6.1. Reformabsolutismus, „Aufgeklärter Absolutismus“?
6.1.1. Aufklärung dient der Herrschaftssteigerung
Die Bildungsbewegung der Aufklärung – auf Kritik traditioneller Autoritäten, auf praktischen Fortschritt und rationale Gestaltung aller Lebensbereiche gerichtet – kommt im späten 18. Jh. der Steigerung und Rationalisierung der Staatsgewalt entgegen, so dass sich Monarchen z.T. ihre Forderungen zu eigen machen. Gerade in deutschen Territorien sind Aufklärer v.a. im Staatsdienst tätig und identifizieren sich mit der Staatsgewalt. Der Monarch soll möglichst unumschränkt sein, damit er gegen traditionelle ständisch-korporative Privilegien und Freiheiten vorgehen kann, die die Modernisierungspolitik hemmen („despotisme éclairé“, Monarch als Agent der Vernunft). Reformen aus dem Geist des aufklärerischen Rationalismus sind weniger in der Sache als in der Form und Begründung neuartig: Die Herrschaft wird nicht mehr aus unvordenklicher Tradition oder göttlicher Verleihung hergeleitet, sondern im Sinne der Naturrechtstheorie aus (stillschweigendem und unwiderruflichem) vertraglichem Mandat zur Sorge für „Glückseligkeit des Staates“ (Utilitarismus, Eudämonismus). Politische Gestaltung soll jetzt systematisch durchorganisiert werden, nach rationalem Gesamtkonzept „more geometrico“, d.h. nach strenger Zweck-Mittel-Deduktion, im Idealfall vom Monarchen selbst, dessen Wohl mit dem der Untertanen identisch gedacht wird. Zur Planung bedarf es genauer Kenntnis der Länder, ihrer natürlichen Ressourcen, ihrer Bewohner: Beginn einer wissenschaftlichen Statistik („Staatenkunde“); zunehmend erweist sich, dass Reformpolitik nicht ohne Beteiligung bzw. gegen den Widerstand der Bevölkerung erfolgreich ist; im letzten Drittel des 18. Jh.s erfolgt die Befragung der Bevölkerung zur Information der Regierungen und Legitimation der Reformen.
6.1.2. Felder aufgeklärter Reformpolitik
Felder aufgeklärter Reformpolitik neben Zentralisierung, Rationalisierung und Vereinheitlichung von Finanzen, Justiz- und Verwaltungsbürokratie, Militär (Modelle Preußen, Österreich) sind:
Kirchenpolitik:
Der Monarch versteht sich als gleichmäßig über allen Konfessionen seiner Untertanen stehend; religiöse Toleranz ist nützlich für den Staat; Josephinismus/Febronianismus als katholische Staatskirchenpolitik: Unabhängigkeit von Rom, Abschaffung geistlicher Sonderrechte und barocker Frömmigkeitsformen, Säkularisierung von Klöstern, Zivilehe, neue Diözesangliederung in Übereinstimmung mit Landesgrenzen, staatliche Kontrolle der Kirche nach protestantischem Vorbild.
Rechtspolitik:
Systematische Sammlung, Kodifikation und Vereinheitlichung des Rechts, Ableitung allen Rechts von der einheitlichen staatlichen Gewalt; Beispiel Preußen: Allgemeines Landrecht von 1794. Strafrechtsreformen (Recht, Konfliktregelung und soziale Kontrolle).
- Quelle: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch („Josephinisches Gesetzbuch“), 1786
- Quelle: Gleichstellung unehelich Geborener, 1783
Intensivierung staatlicher Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Wohlfahrtspolitik:
Intensivierung staatlicher Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Wohlfahrtspolitik (nicht mehr nur Sorge für Frieden und Recht), v.a. nach den ruinösen Folgen des Siebenjährigen Kriegs; Vielregiererei bis in die kleinsten Details des Alltagslebens hinein, z.B. im Medizinal- und Hygienewesen. Ziel: wirtschaftliche Wohlfahrt und Glückseligkeit der Untertanen heißt zugleich Wachstum der staatlichen Macht. Zugleich werden erste liberale Wirtschaftsexperimente nach den Vorstellungen der Physiokraten durchgeführt, die aber meist scheitern.
Insgesamt findet ein Abbau ständisch-korporativer Privilegien nach Maßgabe staatlicher Nützlichkeit statt, z.B. Abbau von Steuerprivilegien, von Zunftautonomie, von gemeindlich-kollektiven Wirtschaftsformen auf dem Land, erste Ansätze zur Bauernbefreiung.
6.1.3. Aufklärung als Herrschaftsbegrenzung
Dilemma: Der Monarch soll zwar unumschränkt, d.h. ohne Stände herrschen, um Gesetze allein nach vernünftiger Einsicht ohne Rücksicht auf Partikularinteressen geben zu können, andererseits soll er dann aber an diese Gesetze selbst gebunden sein, und das können traditionell nur die Stände kontrollieren. Im letzten Drittel des 18. Jh.s wächst zugleich mit der Reformpolitik auch das Gefährdungsbewusstsein gegenüber unumschränkter Herrschaft (Despotismuskritik, v.a. im Gefolge Montesquieus). Aufklärerische Theorien dienen nicht nur der Herrschaftssteigerung, sondern auch der Herrschaftskritik. Kritisiert wird von den einen, dass die Monarchen die Erwartungen enttäuschen und nicht konsequent genug reformieren, und von den anderen, dass sie zu konsequent sind und mit ihrer Reformpolitik gegen hergebrachte Freiheiten und Rechte verstoßen. Einen Ausweg bietet die Forderung, die hergebrachten Formen der politischen Partizipation ihrerseits grundsätzlich umzugestalten, d.h. von dem Besitz bestimmter Privilegien zu trennen und sie zu generalisieren („gerechtere“ Repräsentation durch Umgestaltung der Ständeversammlungen, radikalste Forderung: allgemeines, gleiches Wahlrecht aller männlichen Eigentümer, im Extremfall sogar der Frauen).