3.7. Ländliches Leben
3.7.1. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
von Christina Rolf
Arbeit galt in der FNZ als die „zentrale Lebensäußerung des größten Teils der Bevölkerung“ (Lorenz-Schmidt, Wert, 14), im besonderen Maße der Bewohner des ländlichen Raumes. Das gesellschaftlich normierte Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsbild wurde somit zwangsläufig stark durch die Aufgaben geprägt, welche Frauen und Männer jeweils verrichteten. Andererseits existierten bestimmte gesellschaftliche Erwartungen an das geschlechtsspezifische Rollenverhalten, die ihrerseits die Zuweisung bestimmter Arbeiten an Männer oder Frauen maßgeblich beeinflussten. Insgesamt handelt es sich hierbei um ein kompliziertes Wechselspiel.
Das bestimmende Element für die ländliche Gesellschaft stellte die Arbeitsgemeinschaft von Mann und Frau dar. Das Ehepaar bildete als Arbeitspaar den Kern der bäuerlichen Familienwirtschaft (Troßbach, Bauern, 71). Innerhalb der Familie war die Zuordnung bestimmter Tätigkeitsbereiche nach Geschlecht maßgeblich. Diese folgte einer ganz eigenen Logik. Trotz regionaler und zeitlicher Differenzierungen sind Tendenzen bei der geschlechtsspezifischen Vergabe von Arbeit erkennbar. Daneben müssen die sozialen Unterschiede berücksichtigt werden: In der bäuerlichen Mittel- und Oberschicht mit Gesindehaltung wurde die Arbeitsteilung insgesamt straffer organisiert und konsequenter eingehalten als in den ländlichen Unterschichten ohne Bedienstete. Die wirtschaftliche Lage erforderte hier häufig, dass Frauen zusätzlich zu ihren eigenen auch die traditionell männlich besetzten Aufgaben, bzw. umgekehrt: Männer die traditionell von Frauen versehenen Tätigkeiten übernahmen (Mitterauer, Familie, 105).
Der soziale Status spielte auch innerhalb einer Hauswirtschaft (der ländlichen Mittel- und Oberschicht) eine wichtige Rolle. Der Hausherr und seine Ehefrau übernahmen andere, in der Regel höher bewertete Aufgaben als ihre unverheirateten Kinder, Mägde, Knechte und TagelöhnerInnen. So blieb beispielsweise die Nahrungszubereitung ein Privileg der Hausfrau (Mitterauer, Familie, 62).
3.7.1.1. Weibliche Arbeitsbereiche
Während die Hausfrau tendenziell im Haus bzw. im hausnahen Bereich – etwa mit der Nahrungsbereitung, der Kinderaufzucht, der Reinigung des Wohnraumes, der Gästebeherbergung oder der häuslichen Krankenpflege – beschäftigt war, wurden in erster Linie unverheiratete Töchter und/oder ledige Mägde auch zu physisch belastenderen Außenarbeiten herangezogen. Zu nennen sind diesbezüglich etwa das Wäschewaschen und die Mithilfe bei der Feld- und Wiesenarbeit. Es ist aber insgesamt davon auszugehen, dass auch verheiratete und/oder schwangere Frauen diese körperlichen Schwerarbeiten verrichteten. Weitere weibliche Aufgabenfelder waren zudem die Textilherstellung, die häufig gemeinschaftlich in den so genannten Spinnstuben besorgt wurde, die Geflügelhaltung sowie die Milchwirtschaft (Mitterauer, Familie, 60-80).
3.7.1.2. Männliche Arbeitsbereiche
Den hausfernen Arbeitsbereichen können auch beinahe alle ‚typisch männlichen’ Aufgaben zugeordnet werden. Dabei handelt es sich v.a. um die Feld-, Wald- und Wiesenarbeit, den Lastentransport mit dem Wagen und die genossenschaftliche Flurregulierung (die die kollektive Nutzung, Bearbeitung und Instandhaltung des Gemeindelandes umfasste). Als wichtigste hausnahe männliche Arbeiten sind die Herstellung und Reparatur von Arbeitsgeräten, Bau- und Ausbesserungsarbeiten an den eigenen Wirtschaftsgebäuden sowie die Zuständigkeit für die Zugtiere anzuführen (Mitterauer, Familie, 80-93).
