2.2. „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“
2.2.1. Konzepte
von Antje Flüchter
Lange war die Forschung über den Beginn der FNZ durch konfessionelle Geschichtsschreibung dominiert und wurde vor allem durch das antithetische Schema Reformation - Gegenreformation charakterisiert. Ein Wandel trat mit Ernst-Walter Zeeden ein. Er durchbrach das zeitliche Nacheinander Reformation und Gegenreformation und ersetzte es durch seinen neuen komparativen Ansatz, der von drei parallelen Konfessionsbildungsprozessen ausgeht: dem nachtridentinischen Katholizismus, dem Luthertum und dem Calvinismus. (Zeeden entwickelte diese neue Perspektive interessanterweise zu einem Zeitpunkt, den die Neueste Geschichte als Ende des „Zweiten Konfessionellen Zeitalters“ betrachtet, vgl. Blaschke, Konfession). Zeedens zentraler Begriff ist die Konfessionsbildung, verstanden als
„die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös sittlicher Lebensform. Zugleich ihr Ausgreifen in die christliche Welt des frühneuzeitlichen Europa; ihre Abschirmung gegen Einbrüche und Gefährdungen und ihre Mitgestaltung durch außerkirchliche Kräfte, insonderheit durch die Staatsgewalt.“ (Zeeden, Entstehung, 9-10.)
Mit diesem Konzept verschob sich der wissenschaftliche Fokus von den großen Protagonisten des 16. und 17. Jh.s und den politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Zeit auf kulturgeschichtliche Fragestellungen und Phänomene der Volkskultur.
In den 1980ern wurde, auch im Rahmen der sozialgeschichtlichen Wende in der deutschen Geschichtswissenschaft, Zeedens Konzept von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling struktur- und systemgeschichtlich weiterentwickelt. Religionssoziologische Ansätze (Max Weber, Ernst Troeltsch) wurden herangezogen, sowie die Arbeiten von Otto Brunner, Dietrich Gerhard und Gehard Oestreich (Sozialdisziplinierung, Sozialdisziplinierung). Begrifflich fassen sie das modifizierte Konzept als „Konfessionalisierung“. „Konfessionalisierung“ definiert Heinz Schilling als
„einen gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der das öffentliche und private Leben in Europa tiefgreifend umpflügte und zwar in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und mit der Formierung einer neuzeitlichen disziplinierten Untertanengesellschaft, die anders als die mittelalterliche Gesellschaft nicht personal und fragmentiert, sondern institutionell und flächenmäßig organisiert war“. (Schilling, Konfessionalisierung, 6.)
Wie schon im Konzept der Konfessionsbildung wird die funktionale Gleichheit der drei großen Konfessionsbildungen betont, während die dogmatischen Unterschiede in den Hintergrund rücken (Parallelitätsthese). Schilling schlägt deshalb vor, nicht mehr von lutherischer Orthodoxie, zweiter Reformation, katholischer Reform bzw. Gegenreformation zu sprechen, sondern von lutherischer, reformierter oder katholischer Konfessionalisierung. Im Gegensatz zur „Konfessionsbildung“ verstehen Schilling und Reinhard „Konfessionalisierung“ „nicht mehr als partiellen kirchengeschichtlichen, sondern als universalen sozialgeschichtlichen Prozeß“. Dementsprechend werden stärker als bei Zeeden Staatsbildung und Gesellschaftswandel in Folge der Ausbildung der drei Konfessionen in den Mittelpunkt gerückt; das Durchlaufen der Konfessionalisierungsphase wird zum Regelfall europäischer Staatsbildung erhoben (Dimensionen der Konfessionalisierung). „Konfession“ wird zu einer Grundkategorie der Frühneuzeitforschung erhoben, ohne die ein Verständnis des 16. und weitere Teile des 17. Jh.s nicht möglich sei.
Die Erfolgsgeschichte des Konfessionalisierungskonzeptes seit den 1980er Jahren hat auch Kritik hervorgerufen. Diese betrifft vor allem drei Aspekte: 1. Die Parallelitätsthese, 2. Die Wahrheitsfrage („Propria“ der Konfessionen) (Ziegler, Kritisches), 3. Die etatistische Verengung des Konzeptes.
Die Kritik an der Verknüpfung von Staatsbildung und Konfessionalisierung stammt vor allem aus mikrohistorischer Sicht. Vor allem Heinrich Richard Schmidt wendet von seiner Beschäftigung mit calvinistischen Presbyterien ausgehend ein, weniger obrigkeitliche Disziplinierungsmaßnahmen als die gemeindlichen Sittengerichte selbst seien wirksam geworden. „Konfessionalisierung“ sei also eher ein „kommunaler“ als ein staatlicher Vorgang.
