6.2. Entwicklung

Seit dem Spätmittelalter benötigen die vielen Herrschaftsträger im Reich zunehmend gelehrte Juristen und andere Fachleute (Staatsbildungsprozesse). Dafür erfolgt die Gründung von Landesuniversitäten, Kameralhochschulen, Forst- und Bergakademien etc., an denen qualifiziertes und loyales Personal ausgebildet wird. Akademisch Gebildete sind im 16. Jh. zunächst begehrte Fachleute von hoher geographischer Mobilität, deren soziale Wertschätzung sich in dem Anspruch der Gleichrangigkeit mit dem Niederadel ausdrückt (Doctoren-Adel). Eine spezifische Fachqualifikation ist zunächst noch kaum gefordert; gefragt sind vielseitig einsetzbare „Generalisten“ mit Tugenden wie Gemeinsinn, Unbestechlichkeit, Verschwiegenheit, konfessioneller Zuverlässigkeit (Konfessionseid!).

Die neue akademische Funktionselite rekrutiert sich zunächst v.a. aus dem städtischen Bürgertum (Patriziat, Honoratioren, Kaufleute und Unternehmer), emanzipiert sich aber in der Folgezeit zunehmend aus diesem Herkunftsmilieu und bildet landesweit familiär verflochtene Gruppen, die sich aber nie streng abschließen gegenüber den städtischen Eliten.

Im Laufe des 17. Jh.s expandiert die Territorialverwaltung auf die lokale Ebene; autonome lokale Gewalten (Stadträte und lokale adelige Herrschaftsträger) werden zurückgedrängt und durch fürstliche Amtsträger ersetzt (Verbürgerlichung der Lokalverwaltung). Zugleich erwirbt aber der Adel umgekehrt zunehmend eine akademische Bildung (Aristokratisierung des Studiums, gespiegelt im Pedanterie-Diskurs) und verdrängt die Bürgerlichen wieder aus den Spitzenämtern in Regierung, Verwaltung, Justiz, Diplomatie und Militär.

Im Zuge der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Behörden entstehen hierarchisch getrennte adelige und bürgerliche Sphären im Fürstendienst. Eine soziale Aufwärtsmobilität ist aber weiter möglich: Bürgerliche Spitzenbeamte werden meist nobilitiert. Im Laufe des 18. Jh.s entwickelt sich eine zunehmend homogene Kultur und ein einheitliches Selbstverständnis dieser Funktionselite bürgerlicher und niederadeliger Herkunft, die sich nicht mehr über Geburt, sondern über Bildung und Leistung definiert („gebildete Stände“, „mittlere Stände“) und sich vom Hofadel bewusst abgrenzt.

Es herrscht eine Tendenz zu „rationaler“ bürokratischer Herrschaft (nach Max Weber): Prinzipien des regelgebundenen, aktenmäßigen Betriebs der Amtsgeschäfte durch geschultes Fachpersonal mit festen Kompetenzen nach klarer Ämterhierarchie.

Das setzt die Professionalisierung des Beamtentums voraus:

  • staatliche Sorge für Ausbildung
  • geregelte Qualifikation als Amtsvoraussetzung
  • Beförderung nach Leistungskriterien
  • geregelte Besoldung (zentral: Trennung des Verwaltungsstabs von den Verwaltungsmitteln, letztlich von Amt und Person)
  • Pensionsberechtigung
  • feste Karrierewege
  • Verhaltenskontrolle („Conduitelisten“)

All das setzt sich allerdings vor dem 19. Jh. kaum durch. Der Beamtenethos des frühmodernen Staates ist das Selbstverständnis als „Mittelstand“ jenseits aller Partikularinteressen, allein im Dienst des Gemeinwohls.