5. Habitustheorie und Kapitalbegriff

von Reemda Tieben

Bourdieu, Pierre Félix, frz. Soziologe, *Denguin (Dép. Pyrénées-Atlantiques) 1. 8. 1930; Studium der Philosophie und Ethnologie. Forschungsaufenthalt in Algerien von 1958 bis 1960, wo B. Studien über das Berbervolk der Kabylen betrieb und dabei seinen eigenen theoretischen Ansatz entwickelte. Wurde 1964 Prof. in Paris (École Pratique des Hautes Études); 1982 Berufung an das Collège de France auf dem Lehrstuhl für Soziologie. Gestorben am 23.01.2002.

Bourdieu analysiert die Rolle objektiv gegebener, sozial ungleicher Strukturen in der Gesellschaft (Bildungsgang, Herkunftsfamilie, Stellung in Kulturbetrieb und Wirtschaftsordnung) auf die Herausbildung subjektiver Denk- und Handlungsmuster und beschreibt den individuellen „Habitus“ eines Menschen (z.B. Geschmack, Sprache, Konsumverhalten) als unbewusste Verinnerlichung strukturell vorgegebener, klassenspezifischer Grenzen. Auf diese Weise versucht er das erkenntnistheoretische Problem der Vermittlung zwischen objektiven Strukturen und subjektiven Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen zu lösen, das auch die gegenwärtige geschichtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland prägt.

5.1. Aufnahme durch die deutsche Geschichtswissenschaft

von Reemda Tieben

Trotz seiner starken empirischen Orientierung wurde Bourdieu erst in den 80er Jahren von deutschen Historikern entdeckt. Zunächst wurde seine Theorie für eine Untersuchung der Handwerker des 18. und 19. Jh.s benutzt (Grießinger, Symbolisches Kapital der Ehre). Das Interesse bezog sich jedoch schon bald auch auf die Anwendbarkeit der Bourdieuschen Theorie auf die Bildungsinstitutionen der Familie, Schule und Universität (Müller-Rolli, Familie und Schule). In den 90er Jahren versuchten jüngere Historiker der Bürgertumsforschung, Anregungen aus Bourdieus theoretischem Entwurf aufzunehmen (Mergel, Zwischen Klasse und KonfessionTanner, Arbeitsame Patrioten). Schwierigkeiten bereitet Historikern offensichtlich Bourdieus Konzept des Wandels, der nach B. auf der objektiv-strukturellen Ebene angestoßen wird. Nach Sven Reichardt scheint ein Wandel der Gesellschaft durch Veränderungen der Habitusformen aus sich selbst heraus unmöglich. Es wäre paradox, wenn die Habitusformen die Strukturen veränderten, durch die sie selbst erzeugt werden. Nach Reichardt ist auch die Konzeption des sozialen Raums problematisch, da Bourdieu von der Dynamik sozialer Prozesse abstrahiere und sich nur für die Beziehungen der Akteure untereinander interessiere und nicht für die Machtkämpfe, die sozialen Wandel bewirken könnten (Reichardt, Bourdieu für Historiker?).

Dieter Groh untersucht die Verwertbarkeit von Bourdieus Theorie für andere Gesellschaftsformen als der französischen gegenwärtigen Gesellschaft. Ihn interessieren besonders die Implikationen dieser Theorie in Bezug auf Subsistenzökonomien, womit er dann auch Bezug nimmt auf die Ökonomie in frühneuzeitlichen Gesellschaften. Die Kategorie des symbolischen Kapitals und der permanente Transfer von ökonomischem Kapital in symbolisches Kapital und umgekehrt sind nach Groh geeignet, Vorgänge zu beschreiben, die in nichtkapitalistischen Gesellschaften dominieren. Die Habitustheorie leistet für Groh die Verbindung von strukturellen Gegebenheiten und den Handlungen und dem Denken der Individuen, wobei er im Gegensatz zu Reichardt betont, dass der Habitus durch eine gewisse Autonomie gegenüber den objektiven Strukturen gekennzeichnet sei. Er könne das soziale Feld strukturieren und Wandel ist damit nicht nur auf der objektiv-strukturellen Ebene denkbar, sondern auch durch Veränderungen des Habitus aus sich selbst. Für eine Anwendungsmöglichkeit von Bourdieus „Theorie der Praxis“ auf Subsistenzökonomien scheint besonders folgender Aspekt ausschlaggebend zu sein: Bourdieu selbst weist auf eine fundamentale Differenz zwischen kapitalistischen und vorkapitalistischen Gesellschaften hin, die darin besteht, dass die intensive Produktion von Symbolen und Sinn ein funktionales Äquivalent für stabile Institutionen in vormodernen Gesellschaften bilden (Groh, Pierre Bourdieu).

