4.4. Sozialstruktur der Stadtbewohner/innen

von Claudia Strieter

Die soziale Gliederung der Städte war je nach Stadttyp sehr verschieden. Während bspw. in den meisten Reichsstädten die alten Geschlechter in der Hierarchie ganz oben standen, waren die Residenzstädte von den Beamten und fürstlichen Amtsträgern dominiert. 

Die ständische Ordnung geriet im Verlauf der FNZ durch das aufstrebende Bürgertum zunehmend in Bewegung. Um den sozialen Frieden zu wahren, bemühte sich die Obrigkeit mit Hilfe von Kleider- oder „Aufwandsordnungen, die jedem Stand Kleidung, Schmuck und Schuhwerk nach Material und Preis bis ins kleinste Detail vorschrieben“, die ständische Ordnung in den jeweiligen Städten zu konservieren (Münch, Lebensformen, 89; Eisenbart, Kleiderordnungen).

4.4.1. Patrizier, Großkaufleute

von Claudia Strieter

Das Patriziat stellte zu Beginn der FNZ in der sozialen Hierarchie insbesondere der Reichsstädte die Spitze dar und hielt vielfach die politische wie ökonomische Macht in seinen Händen. Im Mittelalter setzte sich das Patriziat aus alteingesessenen Geschlechtern von vom Lande zugezogenen Adligen, Ministerialen, Fernhändlern und Großgrundbesitzern zusammen. Es zeichnete sich durch eine spezifische Standesehre aus, die stark am adligen Ehrbegriff orientiert, aber durchaus mit bürgerlichen Wertsetzungen und stadtbürgerlichen Verpflichtungen verquickt war. Angehörige des Patriziats waren bis ins Spätmittelalter ausschließlich ratsfähig und besetzten die wichtigsten städtischen Ämter. Im Zuge der Zunftkämpfe kam es in vielen Städten jedoch zu einer Aufteilung der Ratssitze und Ämter zwischen Patriziat und Zunftbürgertum.

Obgleich sich das Patriziat geburtsständisch definierte, musste es sich zuweilen aufstrebenden homines novi öffnen; prominentestes Beispiel: die Aufnahme der Fugger in das auf sieben Geschlechter geschrumpfte Augsburger Patriziat 1538. Die Bezeichnung Patrizier trugen in der FNZ weiterhin die alten und einflussreichen bürgerlichen Familien. Die Bezeichnung Patrizier trugen in der FNZ weiterhin die alten und einflussreichen bürgerlichen Familien. Diese gerieten jedoch – je nach Stadttyp in unterschiedlicher Weise – in ihrer Stellung als städtische Elite zunehmend unter Druck durch Akademiker, Beamte und Einwanderer. Den weitaus meisten Städten stand auch gar kein geburtsständisch abgeschlossenes Patriziat vor, sondern vielmehr eine relativ offene Oberschicht (vgl. François, Eliten, und für das Fallbeispiel Augsburg: Burschel/Häberlein, Familie; aber auch Isenmann, deutsche Stadt, 274-283 und Knittler, europäische Stadt, 155ff.).

4.4.2. Adel

von Frank Dierkes

Der seit dem 19. Jh. in der Geschichtswissenschaft kolportierte Gegensatz von Adel/Land und Bürgertum/Stadt konnte für das Spätmittelalter und insbesondere für die FNZ von der jüngeren Forschung – vornehmlich der 1990er Jahre – widerlegt werden. Bis dahin waren – und sind es mitunter noch – Adel und Stadt (bzw. ländliche „Feudalwelt“ und städtisches Bürgertum) im allgemeinen Geschichtsbild als Gegensätze verankert. Dass es zwischen adeligen und bürgerlichen Gruppen insbesondere im Bezugsfeld Stadt häufig zu Spannungen und Konflikten kam, steht außer Frage. Es waren vor allem auch die Abgrenzungstendenzen der einzelnen sozialen Schichten, insbesondere zwischen dem selbstbewussten aufstrebenden Bürgertum einerseits und dem auf seine althergebrachte exponierte Stellung bedachten Adel andererseits, die sich als konfliktträchtig erwiesen. Dennoch ist der Adel ein wichtiger Faktor der städtischen Geschichte, vor allem der städtischen Sozialgeschichte. Denn trotz aller Gegensätze gab es auch enge Verflechtungen und Kooperationen von Adel und Bürgertum in der Stadt; Adel war – wenn auch phasenweise mit unterschiedlicher Intensität – in den Städten präsent (Johanek, Adel und Stadt).