3.7.1.3 Gemeinsam verrichtete Arbeiten
Die von Männern und Frauen gemeinschaftlich verrichteten Arbeiten waren nicht gleichartig oder austauschbar; vielmehr bauten sie aufeinander auf; beide Geschlechter sind in der Verrichtung dieser Aufgaben aufeinander angewiesen. Einen wichtigen gemeinsamen Tätigkeitsbereich stellte die Feld- und Wiesenarbeit dar, insbesondere während der besonders arbeitsintensiven Erntezeit. Eine Zusammenarbeit fand z.B. bei der Getreideernte statt; doch sind auch hier die regionalen Unterschiede erheblich. Das Sicheln des Getreides und das anschließende Aufsammeln der Halme wurde von Männer und Frauen in gleicher Weise erledigt. Der Übergang von der Sichel zur Sichte und Sense, der sich in erster Linie im nord- und ostdeutschen Raum vollzog, und die sich damit verändernde Arbeitstechnik wirkten sich maßgeblich auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aus. Mit dem zunehmenden Gebrauch der Sense wurden Frauen aus dem Bereich des Getreideschnitts verdrängt. Während beim Sicheln zunächst das ganze Feld geerntet wurde und erst im Anschluss daran das Aufsammeln der Halme erfolgte, war es bei der Arbeit mit der Sense erforderlich, dass eine zweite Person hinter dem Mäher herging, um die abgemähten Halme aufzunehmen und in Bündeln abzulegen. Diese „Hilfsarbeit“ wurde von den Frauen besorgt, während das Mähen des Getreides in den Zuständigkeitsbereich der Männer überging (Wiegelmann, Problem).
Gemeinsam verrichtet wurden außerdem das Pflügen (i.d.R. zieht hier der Mann den Pflug, die Frau zerkleinert die Erdscholen) und das Düngen (hier übernimmt i.d.R. der Mann die schwere Arbeit des Mistführens, während die Frauen den Mist auf dem Acker verteilen) (Mitterauer, Familie, 93-107).
3.7.1.4. Kommerzialisierung und Professionalisierung
Die Kommerzialisierung bestimmter Aufgabenbereiche führte zur Verschiebung ursprünglich weiblicher Arbeiten in den männlichen Kompetenzbereich. Am Beispiel der Milchwirtschaft lässt sich aufzeigen, dass Männer immer dann ‚typisch weibliche’ Aufgabenfelder übernahmen, wenn es zu technischen Neuerungen kam und wenn nicht mehr für den eigenen Bedarf oder den Handel am Nahmarkt, sondern für einen größeren Markt produziert wurde und ihnen den „Charakter qualifizierter Lohnarbeit“ verliehen wurde (Wunder, Arbeit, S.181).
Bei der Professionalisierung handelt es sich um einen komplexen Entwicklungsprozess, der u.a. in Zusammenhang mit der zunehmenden Siedlungsverdichtung und Verdorfung steht. Auch hier übernahmen Männer traditionelle Frauenarbeiten wie z.B. Backen, Schneidern, Brauen und übten sie professionell für einen größeren Markt aus. So entwickelten sich im Laufe der Zeit selbstständige ländliche Gewerbe (Mitterauer, Familie, S.118-126).
3.7.1.5 Die Auswirkungen der Protoindustrialisierung
Generell ist das frühneuzeitliche Geschlechterverhältnis als hierarchisch zu bezeichnen; Frauen waren der hausväterlichen Gewalt ihres Ehemannes unterstellt. Diese Konvention konnte durch die Einführung und Entfaltung der protoindustriellen textilen Heimarbeit – zumindest in den Regionen, in denen sie hoch entwickelt war – aufgebrochen werden. Aus diesen Gegenden existieren Berichte über Frauen, die ‚typisch männliche’ Verhaltensweisen an den Tag legten und typisch männliche Rechte für sich in Anspruch nahmen. Die genauen Zusammenhänge jenes neuartigen Rollenverhaltens sind noch nicht vollständig geklärt; von außenstehenden Berichterstattern wurde es jedoch äußerst kritisch betrachtet und als sittenlos und unmoralisch dargestellt. Ein recht anschauliches Beispiel dafür liefert der 1786 von dem Geistlichen Johann Moritz Schwager veröffentliche Bericht „Ueber den Ravensberger Bauer“. Die Übernahme ‚typisch weiblicher’ Verhaltensmuster durch Männer ist hingegen in den Quellen nicht dokumentiert (Mitterauer, Familie, 107-117).
Als eine weitere Veränderung, die mit der fortschreitenden Protoindustrialisierung gegen Ende des 18. Jh. einherging, ist die Aufteilung der Arbeit in Erwerbs- und Hausarbeit zu nennen. Die Frauen übernahmen hier die Hausarbeit.
