macht. Zar Peter I. reformiert den Staat und richtet die Außenpolitik neu aus. Nach dem Zweiten Nordischen Krieg löst Russland Schweden als Großmacht ab. Weitere große territoriale Zugewinne kann Russland auf Kosten Polens und des Osmanischen Reiches machen.
5.3.5. Preußen
Die Kurfürsten von Brandenburg und Herzöge von Preußen aus der Dynastie der Hohenzollern können ihre Macht durch gezielten Ausbau von Militär, Verwaltung und Wirtschaft und territoriale Expansion zunehmend steigern. 1701 erwerben sie den Königstitel. Friedrich II. erkämpft Preußen Mitte des 18. Jh. den Status als Großmacht.
5.3.6. Spanien
Die spanischen Habsburger beherrschen neben Spanien zahlreiche Kolonien und große Teile Italiens und der Niederlande. Die ehemalige Vormacht Europas ist nach dem Pyrenäenfrieden von 1659 mit der Verteidigung ihrer zahlreichen Territorien zunehmend überfordert. Wirtschaftlich befindet sich die Monarchie in einer Dauerkrise. Erst nach dem Spanischen Erbfolgekrieg setzt unter der neuen bourbonischen Dynastie eine allmähliche Erholung auch im Inneren ein. Allerdings hat Spanien große Teile seines Herrschaftsbereichs verloren und kann nur noch mit Einschränkungen als Großmacht gezählt werden.
5.3.7. Niederlande
Die Niederlande sind eine ständische Republik. Die Regierung erfolgt durch ein kompliziertes System ständischer Vertretungskörperschaften. Sie sind im 17. Jh. die wichtigste Handelsmacht und verfügen über ein großes Kolonialreich in Ostasien und der Karibik. Im 18. Jh. verlieren sie zunehmend an Einfluß. Die relativ große Pressefreiheit macht sie zum Erscheinungsort zahlreicher europaweit verbreiteter politischer Schriften.
5.3.8. Polen
Die Wahlmonarchie Polen wird zunehmend zum Spielball fremder Mächte. Die Konkurrenz von Ständen und König führt dazu daß sie nach außen im Laufe des 18. Jh. jede Handlungsfähigkeit verliert.
5.3.9. Schweden
Schweden beherrscht bis zum Zweiten Nordischen Krieg den größten Teil des Ostseeraums. Anschließend wird das Land eher umkämpfte Einflußsphäre anderer Mächte als eigenständige Großmacht, nicht zuletzt aufgrund konkurrierender Adelsfraktionen im Land, die von unterschiedlichen Großmächten unterstützt werden.
5.3.10. Osmanisches Reich
Das türkische Reich beherrscht große Teile des Balkans. Nach der schweren Niederlage im Großen Türkenkrieg von 1683-99 gerät es zunehmend in die Defensive und ins Visier zunächst österreichischer, dann russischer Expansion. Trotz eines gewissen Maßes an organisierten friedlichen Beziehungen gilt das Osmanische Reich nicht als Teil Europas.
5.3.11. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation
Auch nach den Verlusten des Westfälischen Friedens umfasst das Reich noch einen großen Block von Territorien in Mitteleuropa. Die Reichsstände haben zwar Bündnisfreiheit erhalten, aber durchaus keine volle Souveränität. Der Kaiser kann seinen Anspruch auf exklusive Vertretung des Reiches nach außen letztlich durchsetzen.
Militärische Aktionen des Reiches lassen sich aufgrund der großen Eigenständigkeit und Mitspracherechte der Reichsstände (Heiliges Römische Reich Deutscher Nation) nur sehr schwerfällig organisieren und durchführen. Hinzu kommt, daß sich häufig Teile der Reichsstände im Konflikt mit dem Kaiser hinter konkurrierenden Mächten versammeln. So fungiert im 17. und frühen 18. Jh. vor allem Frankreich als Schutzmacht der Reichsstände gegen den Kaiser, anschließend nimmt Preußen diese Rolle ein.
Dennoch ist das Reich bei seiner Verteidigung im Großen und Ganzen relativ erfolgreich. Da es zu offensiven militärischen Aktionen nicht in der Lage ist und gleichzeitig Angriffe in einem gewissen Maße abschreckt, ist es schon von Zeitgenossen als Garant des Friedens in Europa beschrieben worden.