Das Beziehungsgeflecht von Adel und Stadt wurde zuletzt von Weidner am Beispiel der Stadt Münster eingehend untersucht (Weidner, Landadel in Münster). Obwohl regionale Unterschiede zu berücksichtigen sind, können anhand dieses Beispiels die folgenden Punkte herausgestellt werden, um die Gründe für den Zuzug Adeliger in die Städte konkreter zu fassen: Seit dem 16. Jh. – und verstärkt im 17. und 18. Jh. – versuchten Angehörige des landsässigen Adels, sich die Partizipation an städtischen Lebensformen und städtischer Wirtschaft zu sichern, indem sie ständige oder saisonal begrenzte Aufenthalte in der Stadt nahmen. Ein weiterer Motor waren die landesherrlichen Bemühungen, Residenzen zu bilden oder auszubauen, die den Adel verstärkt in die entsprechenden Städte zogen, um dort „näher“ am Fürsten und seinem Hof zu sein, an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt zu sein sowie einflussreiche und prestigeträchtige Ämter auszuüben. (Weidner, Landadel in Münster). 

Zudem forcierten die Landesherrn im 17. Jh. die territoriale Verdichtung ihrer Gebiete und versuchten dementsprechend, die Autonomie der Städte zurück zu drängen und in den Städten eine stärkere rechtlich-administrative Kontrolle auszuüben (neben vielen anderen Beispielen sind hier etwa Organe der landesherrlichen Rechtsprechung zu nennen). Diese Art der „Zentralisierung“ setzte den Adel einerseits unter Druck, nicht nur in seinen eigenen Herrschaftsgebieten auf dem Land, sondern auch in den Städten präsent zu sein. Andererseits hatte auch der Landesherr ein Interesse daran, „seinen“ Adel aus dem jeweiligen Umland stärker in die städtischen Strukturen ein- bzw. an die Städte zu binden, um seine Stellung gegenüber den Organen bürgerlich-städtischer Politik (etwa dem Rat) zu stärken. 

Die wichtigen Entscheidungen und die wichtigen Zusammenkünfte der „Eliten“ fanden zunehmend in den Städten statt. Dadurch erwuchs für den Adel die Notwendigkeit, in der Stadt anwesend zu sein – und entsprechend seinen besonderen standesbedingten Ehrkodex zu repräsentieren, also seine exklusive Stellung und den Anspruch auf Herrschaftsausübung oder -beteiligung sichtbar und geltend zu machen.

Das augenfälligste Zeugnis adeliger Stadtpräsenz waren die Adelshöfe oder adeligen Stadthöfe, denn auch und gerade in der Stadt musste dem Repräsentationsbedürfnis des Adels in puncto Architektur und Ausstattung sowie Lebensform insgesamt Rechnung getragen werden. Die Adelshöfe wiesen eine dementsprechende Ausstattung auf, wie z.B. Hoftore, Wappen und Dekore etc. Doch nicht allein die äußere Gestalt machte ein städtisches Gebäude zum standesgemäßen Wohnsitz für einen Adeligen. Ein Adelssitz wurde vor allem durch die Rechte und Privilegien, die an das entsprechende Gebäude oder Grundstück gebunden waren und die häufig vom Landesherrn verliehen wurden, definiert (Albrecht, Adelshöfe). Zu diesen Rechten und Privilegien zählte u. a. die Exemption, also die Befreiung von städtischen Abgaben und Steuern (Weidner, Landadel in Münster). Eine Sonderstellung beanspruchten die Adeligen in der Stadt auch insofern, als sie nicht Bürger der Stadt wurden, also kein Bürgerrecht innehatten, und dementsprechend auch nicht der städtischen Gerichtsbarkeit und Abgabenpflicht unterworfen waren. Auch dies diente der sozialen Abgrenzung vom Stadtbürgertum, ebenso wie die Abschließung der Heiratskreise. Wenn es auch bis zum frühen 16. Jh. vielfach ein Konnubium, also Heiratsverbindungen, zwischen dem Adel und dem städtischen Patriziat gegeben hatte (Weidner, Landadel in Münster), so wurde seitdem in beiden sozialen Gruppen nur noch „innerständisch“ geheiratet.