3.7.2. Kommunikation und Konflikt in der ländlichen Gesellschaft
von Antje Flüchter
Das Alltagsleben der ländlichen Bevölkerung in der FNZ war nicht nur durch die beschriebenen Institutionen und Strukturen geprägt (Gemeinde als Wirtschaftseinheit, Gemeinde als politisch-sozialer Verband, Gemeinde als Kirchengemeinde), ebenso wichtig - wenn nicht im Alltag wichtiger - waren andere Kommunikationsstrukturen und Konfliktmuster.
Die Quellen der Ehe- und Sittengerichte zeugen von einer konfliktreichen Gesellschaft. Neben Klagen wegen Beleidigungen und Ehrverletzungen ging es meist um die Wahrung und Sicherung von Besitz, Eigentum und materiellen Interessen. Rainer Walz beschreibt daher die dörfliche Kultur als generell agonal, als „eine Kultur, die nicht nur durch die Konkurrenz um Güter, sondern noch mehr durch die Art des Kampfes um diese bestimmt war“ (Walz, Kommunikation, 221). Dies entspricht dem ethnologischen Konzept des Limited Good, welches in der historischen Forschung auch auf die vormoderne Gesellschaft angewandt wird.
Um die Stabilität der Gemeinschaft zu erhalten, gab es allgemeine Verhaltensnormen, die durch eine System von Belohnungen und Sanktionen sichergestellt wurden. Dies geschah nicht nur über die Dorfgerichte, sondern durch Rügebräuche gemeindlicher Gruppen, wie den Frauen oder der Jugend.
Jede diese Gruppen hatte ihre weitgehend autonomen Räume und Befugnisse. Jede Gruppe besaß ihre eigenen Kommunikationsnetze: Die Hausväter trafen sich in der Gemeindeversammlung, die Männer im Wirtshaus, die Frauen an den dorföffentlichen Arbeitsplätzen (Brunnen, Waschplatz etc.) und bei der Wahl der Hebamme, die Jugend traf sich in den Spinnstuben. Während die ältere Forschung die als politisch verstandenen Institutionen in den Mittelpunkt stellte, wird in der neueren Forschung die Bedeutung informeller Strukturen und Machtformen hervorgehoben (vgl. Rogers, Female Forms). Vor allem die als „Klatsch“ missverstandene weibliche Kommunikation war eben nicht nur „Klatsch“, sondern formte die öffentliche Meinung und dadurch auch die männlichen ‚politischen’ Entscheidungen.
„Gemeinde“ war demnach nicht nur die Gemeinschaft der Hausherren und Nachbarn. Vielmehr ergaben sich zu den verschiedenen Anlässen unterschiedliche Fraktionen und Gemeindevertretungen, es gab nicht die eine Gemeinde sondern „verschieden definierte Kollektivsubjekte“ (Troßbach, Individuum, 204).
Ein wichtiges Element der dörflichen Kommunikation und Interaktion war wie allgemein in der Vormoderne die Ehre. Der Ehre wird mittlerweile eine „Schlüsselstellung“ für das Verständnis der Vormoderne zugesprochen. Die Ehre bezog sich auf den Stand, dem ein Individuum angehörte, auf den Beruf, aber eben auch auf das Geschlecht (vgl. Dinges, Ehre). Die Ehre des Einzelnen ist von der Öffentlichkeit in seiner Gemeinschaft abhängig, sie kann als soziale Wertschätzung zugeteilt, aber auch entzogen werden, und ist insofern ein klassisches Beispiel für das „symbolische Kapital“ (Bourdieu).
Die dörfliche Interaktion kannte eine ganze Bandbreite an Ehrkonflikten, die von verbaler Ehrminderung bis zur Gewaltanwendung reichte. Das Schelten war die ungefährlichste Form der Ehrminderung, doch in einer oralen Gesellschaft hat das Wort eine weitaus größere Bedeutung als heutzutage. Gegenüber Männern überwog der Vorwurf des Diebstahls. Gegenüber Frauen war die Beschimpfung meist sexuell aufgeladen, da die Ehre einer Frau vor allem auf ihren Körper bezogen war.
Auf eine verbale Ehrminderung musste reagiert werden (Retorsion). Dies konnte ebenfalls verbal geschehen oder man klagte vor Gericht. Aber auch die Anwendung von Gewalt galt den Gemeindemitgliedern als legitimes Mittel, um die beschädigte Reputation wiederherzustellen und damit sein soziales Kapital wiederzuerlangen (die Obrigkeit sah die Anwendung von Gewalt durchaus anders). Aber auch wenn die dörfliche Gemeinschaft in diesen Schilderungen als gewalttätig erscheint, muss berücksichtigt werden, dass es sich nicht um Gewalt in blinder Leidenschaft handelte, sondern die Beteiligten sich an ein „grob vorbestimmtes Eskalationsschema“ hielten (Frank, Ehre, 336).