5.2. „Praxeologische Theorie der Praxis“

von Reemda Tieben

In den 80er und 90er Jahren entwickelte sich in Deutschland eine neue Sichtweise der Geschichte, die im Gegensatz zu den historischen Sozialwissenschaften der Bielefelder Schule steht und die die Rolle der subjektiven Wahrnehmungen, Werte und rationalen Entscheidungen der historischen Akteure für die historische Entwicklung betont. Im Zuge dessen wird der erkenntnistheoretische Zugang der historischen Sozialwissenschaften mit diesen Ansätzen, wie z.B. Mikrogeschichte, historische Anthropologie, historische Kulturwissenschaft, kritisiert, da er ihrer Ansicht nach die subjektiven Einstellungen der Akteure vernachlässige und nur auf die objektiven, ökonomischen Strukturen abstelle. Bourdieu, der auf dem soziologischen Feld in Frankreich vor einer ähnlichen Diskussion zwischen „Subjektivisten“ und „Objektivisten“ stand, versuchte mit der „praxeologischen Theorie der Praxis“ beide erkenntnistheoretischen Ansätze miteinander zu verbinden, wobei er darauf hinwies, dass beide Gruppen wichtige Fragen vernachlässigen würden. Die Subjektivisten, die sich für die praktisch erlebten Handlungen und den damit einhergehenden Repräsentationen (Ideen, Erwartungen, Wissen, vorgestellte Ziele, Pläne) von Akteuren interessierten, würden nicht nach den äußeren Bedingungen der Möglichkeit subjektiver Erkenntnis fragen und gäben sich der Illusion preis, unmittelbar auf der Ebene der Primärerfahrungen von Subjekten ihre soziale Situation zu erfassen. Die Objektivisten mit ihrem Fokus auf von den Subjekten unabhängigen Relationen (z.B. sprachliche, verwandtschaftliche oder ökonomische) vernachlässigten die Subjekte völlig und begriffen ihre Einstellungen als tendenziell vernachlässigbare, da aus den Strukturen abgeleitete, Rationalisierungen.

Nach Bourdieu sollen mit der praxeologischen Erkenntnisweise beide Einseitigkeiten vermieden werden, und zwar aufgrund der Erkenntnis der Grenzen jeder theoretischen Erkenntnis. Man muss nach Bourdieu zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlicher Praxis unterscheiden. Die wissenschaftliche Erkenntnis sei durch die Handlungsentlastetheit der Wissenschaftler geprägt; d.h. diese stehen bei der Entstehung ihrer Erkenntnis über gesellschaftliche Zusammenhänge nicht unter Zeit- oder Handlungsdruck wie die Akteure, die sich selbst in diesen gesellschaftlichen Zusammenhängen befinden. Aus diesem Grund stehen beide Erkenntnisweisen, subjektivistische wie objektivistische, im Gegensatz zur praktischen Erkenntnisweise. Diesen Gegensatz nennt Bourdieu „logische Differenz“. So kann Bourdieu die Eigenlogik der praktischen Erkenntnis, die Primärerfahrung sozialer Akteure, zur Geltung bringen und betont gleichzeitig den konstruktivistischen Charakter der wissenschaftlichen Erkenntnisweise. Damit ist aber noch nicht geklärt, wie Bourdieu mit seiner Theorie, die sich immer an der Forschungspraxis orientiert, die Vermittlung zwischen den objektiven Strukturen und den Primärerfahrungen der Akteure erklärt. Dies leistet die Habitustheorie.