4.4.3. Klerus

von Claudia Strieter

Kleriker partizipierten je nach Stadt unterschiedlich am Bürgerrecht. Konnten die Kleriker oder geistliche Korporationen das Bürgerrecht erwerben, hatten sie wie die übrigen Bürger auch Zugang zum Markt und konnten gewerbliche Tätigkeiten ausüben. Eine Reihe von Städten hatte ein Interesse daran, „durch den Eintritt des Klerus in das Bürgerrecht den Sonderstatus der zahlreichen Geistlichen und des großen kirchlichen Grundbesitzes abzubauen, sie an den bürgerlichen Pflichten und Lasten zu beteiligen und stärker in die Stadt zu integrieren.“ In der Rechtsprechung beanspruchte der Klerus jedoch weiterhin das Privilegium fori, d.h. das Recht, ausschließlich vor geistlichen Richtern stehen zu müssen; dies gelang jedoch nicht in allen Städten, eine Ausnahme bildete bspw. Augsburg (Isenmann, deutsche Stadt, 99, 213-216, vgl. grundl. Moeller, Kleriker als Bürger).

Die Pfarrei, die Ebene des niederen Klerus, war der unmittelbare Begegnungsort zwischen Stadt, Kirchenvolk und Kirche. Die Pfarrer nahmen innerhalb der Stadt neben ihrer seelsorgerischen Arbeit weitere Aufgaben wahr: Mit Ausstellen der Armenzettel regelten sie die Verteilung städtischer Almosen, außerdem übten Sitten- und Schulaufsicht aus und verkündeten obrigkeitliche Erlasse von der Kanzel (Gerteis, Städte, 163; Isenmann, deutsche Stadt, 216-219).

4.4.4. Zunfthandwerker und Krämer

von Claudia Strieter

Das Handwerk war in jeder Stadt in einer Fülle von Gewerben vertreten. Diese reichten je nach Größe und Nachfragesituation der jeweiligen Stadt vom Bäcker, Fleischer, Brauer – also dem Nahrungsmittelgewerbe, über metall- und holzverarbeitende Gewerbe (Schmiede, Tischler), Bekleidungshandwerk und deren Zulieferer – wie Schneider, Schuhmacher, Gerber und Leineweber – bis hin zu Luxusgüterhandwerk, bspw. den Goldschmieden (Gömmel, Entwicklung, 22). Nicht jedes Handwerk war gleichermaßen in jeder Stadt zünftisch organisiert, häufig waren auch mehrere Handwerke und Gewerbe in einer Zunft zusammengeschlossen; einige Handwerke, die in einigen Gegenden als unehrlich verschrien waren, wie bspw. die Leineweber, mussten bis weit in die FNZ um den Zunftstatus kämpfen, manche erreichten ihn nie. 

Die Zunft stellte im Gegensatz zu heutigen Handwerkskammern ein polyfunktionales Sozialgebilde dar. Sie war nicht nur gewerbliche Interessenvertretung und Institution handwerklicher Ausbildung, sondern umfasste das gesamte soziale, religiöse und gesellige Leben der Meister und ihrer Familien sowie der Lehrlinge und Gesellen. Insbesondere hatte sie als Korporation in vielen Städten Einfluss auf das politische Leben. Nicht zuletzt war sie auch eine karitative Einrichtung, die den Witwen und Arbeitsunfähigen je nach zur Verfügung stehenden Mitteln beisprang (Deter, Rechtsgeschichte, 31-38; Reininghaus, Gewerbe, 15f.). Häufig bildeten Zunfthäuser in den Städten den zentralen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Zunfthandwerker und Krämer. Hier fanden die Zunftversammlungen statt, auf denen neue Meister aufgenommen, die Zunftvorsteher gewählt und die jährliche Rechnung abgelegt wurde. Darüber hinaus wurde in den Zunfthäusern auch kräftig gefeiert und so der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt. 

Das Zunftrecht fußte auf von der städtischen Obrigkeit verliehenen Privilegien, die regelten, welche Zunft welche Waren herstellen und vertreiben durfte. In der Verteidigung dieser Monopolrechte schlossen sich die Zünfte untereinander ab und reagierten mit Klageschriften auf Eingriffe in ihre Rechte. Nichtzünftige Handwerker wurden von den Zünften als „Bönhasen“, „Pfuscher“ oder „Störer“ verschrien und ihre Waren vielfach beschlagnahmt. Außerdem enthielten die Zunftstatuten eine Vielzahl von Bestimmungen, bspw. über die Warenqualität, deren Ausbildung und die Aufnahme von Meistern in die Zunft. 