2.2.2. Konfessionsbildung als Ausbau der drei Konfessionen
2.2.2.1. Drei Konfessionskirchen
Im Laufe des 16. Jh.s formieren sich in der wechselseitigen Abgrenzung voneinander drei große Konfessionskirchen, die ihre Identität nach und nach durch schriftlich niedergelegte Glaubensbekenntnisse definieren: Lutheraner, Reformierte, Katholiken. Aus der Perspektive des Konfessionalisierungskonzeptes bedeuten „Konfessionen“ nicht individuelle Glaubensüberzeugungen, sondern umfassen die religiöse Organisation und den Glauben politischer Gemeinwesen (Städte und Fürstentümer).
2.2.2.2. Auseinanderentwicklung der Konfessionen innerhalb des Protestantismus
Zunächst konkurrieren die lutherisch-niederdeutsche und die zwinglianisch-oberdeutsch-schweizerische Richtung; Einigungsversuche scheitern v.a. am Abendmahlsverständnis. Melanchthons Confessio Augustana (1530) setzt sich aber im Reich zunächst politisch durch (als Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Schmalkaldener Bund und für Einbeziehung in Augsburger Religionsfrieden). Dafür erfolgt eine schärfere Abgrenzung zwischen den Theologen innerhalb und außerhalb des Reiches:
- Annäherung der konkurrierenden Schweizer Theologen aus Genf und Zürich im Consensus Tigurinus 1549
- hingegen entzweien sich Lutheraner und Reformierte endgültig in den 1550er Jahren im „Zweiten Abendmahlsstreit“
- Genf (Jean Calvin, Theodor Beza) wird zum Zentrum der Ausbreitung des reformierten Bekenntnisses und der Organisationsstrukturen der reformierten Kirche: Das Genfer Modell prägt 1559 die Confessio Gallicana der französischen Hugenotten; 1560 Confessio scotica in Schottland (John Knox); 1566 Confessio helvetica posterior in der Schweiz; allerdings kann keine Einigung der Reformierten in ganz Europa auf eine gemeinsame Bekenntnisschrift erzielt werden. Diese gelingt erst auf der Synode von Dordrecht 1618/19
Auch im Reich findet eine Polarisierung innerhalb des Protestantismus statt: In den 1560er Jahren nimmt der Einfluss des Reformiertentums durch Glaubensflüchtlinge aus Frankreich und den Niederlanden zu. 1563 Heidelberger Katechismus: Kurpfalz als erste reformierte Landeskirche im Reich (Thomas Erastus). Die um einen friedlichen Mittelweg bemühte Gruppe der humanistisch geprägten „Philippisten“ (benannt nach Philipp Melanchthon) wird zwischen strengem Luthertum (Gnesiolutheraner) und Calvinismus aufgerieben. Lutheraner schließen sich unter der Konkordienformel von 1577 zusammen (1580 Konkordienbuch mit maßgebenden lutherischen Bekenntnisschriften).
Seit den 1580er Jahren erfolgt eine verstärkte reformierte Konfessionalisierung im Reich, die so genannte „Zweite Reformation“:
Zum Teil finden mehrfache Konfessionswechsel in einer Dynastie kurz nacheinander statt, die jeweils den Austausch der theologischen und juristischen Eliten, der Katechismen, Gottesdienstpraxis, Kirchenordnungen etc. auslösen. Insgesamt besteht ein Zwang zur gegenseitigen klaren Aus- und Abgrenzung sowohl innerhalb des Protestantismus als auch gegenüber der verschärften katholischen Offensive.
2.2.2.3. Katholische Konfessionalisierung
Die ehemals universale alte Kirche wird durch die von der Reformation erzwungene Fixierung und Abgrenzung ihrer Glaubenslehren selbst zur Konfessionskirche. Das leistet das Konzil von Trient (1545-1563, mit zwei langen Unterbrechungen): Kirchenreform einerseits, dogmatische Klärungen andererseits; das kaiserliche Ziel der Reintegration der Protestanten erweist sich bald als illusionär.
Dogmatische Festlegungen schränken die Vielfalt der mittelalterlichen Positionen ein und schalten „Mittelwege“ aus (Lehrtradition der Kirche als Glaubensquelle neben der Bibel; Werkgerechtigkeit; sieben Sakramente als „signa efficacia“ etc.).
Reformdekrete:
- Stärkung von Predigt und Katechese
- Residenzpflicht der Bischöfe und Pfarrer
- Priesterseminarien
- regelmäßige Diözesan- und Provinzialsynoden
- regelmäßige Visitationen
- Reform des kirchlichen Strafrechts und des Eherechts
Das päpstliche Primat wird nicht grundsätzlich angetastet, aber insgesamt erfolgt eine Stärkung der Bischöfe einerseits, des Pfarrklerus andererseits. 1564: Professio fidei Tridentina als verbindliches Glaubensbekenntnis. 1561/62 erfolgt eine päpstliche Reform der Kurie; Kodifizierung der Liturgie (1570 Missale, 1614 Rituale romanum).