5.3. Habitustheorie

von Reemda Tieben

Der Habitus ist nach Bourdieu der „Erzeugungsmodus der Praxisformen“, d.h. die sozialen Akteure sind mit systematisch strukturierten Anlagen ausgestattet, die für ihre Praxis konstitutiv sind. Der Mensch ist also kein völlig freies Subjekt, wie es die Subjektivisten manchmal gerne sähen, sondern ein gesellschaftlich geprägter Akteur. Der Habitus gewährleistet die aktive und unbewusste Präsenz früherer Erfahrungen und setzt sich zusammen aus Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, die bestimmen, wie ein Akteur seine Umwelt sensuell wahrnimmt, welche Alltagstheorien, Klassifikationsmuster, ethischen Normen und ästhetischen Maßstäbe er vertritt und welche individuellen und kollektiven Praktiken der Akteur hervorbringt. Das habituelle Dispositionssystem ist geprägt durch die spezifische Position, die der betreffende Akteur oder eine Gruppe von Akteuren innerhalb der Sozialstruktur einnimmt. Ein Habitus formt sich also im Zuge der Verinnerlichung der äußeren gesellschaftlichen (materiellen und kulturellen) Bedingungen des Lebens, durch die spezifische Stellung, die ein Akteur und seine soziale Klasse innerhalb der gesellschaftlichen Relationen einnimmt. Dabei wird der Akteur nicht vollständig determiniert, vielmehr stellen die äußeren materiellen, kulturellen und sozialen Existenzbedingungen und ihre verinnerlichte Form als Habitus nur die Grenzen möglicher und unmöglicher Praktiken zur Verfügung. Die einzelnen individuellen Praktiken sind dem Akteur und seiner Wahlfreiheit überlassen. Durch den Habitus werden also Praxisformen und nicht einzelne Praktiken festgelegt. Außerdem lässt Bourdieu auch andere Produktionsprinzipien von Praxis gelten, die unabhängig vom Habitus sind. Dies sind z.B. rationales Kalkül und die Befolgung ausdrücklicher Normen, zu deren Anwendung es nach B. dann kommt, wenn die objektiven Strukturen mit dem angelernten Habitus in Konflikt geraten, so dass der Habitus nicht mehr seine Orientierungsfunktion übernehmen kann. Dies geschieht in ökonomischen oder kulturellen Krisensituationen, aus denen auch Revolutionen oder Revolten entstehen können.

5.4. Soziale Felder

von Reemda Tieben

Die Frage nach der alltagspraktischen Umsetzung des Habitus kann mit Bourdieu mit dem dialektischen Verhältnis zwischen Habitus und sozialem Feld beschrieben werden. B. geht davon aus, dass die internen Habitusstrukturen nur die eine Seite der Praxis ausmachen, die andere Seite stellen die externen, objektiven Strukturen, genauer die Strukturen sozialer Felder dar.

Zwischen „Leib gewordener Geschichte“ (Habitustheorie) und dem Dingcharakter gesellschaftlicher Verhältnisse (Feldtheorie) herrsche ein dialektisches Verhältnis, d.h. als Synthese von Habitus und Feld entstehen die wiederum externen Praxisformen. So kann die Behauptung, dass objektive soziale Strukturen nur mittels leibhaftiger Akteure existieren, ersichtlich werden. Gleichzeitig wird der Habitus, wie wir gesehen haben, durch den Dingcharakter der gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt. Das Verhältnis gegenseitiger Einflussnahme, sogar wechselseitiger Bedingung, macht die Dialektik von Habitus und Feld aus.