Zentrale Werte der Zünfte waren Sicherung der Nahrung ihrer Mitglieder und deren Familien sowie Ehre des Standes und der Arbeit (zum Thema Ehre s. Dinges, Die Ehre). In einem Wirtschaftssystem, das eher durch Statik als durch Wachstum gekennzeichnet war und in dem sich die Ökonomie des Marktes erst allmählich durchzusetzen begann, waren dies die Werte, mit deren Hilfe Produktions- und Absatzbedingungen im Gleichgewicht gehalten werden sollten. Die Handwerksbetriebe waren im Durchschnitt eher klein. Ein Meister beschäftigte vielleicht ein bis zwei Gesellen und einen Lehrling – auch dies versuchte die Zunft, durch Festlegung der Höchstzahl von Lehrlingen und Gesellen pro Werkstatt zu regulieren und im Gleichgewicht zu halten. Die Familie, insbesondere die Meisterfrau war in den Arbeits- und Vertriebsprozess eingebunden, Meister und Meisterfrau traten als „Arbeitspaar“ in Erscheinung. Im Falle des Todes des Meisters konnte dessen Witwe in vielen Zünften den Betrieb selbstständig weiterführen (Werkstetter, FrauenWunder, Stellung).

Im Verlauf der FNZ gerieten die Zünfte zunehmend unter Druck. So versuchten die Obrigkeiten in ihre Rechte einzugreifen. Auf Reichsebene gab es seit 1530 eine ganze Reihe von Reichspolizeiordnungen, die de jure die Autonomie der Zünfte einschränkten; 1731 wurde nach Gesellenunruhen schließlich die Reichshandwerksordnung verabschiedet. Das Gesetz wandte sich u.a. gegen die Jurisdiktion der Ämter, und versuchte, die Versammlungsfreiheit der Zünfte einzuschränken (Deter, Rechtsgeschichte, 71; Reininghaus, Gewerbe, 16). Ergänzt und präzisiert wurden diese Eingriffe durch landesherrliche Maßnahmen, die bspw. die Aufnahme in die Zunft obrigkeitlich zu regeln suchten, um den freien Zugang zum Markt für mehr Handwerker zu ermöglichen. Ziel der Obrigkeiten war es, zum einen für die „gute Ordnung“ zu sorgen und zum anderen den Wohlstand ihrer Territorien durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zu mehren, um schließlich beides als Legitimationsquelle ihrer Herrschaft zu nutzen. Neben den obrigkeitlichen Eingriffen in die Autonomierechte der Zunft trugen vor allem äußere Faktoren, wie die Bevölkerungsvermehrung, die zunehmende Verengung des Marktes und die Protoindustrialisierung, dazu bei, dass die wirtschaftliche Interessenvertretung zunehmend in den Vordergrund zünftischer Aufgaben rückte. Schließlich markierte die Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jh. das Ende der Zünfte im Alten Reich.

Artikel "Zunft" aus dem Zedler:

Weiss, Johann Adam:
Ueber das Zunftwesen und die Frage: Sind die Zünfte beyzubehalten oder abzuschaffen?

4.4.5. Einwohner/innen ohne Bürgerrecht

von Claudia Strieter

Die Einwohnerschaft einer Stadt war keineswegs auf die Bürger beschränkt. Neben diesen gab es eine reich differenzierte Schicht, die am Bürgerrecht nicht partizipierte, somit auch nicht wehrberechtigt war, aber Steuern zahlen oder andere Pflichten übernehmen musste. Diese so genannten Inwohner, Hausgenossen, Beisassen setzten sich zusammen aus Knechten, Mägden, Handwerksgesellen, Lehrlingen, Handlungsgehilfen, Tagelöhnern, Bettlern und Angehörigen der „unehrlichen“ Gewerbe. Nichtbürger rangierten nicht immer an der unteren sozialen Skala, sie konnten durchaus vermögend sein (Münch, Lebenswelten, 88).

Insbesondere die Gesellen wurden im Verlauf der FNZ zum Ordnungsproblem. Im Zusammenhang mit dem Bevölkerungszuwachs im 16. und 17. Jh. wurde einer großen Anzahl von Gesellen der Zugang zur Meisterschaft, d.h. zur selbstständigen Ausübung seines Handwerks und zur Bürgerschaft erschwert oder gar unmöglich gemacht. Neben den Zünften hatten sich seit dem 14. Jh. so genannte „Bruder- oder Gesell(en)schaften“ gebildet, in welchen die Gesellen eine ihrer spezifischen Lebenssituation angemessene Interessenvertretung und soziale Absicherung fanden. Mit der Verengung des Zugangs zum Markt wuchs auch das Konfliktpotential zwischen Meistern und Gesellen, das sich in „Gesellenunruhen“ Luft machte, die sich in den meisten Fällen an Ehr-Streitigkeiten entzündeten. Die Obrigkeit versuchte insbesondere mit der Reichszunftordnung von 1731 auf diese „Missbräuche“ zu reagieren und sie abzustellen (Hippel, Armut, 19f.).