Als Instrumente der katholischen Konfessionalisierung entstehen neue Orden: Theatiner, Oratorianer, Ursulinen und vor allem die Jesuiten (Societas Jesu, begründet 1540 durch Ignatius von Loyola), die sich auszeichnen durch:
- unmittelbare Unterordnung unter den Papst ohne Bindung an ein Kloster, ohne Stundengebet, ohne gemeinsamen Habit und dergleichen
- streng hierarchischer Aufbau
- unbedingter Gehorsam
- akademische Ausbildung
- innere Disziplinierung durch geistliche Exerzitien
Die verinnerlichte Selbstkontrolle statt äußeren Zwangs ermöglicht den flexiblen Einsatz der Ordensmitglieder in der inneren und äußeren Mission, in der Volkspädagogik, im höheren Bildungswesen (Gymnasien und Universitäten) und als Berater an katholischen Fürstenhöfen.
2.2.3. Parallele Entwicklungen in den drei Konfessionen
2.2.3.1. Konfessionalisierung und Staatsbildung
Die Landesherrschaft instrumentalisierte die sich bildenden Konfessionskirchen in vieler Hinsicht für den Ausbau ihrer eigenen Staatlichkeit („Fürstenreformation“). Die konfessionelle Homogenisierung und Abgrenzung fördert die innere Normierung und Disziplinierung der Untertanenschaft („planmäßige und allumfassende Änderung menschlichen Verhaltens“, W. Reinhard) und kommt damit dem Prozess der staatlichen Verdichtung entgegen und stärkt die politische Identität. Fromme Untertanen sind gehorsame Untertanen; die konfessionelle Religiosität kommt der politischen Legitimität der Landesherren zugute.
Katholische Landesherren machen sich ähnliche landeskirchliche Strategien zu Eigen wie evangelische Landesherren, insbesondere bei der Entfaltung flächendeckender Kirchenorganisation und Kontrolle.
2.2.3.2.Kirchenorganisation und Kontrolle
Der Erfolg der Konfessionalisierung stand und fiel damit, inwieweit eine geeignete Infrastruktur eingerichtet und/ oder genutzt werden konnte. Neben den Verfahren gehörte daher in allen drei Konfessionen eine mehr oder minder flächendeckende Kirchenorganisation, die zwar verschieden aufgebaut waren, funktional aber vergleichbar sind. (Dimensionen)
- Spezialisierte Oberbehörden für geistliche Sachen (Geistliches Gericht; Geistlicher Rat);
- Kirchenordnungen (Festlegung der Lehrgrundlagen)
- Kontrolle durch Kirchenvisitationen etc.
- Einschärfung konfessioneller Rechtgläubigkeit durch Katechismus-Unterricht und regelmäßige sonntägliche Predigt
- Sittenzucht (bezüglich Sexualität, religiöser Praxis, Konfliktverhalten etc.) durch Presbyterien mit Rügepraxis (reformiert) bzw. Ohrenbeichte (katholisch)
- konfessionelle Reorganisation des Bildungswesens
2.2.3.3. Wandel der Pfarrgeistlichkeit
Die mangelhafte Qualifikation der Geistlichkeit war am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ein immer wieder geäußerter Klagepunkt. Dementsprechend war in allen drei Konfessionen die Reform der Geistlichkeit ein wichtiges Anliegen. Dabei ist auch die besondere Rolle der Geistlichen als Multiplikatoren zu berücksichtigen.
Die Pfarrgeistlichkeit wandelt sich vom Nebengewerbe zum Amt und moralischen Vorbild:
- durch Verbesserung der Ausbildung
- systematische Kontrolle mittels Visitationen
- vermehrt Geldeinkommen statt Subsistenzwirtschaft
- Bindung an Stadt oder Territorium durch Eid und Residenzpflicht
Allerdings bleiben grundsätzliche Unterschiede zwischen protestantischen Pfarrern und katholischen Klerikern (Beruf vs. Stand; Graduierung vs. Weihe; Pfarrfamilie vs. Zölibat etc.) bestehen.
2.2.3.4. Wandel des Glaubenswissens
Der volkstümlich-magische Glauben wird zunehmend durch den Glauben der Elitekultur überlagert (primärgruppenbezogen vs. sozial verallgemeinert; symbolisch-rituell vs. verbal-diskursiv; magisch vs. rational; lokal vs. überlokal etc.).