So sind Felder strukturierte Räume, in denen die Praxis, die vom Habitus hervorgerufen wird, stattfindet. Diese Strukturen sind vom Willen und Bewusstsein der Akteure relativ unabhängig, die, obwohl sie nur durch die Praxis der sozialen Akteure existieren, dennoch ein gewisses Eigenleben haben. Man könnte ein Feld auch als Spiel-Raum bezeichnen, in dessen Autonomie nach gewissen Regeln gespielt wird. Diese Regeln legen nicht die einzelnen Spielzüge fest, sondern das, was im Rahmen des Spiels möglich und was unmöglich ist.

Ein Beispiel für ein solches Feld sei nach B. genannt: ein ausdifferenziertes ökonomisches Feld in kapitalistisch organisierten Gesellschaften, in dem nach den Regeln einer positiven Kosten-Nutzen-Bilanz gespielt wird. Diese feldspezifischen Regeln stellen eine Art von Zwang dar, der sich die Akteure nicht entziehen können, ohne das Spiel zu verlassen. Ein weitere Zwang innerhalb der Felder kommt hinzu: der Zwang, der sich aus der Knappheit der Ressourcen ergibt, die den Akteuren in den Feldern zur Verfügung stehen. Die Verfügungsgewalt über bestimmte Ressourcen, die B. als „Kapital“ (akkumulierte Arbeit) bezeichnet, bestimmt also zusätzlich das Spiel. Nun bedingen sich Feld und Kapital gegenseitig, d.h. das spezifische Feld wird dadurch charakterisiert, dass in ihm hauptsächlich mit einer bestimmten Kapitalform gespielt werden kann. Gleichzeitig bestimmt die Verfügungsgewalt über die entsprechende Sorte von Kapital die Handlungs- und Profitchancen, die ein Akteur auf einem spezifischen Feld hat. So korrespondiert jedem Feld oder Teilfeld die Kapitalsorte, die in ihm als Machtmittel im Einsatz ist.

5.5. Kapital

von Reemda Tieben

B. unterscheidet hauptsächlich vier Formen von Kapital (weitere Kapitalarten können hinzukommen, wenn die entsprechenden Felder betrachtet werden):

  1. Ökonomisches Kapital: materieller Reichtum (im Gegensatz zu Marx, der als ökonomisches Kapital nur den Besitz von Produktionsmitteln definiert);
  2. Kulturelles Kapital: Drei Zustände von kulturellem Kapital sind zu nennen:
    1. in objektiviertem Zustand, z.B. in Form von Büchern, Gemälden usw.;
    2. in inkorporiertem Zustand: kulturelle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen, die körpergebunden sind;
    3. in institutionalisierter Form: z.B. Bildungstitel.
  3. Soziales Kapital: Ausnutzung eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen zu anderen Akteuren, also Ressource, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruht;
  4. Symbolisches Kapital: kommt zustande mittels gesellschaftlicher Anerkennungsakte, d.h. also diese Kapitalart ist eine den anderen drei Kapitalarten übergeordnete Ressource. So ist das institutionelle kulturelle Kapital in Form von Bildungstiteln immer auch symbolisches Kapital, da es von den anderen Akteuren des Feldes anerkannt wird. Soziales Kapital ist immer auch symbolisches Kapital, da es auf Anerkennung angewiesen ist, um als Machtmittel einsetzbar zu sein. Symbolisches Kapital räumt den Akteuren einen „Kredit“ an Ansehen und damit ein bestimmtes Prestige ein.

Alle Kapitalsorten sind nach B. ineinander transferierbar.

Innerhalb der Felder wird um diese Kapitalformen und um die Legitimität der feldspezifischen Regeln gestritten und gekämpft, so dass ein „Kampffeld“ in ständigem Wandel begriffen ist. Die Akteure in den spezifischen Feldern arbeiten mit einer Strategie, um soviel Macht wie möglich in dem Feld zu erringen. Diese Strategien sind aber nicht die intentional ausgeführten Handlungen eines Subjekts, sondern die durch den Habitus hervorgerufene strategische Praxis, die aufgrund der Sozialisation von den Akteuren verinnerlicht wurde.