4.4.6. Die städtischen „Unterschichten“ und Armut

von Claudia Strieter

In der ständischen Gesellschaft der FNZ kann nicht von einer „kohärenten“ Unterschicht gesprochen werden. Innerhalb dieser Gruppe wurde fein differenziert nach Möglichkeiten zur rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Teilhabe an der Bürgergemeinde, Kapital an sozialer Ehre sowie Selbständigkeit der wirtschaftlichen Existenz (Hippel, Armut, 5).

Will man eine Hierarchisierung der Unterschichten vornehmen, so ergibt sich folgendes Bild: 

  1. Handwerker und Handwerksgesellen: Diese verfügten bei kleinen Betrieben über eine schmale Existenzgrundlage aus selbstständiger Arbeit, damit liefen sie in wirtschaftlichen Krisenzeiten oder im Falle von Krankheit in Gefahr, der Armenfürsorge anheim zu fallen. 
  2. Gesinde, Tagelöhner, Heimarbeiter, gemeines Militär; außerdem Frauen sowie Invaliden und Behinderte: Diese Gruppe ist gekennzeichnet durch wirtschaftliche oder rechtliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber oder Ehemann. Angehörige dieser Gruppe mussten im Falle unterschiedlicher persönlicher Schicksalsschläge mit negativen wirtschaftlichen Folgen (wie bspw. Tod des Ernährers oder Krankheit) auf Zeit oder auf Dauer unterstützt werden. 
  3. Schließlich umherziehende Bettler, Vaganten: Diese mobile, nicht sozial integrierte Armut verfügte über keinerlei Partizipationsrechte oder soziales Kapital in den Städten und geriet im Verlauf der FNZ besonders unter Druck. Sie stellte für die an „guter Policey“ orientierte Obrigkeit ein Ordnungsproblem dar. Während des 16. und 17. Jh.s wurden Bettelverbote erlassen und Hilfeleistungen auf die Mitglieder der jeweiligen Gemeinde beschränkt. Außerdem sollten Zucht- und Arbeitshäuser die Armen zu Arbeitsamkeit erziehen (dazu grundlegend Foucault, Überwachen; Jütte, Arme, 209-236).

Insgesamt wandelte die Armut während der FNZ ihre Funktion. Sie verlor ihre Bedeutung als Ziel christlicher Mildtätigkeit. Das gilt vor allem seit der Reformation, die einer neuen Arbeits- und Erwerbsethik zum Durchbruch verhalf (Lehmann, Webers „Protestantische Ethik“, 10). Armut wird als Folge der Untugend oder bestenfalls des Unglücks verstanden und daher zum Objekt obrigkeitlicher Sozialpolitik und Sozialdisziplinierung (Jütte, Arme, 232).

Frauen waren in der FNZ auf Grund ihrer insgesamt eingeschränkten Arbeits- und Handlungsspielräume im Falle des Verlassenwerdens und spezifischer Risiken wie Witwenschaft sowie lediger Schwanger- und Mutterschaft vom Absturz in die Armut ganz besonders bedroht. Sie und andere „schuldlos Verarmte“ konnten sich aber an die städtischen Armenhäuser wenden und von dort Hilfe erwarten. 

Auch die Armut hatte somit ihre Ständeordnung: von verarmten Bürgern und Einwohnern der Stadt, die ein Recht auf Unterstützung hatten (Jütte, Arme, 156) oder in „verschämter Armut“ lebten, über die städtischen Bettler mit Bettellizenz (Jütte, Arme, 162) bis hinab zu den fremden Bettlern, die vertrieben wurden und keinen Anspruch auf Hilfe hatten. Schließlich war die Grenze der Armut unscharf und reichte in Krisenzeiten weit in die ständische Gesellschaft hinein (Hippel, Armut, 18-23; Roeck, AußenseiterSachße/Tennstedt, Geschichte der ArmenfürsorgeJütte, Arme).