5.6. Klassentheoretisches Modell vom sozialen Raum

von Reemda Tieben

Das Bild der Gesellschaft setzt sich für B. also aus zahlreichen differenzierten sozialen Feldern zusammen, in denen die Akteure um Kapital und um die feldspezifischen Regeln streiten, um Macht und Einfluss zu erringen. Einen Überblick über eine zu betrachtende Gesellschaft hat man auf diese Weise aber noch nicht gewonnen, dies leistet jedoch B.s klassentheoretisches Modell vom sozialen Raum.

Dieses Modell steht in Zusammenhang mit den Diskussionen um die theoretische Konzeptualisierung und empirische Analyse sozialer Ungleichheitsverhältnisse, die vor allem auf Max Webers Konzept des Standes und auf das Klassenkonzept von Karl Marx zurückgehen. Auch zwischen diesen beiden Ansätzen, die hier nicht näher erläutert werden können, versucht Bourdieu zu vermitteln.

In einem ersten Schritt konstruiert B. den Raum der sozialen Positionen. Anhand der Kriterien Kapitalvolumen (Umfang an den unterschiedlichen Kapitalformen), Kapitalstruktur (relatives Verhältnis der Kapitalformen zueinander) und soziale Laufbahn (soziale Klassen oder Klassenfraktion befinden sich eher im Abstieg oder im Aufstieg) werden die objektiven (materiellen, kulturellen und laufbahnspezifischen) Lebensverhältnisse von Klassen und Akteuren ermittelt.

In einem zweiten Schritt wird dieser dreidimensionale Raum, der anhand einer horizontalen und einer vertikalen Achse mit Berücksichtigung der laufbahnspezifischen Lebensverhältnisse konstruiert wurde, erweitert durch den Raum der Lebensstile, der wie eine Folie auf den Raum der sozialen Position gelegt wird.

Mit dem Raum der Lebensstile werden die symbolischen Merkmale der Lebensführung erfasst, die sich nicht nur aus den zur Verfügung stehenden Ressourcen erklären, sondern auch aus gruppen- und klassenspezifischen und insofern subjektiven ästhetischen Urteilen, Praxisformen und Wahrnehmungen. Die unterschiedlichen Praktiken und Denk- und Wahrnehmungsschemata bilden auch einen Raum, der strukturiert ist und mit dem Raum der sozialen Positionen in systematischen Beziehungen steht. Die Vermittlung zwischen dem Raum der sozialen Position und dem Raum der Lebensstile leistet der Habitus, der die Verbindung zwischen objektiven externen Strukturen und den subjektiven Wahrnehmungen, Wertvorstellungen, ästhetischen Urteilen, „Alltagstheorien“ und Praxisformen leistet, so dass jeder Klasse bestimmte habituelle Dispositionssysteme zugeordnet werden können.

Eine wichtige Differenzierung für das Klassenmodell Bourdieus sei abschließend genannt: Bei den Klassen, die in den zwei genannten Schritten konstruiert wurden, handelt es sich um theoretische Klassen, die nicht mit den politisch mobilisierten Klassen identifiziert werden dürfen. Aber B. hält es für wahrscheinlich, dass die auf diese Weise konstruierten Klassen auch die wahrscheinlichen Klassen sind, die auf der Praxisebene auch politisch mobilisiert werden bzw. sein können. Auf der Praxisebene werden also durch politische Benennungs- und Mobilisierungspraktiken von den Akteuren selbst permanent Klassen konstruiert. Mit der Berücksichtigung der Konstruktionsprozesse auf der Ebene der Akteure kommt ein dynamisch-historisches Element in das Sozialraum-Modell, denn die Akteure haben durch symbolische Strategien die Möglichkeit, ihre soziale Umwelt zu verändern. Das Sozialraum-Modell, dem man einen Hang zur Reproduktion immer gleicher Strukturen durch den Habitus unterstellen könnte, kann auf diese Weise und im Hinblick auf das Auseinanderfallen von Habitus und Feld, das oben angesprochen wurde, auch dynamisch-historische Entwicklungen erklären.